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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jcchrc deutscher Runst

und schlichtem Gewände 489). In anderen Stücken, den Porträts der zwei
Künstler King, dem eines Miniaturmalers, und dem des Hofgärtners Reus
Dahuron. nimmt er so manche Errungenschaft des Porträtisten der geistigen
Eule des achtzehnten Jahrhunderts, Anton Graff. vorweg. Er lebte und schaffte
nicht umsonst in dem Staate, dessen Herrscher sich als erster Diener desselben
bezeichnete und bei aller Disziplin, die er verlangte und als notwendig erkannt
hatte, jeden nach seiner Fasson selig werden ließ. Hier stecken -- in der
Richtung des Geistes -- die Wurzeln, aus denen in Deutschland die bürgerliche
Kultur erwuchs, und ihr folgte die Kunst, vor allem das Porträt. Daß diese
Verbürgerlichung langsam, Schritt für Schritt vor sich ging, hing mit den
deutschen Zuständen zusammen, dafür aber erobert sich die neue Art selbst die
Fürsten und ihre Höfe.

Wie ganz anders steht 6s in dieser Beziehung um die gleichzeitigen Porträts
der britischen Malerschule! Zwar auch in ihr finden sich von der Hand Reynolds,
Opies und anderer "bürgerliche" Bildnisse von Gelehrten und sonstigen geistigen
Größen; die Aristokratie aber, Männer wie Frauen, verlangen und erhalten
ihr eigenes Genre, ein Genre, das ganz eigentümlich zwischen zwei Zeitaltern
steht, der alten Zeit noch, der neuen schon angehört und, ob zum Guten, ob
zum Schlechten, das Hauptcharakteristikum und den Hauptruhm der englischen
Malerschule ausmacht. Nur ein Meister steht in seiner "Bürgerlichkeit" und auch
seiner Männlichkeit den Deutschen ganz nahe, übertrifft sie freilich auch zugleich
als Künstler, das ist der große Schotte Raeburn. Da wir einmal bei diesem
Vergleiche sind, dürfte es von Interesse sein, darauf hinzuweisen, welche ver¬
schiedene Rolle im Porträt der zwei Nationen die Frau, besser gesagt die
"Dame" spielt. Aus der deutschen Porträlkunst jener Zeit könnte man sie sich
fast wegdenken, ohne daß diese dadurch einen charakteristischen Zug oder auch
nur viel an Anziehungskraft verlöre. Nimmt man dagegen das Damenbild aus
der britischen Malerei des achtzehnten Jahrhunderts, so raubt man ihr ihre
schönste Zierde und ihr eigenstes Wesen! Und was außer jenen erwähnten
"bürgerlichen" Porträts bliebe, würde nur wie Mondenschein wirken, der ja nur
der Sonne sein Dasein verdankt. Viele der hohen Lords des Gainsborough
und Romney in ihren herrlichen Atlaskleidern sind ja zuerst und zunieist Helden
der Gesellschaft, deren Krönung die Dame ist. Das blieb der englischen Kunst
als Erbe van Dycks, und ein Hogarth konnte es nicht ändern, weil die gesell¬
schaftlichen Zustände dem Aufblühen einer solchen Kunst günstig waren. In
Darmstadt spielt das Frauenporträt eine gar geringe Rolle, und, etwa von
Johann Heinrich Schmidts (1749 bis 1829) reizvollen, locker gemaltem Porträt
seiner jungen Gattin abgesehen, stammen die paar hübschen, ja pikanten Damen¬
bildnisse daselbst von zwei Italienern, dem älteren und jüngeren Lampi, die bis
ins neunzehnte Jahrhundert hinein tätig waren. Im Oeuvre Anton Graffs
finden sich mehrere gut charakterisierte, auch fein gemalte Frauenköpfe, aber eine
besondere "Charme" sucht man in ihnen vergebens. Der eine Tischbein malt


