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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertnndfimfzig Jahre deutscher Aunst

schaften" öfters trefflich studieite Kühe gestellt werden, die auch malerisch dem
Bilde zum Vorteil gereichen. Ähnliches läßt sich von anderen Malern der Zeit
und auch schon früherer Jahre sagen, z. B. von Anton Feistenberger (1678
bis 1722), der auch in Wien tätig war.

Dann kommen wir zu einem Werk, das in seiner schlichten Inti¬
mität geradezu erstaunlich ist. Von 1742 bis 1765 lebte und schaffte
in Wien ein junger Künstler I. Dorsmeister, der, kaum daß sein Auge
den Schönheiten der Heimat sich erschlossen hatte, dahingehen mußte. Er
gehört in die Reihe der oben erwähnten Waldeinsamkeitsmaler. Alle
anderen Stimmen schweigen; nur die Heimat und der Wald sprechen ihre ewige
Sprache zu ihrem Sohne, der sie versteht, und wie ein Ahnen kommender
Freuden bricht das Sonnenlicht durch die Zweige. Ganz bescheiden nur erscheint
der Mensch, repräsentiert durch eine kleine Gruppe rechts im Vordergrund. Im
Thema war damit die Natur selber erobert. Maler wie Dorfmeister sind
offenbar, wie einst schon Elsheimer, in die Wälder und Felder gezogen, haben
sich dort von deren Stimmung vollgesaugt und sind dann in ihr Atelier zurück¬
gekehrt, um die Vision auf die Leinwand zu bannen. Das Studium einzelner
Phänomen", der Formation bestimmter Bäume und ihrer Zweige usw., half
zur Verlebendigung; an ein eigentliches Freilichtmalen freilich dachte wohl noch
niemand. Selbst eine viel spätere, wahrhaft "intime" Landschaft, die in ihrer
ganzen Stimmung an die Kunst der Barbizonmeister denken läßt -- Johann
Friedrich Weitschens (1723 bis 1803) "ehemaliger Eichwald bei Querum, unweit
Braunschweig," aus dem Jahre 1784 -- ist wohl vor der Natur skizziert aber
offenbar im Atelier dann etwas "arrangiert" und gemalt worden, wobei Con-
stables berühmter "brauner Baum" -- statt des blühenden Grün der Natur,
auf das Constable schon in seiner Jugend ganz instinktiv aus war -- dem
Bilde eben ein etwas atelierhaftes Aussehen gibt. Seltsam ist es aber, daß
Weitschens Landschaft, trotz eines gewissen Arrangements in der Placierung der
Kühe usw., in ihrem scheinbaren Vermeiden einer "Komposition" viel näher der
Natur bleibt als Constable in vielen seiner ausgeführten Gemälde, die noch im
Aufbau an das große Muster, Claude Lorrain, anknüpfen. Und das gilt nicht
bloß von Weitschens Bilde. Man darf sagen, daß die der Natur sich hin¬
gebenden deutschen Landschafter des achtzehnten Jahrhunderts im Ausschnitt
selbständiger neue Wege wandelten als teilweise der spätere Constable. in der
malerischen Ausführung dagegen mehr am alten hängen blieben als dieser.
Aber selbst darin kommt ihm da und dort einmal einer nahe, und sei es auch
nur in einem Teil eines Bildes, wie z. B. der in seinen Landschaften durchaus
nicht gleichmäßig "moderne" Schweizer Aberli (1723 bis 1786), der in seinem
"Oberhaslital", neben mehr schematisch Geschehenem, im Vordergrund eine Alm¬
hütte mit Wiese, ein paar Kühe und Figuren malt, wie sie "echter" und dabei
durchgefühlter kaum zu denken sind. In diesem Ausschnitt ist, wie in Con-
stableschen Skizzen, jeder Quadratzoll malerisch belebt,' und wie bei ihm werden


Hundertnndfimfzig Jahre deutscher Aunst

schaften" öfters trefflich studieite Kühe gestellt werden, die auch malerisch dem
Bilde zum Vorteil gereichen. Ähnliches läßt sich von anderen Malern der Zeit
und auch schon früherer Jahre sagen, z. B. von Anton Feistenberger (1678
bis 1722), der auch in Wien tätig war.

Dann kommen wir zu einem Werk, das in seiner schlichten Inti¬
mität geradezu erstaunlich ist. Von 1742 bis 1765 lebte und schaffte
in Wien ein junger Künstler I. Dorsmeister, der, kaum daß sein Auge
den Schönheiten der Heimat sich erschlossen hatte, dahingehen mußte. Er
gehört in die Reihe der oben erwähnten Waldeinsamkeitsmaler. Alle
anderen Stimmen schweigen; nur die Heimat und der Wald sprechen ihre ewige
Sprache zu ihrem Sohne, der sie versteht, und wie ein Ahnen kommender
Freuden bricht das Sonnenlicht durch die Zweige. Ganz bescheiden nur erscheint
der Mensch, repräsentiert durch eine kleine Gruppe rechts im Vordergrund. Im
Thema war damit die Natur selber erobert. Maler wie Dorfmeister sind
offenbar, wie einst schon Elsheimer, in die Wälder und Felder gezogen, haben
sich dort von deren Stimmung vollgesaugt und sind dann in ihr Atelier zurück¬
gekehrt, um die Vision auf die Leinwand zu bannen. Das Studium einzelner
Phänomen«, der Formation bestimmter Bäume und ihrer Zweige usw., half
zur Verlebendigung; an ein eigentliches Freilichtmalen freilich dachte wohl noch
niemand. Selbst eine viel spätere, wahrhaft „intime" Landschaft, die in ihrer
ganzen Stimmung an die Kunst der Barbizonmeister denken läßt — Johann
Friedrich Weitschens (1723 bis 1803) „ehemaliger Eichwald bei Querum, unweit
Braunschweig," aus dem Jahre 1784 — ist wohl vor der Natur skizziert aber
offenbar im Atelier dann etwas „arrangiert" und gemalt worden, wobei Con-
stables berühmter „brauner Baum" — statt des blühenden Grün der Natur,
auf das Constable schon in seiner Jugend ganz instinktiv aus war — dem
Bilde eben ein etwas atelierhaftes Aussehen gibt. Seltsam ist es aber, daß
Weitschens Landschaft, trotz eines gewissen Arrangements in der Placierung der
Kühe usw., in ihrem scheinbaren Vermeiden einer „Komposition" viel näher der
Natur bleibt als Constable in vielen seiner ausgeführten Gemälde, die noch im
Aufbau an das große Muster, Claude Lorrain, anknüpfen. Und das gilt nicht
bloß von Weitschens Bilde. Man darf sagen, daß die der Natur sich hin¬
gebenden deutschen Landschafter des achtzehnten Jahrhunderts im Ausschnitt
selbständiger neue Wege wandelten als teilweise der spätere Constable. in der
malerischen Ausführung dagegen mehr am alten hängen blieben als dieser.
Aber selbst darin kommt ihm da und dort einmal einer nahe, und sei es auch
nur in einem Teil eines Bildes, wie z. B. der in seinen Landschaften durchaus
nicht gleichmäßig „moderne" Schweizer Aberli (1723 bis 1786), der in seinem
„Oberhaslital", neben mehr schematisch Geschehenem, im Vordergrund eine Alm¬
hütte mit Wiese, ein paar Kühe und Figuren malt, wie sie „echter" und dabei
durchgefühlter kaum zu denken sind. In diesem Ausschnitt ist, wie in Con-
stableschen Skizzen, jeder Quadratzoll malerisch belebt,' und wie bei ihm werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/132>, abgerufen am 27.07.2024.