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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hnnderwndfünfzig Jahre deutscher Runst

die Prüfung bestanden. Geßner ist, wenigstens in diesen Werken, als Sieger
aus ihr hervorgegangen.

Daß eine so selbstbewußte, rationalistisch gesinnte Zeit, wie die in Darmstadt ver¬
tretene, in der Malerei ihren Hauptausdruck im Porträt findet, ist nur zu begreiflich,
und daher schreibt sich denn auch dessen numerisches Übergewicht über die anderen
Gebiete in den Darmstädter Ausstellungssälen. Werke wie Künstler dieses Genres
aus jener Zeit sind auch schon bisher am besten bekannt gewesen, aber in
Darmstadt kann man nun wie in einem Bilderbuch die Entwicklung des Porträts
ablesen, kann bisher wenig bekannte Künstler an zum Teil zahlreichen und
charakteristischen Werken aus unzugänglichen Privatsammlungen studieren und
wohlbekannte von bisher fast ungeahnter Seite sehen. Und so rundet sich auch
dieser Kunstzweig erst hier zum ganzen Bilde mit den richtigen Perspektiven, den
deutlichen Details und dem vollen Gesamteindruck.

Am Anfang der Periode steht eine Reihe Künstler, die sich mehr oder
weniger eng an die Niederländer anschließen, dabei aber doch genügend Vitalität
besitzen, um nicht bloß nach einem abgelernten Schema Porträt auf Porträt
herunterzustreichen. Vielmehr wird ihnen ihre Arbeit zum künstlerischen Ereignis,
und darum lebt in den einzelnen Werken auch etwas Eigenes. Ein solcher
Künstler ist vor allem Johann Kupetzky (1667 bis 1740), ist der bekannte
Frankfurter Joachim von Sandrart (1606 bis 1688), ist ferner Johann Heinrich
Roos (1631 bis 1685), auch als Tiermaler hochgeschätzt, dessen keckes Selbst¬
bildnis ihn als einen Glücksritter schildert, als habe er schon im Dreißigjährigen
Kriege angetan; sodann der Danziger Andreas stech (1635 bis 1697), der
Prager Carl Screta (1610 bis 1674) und so mancher andere. Von Balthasar
Denner (1685 bis 1749) war schon einmal die Rede, und auch davon, daß
er einem noch kleinlich und enggesinnten, gleichsam noch in Fesseln gehenden
Bürgertum zu Willen malen mußte.

Bald aber nahm eine andere Kategorie von Porträtisten die weithinsichtbare
Mitte der Bühne ein: die vielen Hofmaler. Die Zeit des französischen Ein¬
flusses, die Zeit der Perücken begann. Pomp und Haltung, Kleidung und
Beigabe, alle zu einer Schablone vereinigt, erstickten das Menschliche und auch
das Individuelle. Über diese peinliche Periode ist es am besten schnell Hinweg¬
zugleiten und sich erfreulicheren Erscheinungen zuzuwenden. Und solche tauchen
auch früh genug auf. Aber auch unter den vielgcschmühten "Hofmalern" finden
sich einige, die ihr Künstlertum durch ihre Werke beweisen, so der schon einmal
erwähnte Mertens und der Wiener Hofmaler van Nov. den man erst wieder
aus den Archiven hat ausgraben müssen, und dem ein stattliches Reiterporträt
gehört, das früher unter fremden: Namen ging (/".. 553). Ein Maler, den man
bisher nur als "Hofmaler" gekannt und danach eingeschätzt hatte, A. Pesne,
den sich Friedrich der Große aus Frankreich hatte kommen lassen, erweist sich
hier durch eine Anzahl "bürgerlicher" Porträts schon als ein Vorläufer der-
selben; so namentlich in dem Porträt eines jungen Bürgermädchens in Strohhut


Hnnderwndfünfzig Jahre deutscher Runst

die Prüfung bestanden. Geßner ist, wenigstens in diesen Werken, als Sieger
aus ihr hervorgegangen.

Daß eine so selbstbewußte, rationalistisch gesinnte Zeit, wie die in Darmstadt ver¬
tretene, in der Malerei ihren Hauptausdruck im Porträt findet, ist nur zu begreiflich,
und daher schreibt sich denn auch dessen numerisches Übergewicht über die anderen
Gebiete in den Darmstädter Ausstellungssälen. Werke wie Künstler dieses Genres
aus jener Zeit sind auch schon bisher am besten bekannt gewesen, aber in
Darmstadt kann man nun wie in einem Bilderbuch die Entwicklung des Porträts
ablesen, kann bisher wenig bekannte Künstler an zum Teil zahlreichen und
charakteristischen Werken aus unzugänglichen Privatsammlungen studieren und
wohlbekannte von bisher fast ungeahnter Seite sehen. Und so rundet sich auch
dieser Kunstzweig erst hier zum ganzen Bilde mit den richtigen Perspektiven, den
deutlichen Details und dem vollen Gesamteindruck.

Am Anfang der Periode steht eine Reihe Künstler, die sich mehr oder
weniger eng an die Niederländer anschließen, dabei aber doch genügend Vitalität
besitzen, um nicht bloß nach einem abgelernten Schema Porträt auf Porträt
herunterzustreichen. Vielmehr wird ihnen ihre Arbeit zum künstlerischen Ereignis,
und darum lebt in den einzelnen Werken auch etwas Eigenes. Ein solcher
Künstler ist vor allem Johann Kupetzky (1667 bis 1740), ist der bekannte
Frankfurter Joachim von Sandrart (1606 bis 1688), ist ferner Johann Heinrich
Roos (1631 bis 1685), auch als Tiermaler hochgeschätzt, dessen keckes Selbst¬
bildnis ihn als einen Glücksritter schildert, als habe er schon im Dreißigjährigen
Kriege angetan; sodann der Danziger Andreas stech (1635 bis 1697), der
Prager Carl Screta (1610 bis 1674) und so mancher andere. Von Balthasar
Denner (1685 bis 1749) war schon einmal die Rede, und auch davon, daß
er einem noch kleinlich und enggesinnten, gleichsam noch in Fesseln gehenden
Bürgertum zu Willen malen mußte.

