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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hnndertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

Dabei ist dieses Bild Graffs eigenstes Eigentum. In nichts verrät es eine auch
nur leicht bewußte Abhängigkeit von anderer Seite. Es bedeutet einen Höhe¬
punkt im deutschen Porträt des achtzehnten Jahrhunderts und weist diesem eine
Stelle an, die nicht tiefer als die ist. auf der das parallel gehende Wirken
anderer Nationen steht, wenn auch seine Qualitäten zum Teil verschiedene sind.
Gerade das aber gereicht ihm wahrlich nicht zur Unehre, vermehrt vielmehr
sein Interesse und seinen inneren Wert, denn es erweist es als den echten Aus¬
druck nationalen Wesens. Und so hat denn die Kunst auf manchen Um- und
Abwegen, trotz mancher und eifriger Anleihen doch zuletzt ein nationales und
eigenes Gepräge sich erworben.

Die Bedeutung des Porträts in der Malerei der Zeit wird einem in der
Darmstädter Ausstellung noch besonders nahegebracht durch die von Abbe
Bernays mit Sammeleifer und Umsicht zusammengestellte "Porträtgalerie des
künstlerischen und geistigen Deutschlands". I" ihr findet sich manch köstliches,
manch kurioses Stück, so ein seltsam "modern" anmutendes, weil ganz auf sich
gestelltes, alle Umwelt vergessendes, wie aus Schmerzen und Erkenntnissen ge¬
borenes Celbstporträt eines frühen Meisters, Ernst Dietrich Andrö, der aus
Mitau stammt und 1730 mit 50 Jahren in Paris stirbt; ferner das Selbst¬
porträt des "Kammerdieners und Porträtmalers" Joh. Eh. Morgenstern
(geb. 1697), das von der sozialen Stellung der Porträtmaler damaliger Zeit
ein gar beredtes Zeugnis ablegt. Sieht doch noch Ziesenis auf seinem dunkel¬
gehaltenen Selbstporträt wie ein mit seiner Stellung ganz zufriedener Kleinbürger
aus, und er war doch ein vielbegehrter Hofmaler! Eine andere Sprache dagegen
spricht das Selbstporträt des etwas späteren Fr. H, Füger (1751 bis 1818).
Der Mann weiß, daß er ein Künstler ist (dabei war er wahrlich keiner der
großen): sein lockiges Haar krönt ein wahrer Künstlerhut. ein Halstuch um¬
grenzt kokett das "schöne", fast aufs weiblich pikante hin gemalte Gesicht; ein
faltenreicher Mantel hängt von den Schultern herab, und die Arme sind über
der Brust derart gekreuzt, daß die eine die Handschuhe scheinbar lässig haltende
Hand sichtbar wird. Kein Künstler kann mehr mit sich selber kokettieren, seiner
besonderen Stellung und Art sich bewußter sein, als dieser Held des Pinsels.
So sind namentlich die Selbstporträts der Künstler aus den verschiedenen Ab¬
schnitten der behandelten 150 Jahre in dieser reichhaltigen Porträtgalerie von
hohem individuellen wie kultur- und kunstgeschichtlichen Interesse; ein jedes stellt
gleichsam das Resultat einer neuen Drehung des Kaleidoskops dar.

Die anderen Abteilungen der Ausstellungen können nur gerade noch erwähnt
werden. Man hatte den glücklichen Gedanken der Silhouette, die um die Goethezeit
ja vor allem eine so bedeutende Rolle spielt, ein eigenes Kabinett einzuräumen;
Professor Anton Kippenberg, der bekannte Leipziger Goethesammler, behandelt
in der Einleitung zum Katalog den Gegenstand in seinen Hauptzügen.

Von der Plastik der Periode wurde eine Reihe charakteristischer Beispiele
herangezogen. Reichhaltiger sind die Silberarbeiten vertreten, unter denen sich


Hnndertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

Dabei ist dieses Bild Graffs eigenstes Eigentum. In nichts verrät es eine auch
nur leicht bewußte Abhängigkeit von anderer Seite. Es bedeutet einen Höhe¬
punkt im deutschen Porträt des achtzehnten Jahrhunderts und weist diesem eine
Stelle an, die nicht tiefer als die ist. auf der das parallel gehende Wirken
anderer Nationen steht, wenn auch seine Qualitäten zum Teil verschiedene sind.
Gerade das aber gereicht ihm wahrlich nicht zur Unehre, vermehrt vielmehr
sein Interesse und seinen inneren Wert, denn es erweist es als den echten Aus¬
druck nationalen Wesens. Und so hat denn die Kunst auf manchen Um- und
Abwegen, trotz mancher und eifriger Anleihen doch zuletzt ein nationales und
eigenes Gepräge sich erworben.