Hundertundfünfzig Jcchrc deutscher Runst

und schlichtem Gewände 489). In anderen Stücken, den Porträts der zwei
Künstler King, dem eines Miniaturmalers, und dem des Hofgärtners Reus
Dahuron. nimmt er so manche Errungenschaft des Porträtisten der geistigen
Eule des achtzehnten Jahrhunderts, Anton Graff. vorweg. Er lebte und schaffte
nicht umsonst in dem Staate, dessen Herrscher sich als erster Diener desselben
bezeichnete und bei aller Disziplin, die er verlangte und als notwendig erkannt
hatte, jeden nach seiner Fasson selig werden ließ. Hier stecken — in der
Richtung des Geistes — die Wurzeln, aus denen in Deutschland die bürgerliche
Kultur erwuchs, und ihr folgte die Kunst, vor allem das Porträt. Daß diese
Verbürgerlichung langsam, Schritt für Schritt vor sich ging, hing mit den
deutschen Zuständen zusammen, dafür aber erobert sich die neue Art selbst die
Fürsten und ihre Höfe.

Wie ganz anders steht 6s in dieser Beziehung um die gleichzeitigen Porträts
der britischen Malerschule! Zwar auch in ihr finden sich von der Hand Reynolds,
Opies und anderer „bürgerliche" Bildnisse von Gelehrten und sonstigen geistigen
Größen; die Aristokratie aber, Männer wie Frauen, verlangen und erhalten
ihr eigenes Genre, ein Genre, das ganz eigentümlich zwischen zwei Zeitaltern
steht, der alten Zeit noch, der neuen schon angehört und, ob zum Guten, ob
zum Schlechten, das Hauptcharakteristikum und den Hauptruhm der englischen
Malerschule ausmacht. Nur ein Meister steht in seiner „Bürgerlichkeit" und auch
seiner Männlichkeit den Deutschen ganz nahe, übertrifft sie freilich auch zugleich
als Künstler, das ist der große Schotte Raeburn. Da wir einmal bei diesem
Vergleiche sind, dürfte es von Interesse sein, darauf hinzuweisen, welche ver¬
schiedene Rolle im Porträt der zwei Nationen die Frau, besser gesagt die
„Dame" spielt. Aus der deutschen Porträlkunst jener Zeit könnte man sie sich
fast wegdenken, ohne daß diese dadurch einen charakteristischen Zug oder auch
nur viel an Anziehungskraft verlöre. Nimmt man dagegen das Damenbild aus
der britischen Malerei des achtzehnten Jahrhunderts, so raubt man ihr ihre
schönste Zierde und ihr eigenstes Wesen! Und was außer jenen erwähnten
„bürgerlichen" Porträts bliebe, würde nur wie Mondenschein wirken, der ja nur
der Sonne sein Dasein verdankt. Viele der hohen Lords des Gainsborough
und Romney in ihren herrlichen Atlaskleidern sind ja zuerst und zunieist Helden
der Gesellschaft, deren Krönung die Dame ist. Das blieb der englischen Kunst
als Erbe van Dycks, und ein Hogarth konnte es nicht ändern, weil die gesell¬
schaftlichen Zustände dem Aufblühen einer solchen Kunst günstig waren. In
Darmstadt spielt das Frauenporträt eine gar geringe Rolle, und, etwa von
Johann Heinrich Schmidts (1749 bis 1829) reizvollen, locker gemaltem Porträt
seiner jungen Gattin abgesehen, stammen die paar hübschen, ja pikanten Damen¬
bildnisse daselbst von zwei Italienern, dem älteren und jüngeren Lampi, die bis
ins neunzehnte Jahrhundert hinein tätig waren. Im Oeuvre Anton Graffs
finden sich mehrere gut charakterisierte, auch fein gemalte Frauenköpfe, aber eine
besondere „Charme" sucht man in ihnen vergebens. Der eine Tischbein malt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/136>, abgerufen am 23.12.2024.