Bald aber nahm eine andere Kategorie von Porträtisten die weithinsichtbare
Mitte der Bühne ein: die vielen Hofmaler. Die Zeit des französischen Ein¬
flusses, die Zeit der Perücken begann. Pomp und Haltung, Kleidung und
Beigabe, alle zu einer Schablone vereinigt, erstickten das Menschliche und auch
das Individuelle. Über diese peinliche Periode ist es am besten schnell Hinweg¬
zugleiten und sich erfreulicheren Erscheinungen zuzuwenden. Und solche tauchen
auch früh genug auf. Aber auch unter den vielgcschmühten „Hofmalern" finden
sich einige, die ihr Künstlertum durch ihre Werke beweisen, so der schon einmal
erwähnte Mertens und der Wiener Hofmaler van Nov. den man erst wieder
aus den Archiven hat ausgraben müssen, und dem ein stattliches Reiterporträt
gehört, das früher unter fremden: Namen ging (/».. 553). Ein Maler, den man
bisher nur als „Hofmaler" gekannt und danach eingeschätzt hatte, A. Pesne,
den sich Friedrich der Große aus Frankreich hatte kommen lassen, erweist sich
hier durch eine Anzahl „bürgerlicher" Porträts schon als ein Vorläufer der-
selben; so namentlich in dem Porträt eines jungen Bürgermädchens in Strohhut


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[0135] Hnnderwndfünfzig Jahre deutscher Runst die Prüfung bestanden. Geßner ist, wenigstens in diesen Werken, als Sieger aus ihr hervorgegangen. Daß eine so selbstbewußte, rationalistisch gesinnte Zeit, wie die in Darmstadt ver¬ tretene, in der Malerei ihren Hauptausdruck im Porträt findet, ist nur zu begreiflich, und daher schreibt sich denn auch dessen numerisches Übergewicht über die anderen Gebiete in den Darmstädter Ausstellungssälen. Werke wie Künstler dieses Genres aus jener Zeit sind auch schon bisher am besten bekannt gewesen, aber in Darmstadt kann man nun wie in einem Bilderbuch die Entwicklung des Porträts ablesen, kann bisher wenig bekannte Künstler an zum Teil zahlreichen und charakteristischen Werken aus unzugänglichen Privatsammlungen studieren und wohlbekannte von bisher fast ungeahnter Seite sehen. Und so rundet sich auch dieser Kunstzweig erst hier zum ganzen Bilde mit den richtigen Perspektiven, den deutlichen Details und dem vollen Gesamteindruck. Am Anfang der Periode steht eine Reihe Künstler, die sich mehr oder weniger eng an die Niederländer anschließen, dabei aber doch genügend Vitalität besitzen, um nicht bloß nach einem abgelernten Schema Porträt auf Porträt herunterzustreichen. Vielmehr wird ihnen ihre Arbeit zum künstlerischen Ereignis, und darum lebt in den einzelnen Werken auch etwas Eigenes. Ein solcher Künstler ist vor allem Johann Kupetzky (1667 bis 1740), ist der bekannte Frankfurter Joachim von Sandrart (1606 bis 1688), ist ferner Johann Heinrich Roos (1631 bis 1685), auch als Tiermaler hochgeschätzt, dessen keckes Selbst¬ bildnis ihn als einen Glücksritter schildert, als habe er schon im Dreißigjährigen Kriege angetan; sodann der Danziger Andreas stech (1635 bis 1697), der Prager Carl Screta (1610 bis 1674) und so mancher andere. Von Balthasar Denner (1685 bis 1749) war schon einmal die Rede, und auch davon, daß er einem noch kleinlich und enggesinnten, gleichsam noch in Fesseln gehenden Bürgertum zu Willen malen mußte. Bald aber nahm eine andere Kategorie von Porträtisten die weithinsichtbare Mitte der Bühne ein: die vielen Hofmaler. Die Zeit des französischen Ein¬ flusses, die Zeit der Perücken begann. Pomp und Haltung, Kleidung und Beigabe, alle zu einer Schablone vereinigt, erstickten das Menschliche und auch das Individuelle. Über diese peinliche Periode ist es am besten schnell Hinweg¬ zugleiten und sich erfreulicheren Erscheinungen zuzuwenden. Und solche tauchen auch früh genug auf. Aber auch unter den vielgcschmühten „Hofmalern" finden sich einige, die ihr Künstlertum durch ihre Werke beweisen, so der schon einmal erwähnte Mertens und der Wiener Hofmaler van Nov. den man erst wieder aus den Archiven hat ausgraben müssen, und dem ein stattliches Reiterporträt gehört, das früher unter fremden: Namen ging (/».. 553). Ein Maler, den man bisher nur als „Hofmaler" gekannt und danach eingeschätzt hatte, A. Pesne, den sich Friedrich der Große aus Frankreich hatte kommen lassen, erweist sich hier durch eine Anzahl „bürgerlicher" Porträts schon als ein Vorläufer der- selben; so namentlich in dem Porträt eines jungen Bürgermädchens in Strohhut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/135>, abgerufen am 27.07.2024.