Die Bedeutung des Porträts in der Malerei der Zeit wird einem in der
Darmstädter Ausstellung noch besonders nahegebracht durch die von Abbe
Bernays mit Sammeleifer und Umsicht zusammengestellte „Porträtgalerie des
künstlerischen und geistigen Deutschlands". I» ihr findet sich manch köstliches,
manch kurioses Stück, so ein seltsam „modern" anmutendes, weil ganz auf sich
gestelltes, alle Umwelt vergessendes, wie aus Schmerzen und Erkenntnissen ge¬
borenes Celbstporträt eines frühen Meisters, Ernst Dietrich Andrö, der aus
Mitau stammt und 1730 mit 50 Jahren in Paris stirbt; ferner das Selbst¬
porträt des „Kammerdieners und Porträtmalers" Joh. Eh. Morgenstern
(geb. 1697), das von der sozialen Stellung der Porträtmaler damaliger Zeit
ein gar beredtes Zeugnis ablegt. Sieht doch noch Ziesenis auf seinem dunkel¬
gehaltenen Selbstporträt wie ein mit seiner Stellung ganz zufriedener Kleinbürger
aus, und er war doch ein vielbegehrter Hofmaler! Eine andere Sprache dagegen
spricht das Selbstporträt des etwas späteren Fr. H, Füger (1751 bis 1818).
Der Mann weiß, daß er ein Künstler ist (dabei war er wahrlich keiner der
großen): sein lockiges Haar krönt ein wahrer Künstlerhut. ein Halstuch um¬
grenzt kokett das „schöne", fast aufs weiblich pikante hin gemalte Gesicht; ein
faltenreicher Mantel hängt von den Schultern herab, und die Arme sind über
der Brust derart gekreuzt, daß die eine die Handschuhe scheinbar lässig haltende
Hand sichtbar wird. Kein Künstler kann mehr mit sich selber kokettieren, seiner
besonderen Stellung und Art sich bewußter sein, als dieser Held des Pinsels.
So sind namentlich die Selbstporträts der Künstler aus den verschiedenen Ab¬
schnitten der behandelten 150 Jahre in dieser reichhaltigen Porträtgalerie von
hohem individuellen wie kultur- und kunstgeschichtlichen Interesse; ein jedes stellt
gleichsam das Resultat einer neuen Drehung des Kaleidoskops dar.

Die anderen Abteilungen der Ausstellungen können nur gerade noch erwähnt
werden. Man hatte den glücklichen Gedanken der Silhouette, die um die Goethezeit
ja vor allem eine so bedeutende Rolle spielt, ein eigenes Kabinett einzuräumen;
Professor Anton Kippenberg, der bekannte Leipziger Goethesammler, behandelt
in der Einleitung zum Katalog den Gegenstand in seinen Hauptzügen.

Von der Plastik der Periode wurde eine Reihe charakteristischer Beispiele
herangezogen. Reichhaltiger sind die Silberarbeiten vertreten, unter denen sich


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[0139] Hnndertundfünfzig Jahre deutscher Kunst Dabei ist dieses Bild Graffs eigenstes Eigentum. In nichts verrät es eine auch nur leicht bewußte Abhängigkeit von anderer Seite. Es bedeutet einen Höhe¬ punkt im deutschen Porträt des achtzehnten Jahrhunderts und weist diesem eine Stelle an, die nicht tiefer als die ist. auf der das parallel gehende Wirken anderer Nationen steht, wenn auch seine Qualitäten zum Teil verschiedene sind. Gerade das aber gereicht ihm wahrlich nicht zur Unehre, vermehrt vielmehr sein Interesse und seinen inneren Wert, denn es erweist es als den echten Aus¬ druck nationalen Wesens. Und so hat denn die Kunst auf manchen Um- und Abwegen, trotz mancher und eifriger Anleihen doch zuletzt ein nationales und eigenes Gepräge sich erworben. Die Bedeutung des Porträts in der Malerei der Zeit wird einem in der Darmstädter Ausstellung noch besonders nahegebracht durch die von Abbe Bernays mit Sammeleifer und Umsicht zusammengestellte „Porträtgalerie des künstlerischen und geistigen Deutschlands". I» ihr findet sich manch köstliches, manch kurioses Stück, so ein seltsam „modern" anmutendes, weil ganz auf sich gestelltes, alle Umwelt vergessendes, wie aus Schmerzen und Erkenntnissen ge¬ borenes Celbstporträt eines frühen Meisters, Ernst Dietrich Andrö, der aus Mitau stammt und 1730 mit 50 Jahren in Paris stirbt; ferner das Selbst¬ porträt des „Kammerdieners und Porträtmalers" Joh. Eh. Morgenstern (geb. 1697), das von der sozialen Stellung der Porträtmaler damaliger Zeit ein gar beredtes Zeugnis ablegt. Sieht doch noch Ziesenis auf seinem dunkel¬ gehaltenen Selbstporträt wie ein mit seiner Stellung ganz zufriedener Kleinbürger aus, und er war doch ein vielbegehrter Hofmaler! Eine andere Sprache dagegen spricht das Selbstporträt des etwas späteren Fr. H, Füger (1751 bis 1818). Der Mann weiß, daß er ein Künstler ist (dabei war er wahrlich keiner der großen): sein lockiges Haar krönt ein wahrer Künstlerhut. ein Halstuch um¬ grenzt kokett das „schöne", fast aufs weiblich pikante hin gemalte Gesicht; ein faltenreicher Mantel hängt von den Schultern herab, und die Arme sind über der Brust derart gekreuzt, daß die eine die Handschuhe scheinbar lässig haltende Hand sichtbar wird. Kein Künstler kann mehr mit sich selber kokettieren, seiner besonderen Stellung und Art sich bewußter sein, als dieser Held des Pinsels. So sind namentlich die Selbstporträts der Künstler aus den verschiedenen Ab¬ schnitten der behandelten 150 Jahre in dieser reichhaltigen Porträtgalerie von hohem individuellen wie kultur- und kunstgeschichtlichen Interesse; ein jedes stellt gleichsam das Resultat einer neuen Drehung des Kaleidoskops dar. Die anderen Abteilungen der Ausstellungen können nur gerade noch erwähnt werden. Man hatte den glücklichen Gedanken der Silhouette, die um die Goethezeit ja vor allem eine so bedeutende Rolle spielt, ein eigenes Kabinett einzuräumen; Professor Anton Kippenberg, der bekannte Leipziger Goethesammler, behandelt in der Einleitung zum Katalog den Gegenstand in seinen Hauptzügen. Von der Plastik der Periode wurde eine Reihe charakteristischer Beispiele herangezogen. Reichhaltiger sind die Silberarbeiten vertreten, unter denen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/139>, abgerufen am 27.07.2024.