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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertmidfüufzig Jahre deutscher Kunst

lebhafte kleine Farbenflecke, ein Rot, ein Weiß benutzt, um die grüne Grund¬
stimmung zu heben.

Diese "natürliche" Landschaft, die auch immer neue Stoffgebiete an sich
zieht, ist, ebenso wie die "natürliche" Poesie der Zeit, auf keine bestimmte "Schule"
beschränkt, wohl der beste Beweis, daß im Geistesleben der Zeit innerhalb der
deutschsprachigen Länder gewisse Tendenzen ein solches Wirken ermöglichten, wie
sehr auch andere kreuzende Strömungen immer von neuem Hindernisse erzeugten.
Daß in Darmstadt die Schweizer -- neben dem genannten Aberli ein Conrad
Küster, ein Johann Caspar Huber u. a. -- eine besonders starke Gruppe von
Landschaftern zu bilden scheinen, ist wohl mehr dem zufälligen Umstände zuzu¬
schreiben, daß sie in einem verhältnismäßig kleinen Raum vereinigt sind, während
die Werke der anderen Landschafter vereinzelt da und dort hängen. Immerhin
mag es kein Zufall sein, daß gerade aus der Schweiz eine größere Anzahl
solcher Landschaften stammt.

Geholfen wurde der "natürlichen" Landschaft offenbar durch den Wunsch
so mancher, Ansichten bestimmter ferner und auch naher Gegenden als ein An¬
denken an Reisen usw. zu besitzen; denn das bedeutete das Studium eines ganz
bestimmten, seinen besonderen Charakter besitzenden Stückes Landschaft, was das
Auge des Malers und Beschauers wesentlich beeinflussen mußte. Machten sich
nur handwerklich schaffende Maler an solche Bilder, so entstanden "Veduten",
Vorläufer unserer Photographien sozusagen. Aber wenn ein Künstler am Werk
war, wie in so manchen in Darmstadt ausgestellten Stücken, so kommen Ge¬
mälde zustande, die je nach dem Temperament und der Schulung des Malers
wohl in der Art ihrer Darstellung mal mehr nach der heroisch klassischen, mal
mehr nach der romantischen Seite hinneigen, doch aber zur "natürlichen" Land¬
schaftsschule gerechnet werden können, Solche Bilder sind u. a. Chr. G. Schützers
(1718 bis 1791) "Weißenau bei Mainz"; Georg M. Kraus' (1737 bis 1806)
"Ansicht von Weimar" und des Darmstädter Maler Heinrich Schmidts (17-19
bis 1829) "Lager bei Groß-Gerau", ein fein luminöses Werk. Auch des
Thüringer A. F. Rauschers (1754 bis 1808) Landschaften darf man hierher
rechnen. Aus ihnen sprechen schon deutlich die erwachende Liebe, die Hingabe
zur umgebenden Natur, die Wanderlust und romantisches Schwärmen. Sie
unter uns an, wie ein allerdings etwas sanftes Echo zu Goethes Jugendlyrik,
wie sehr Rauscher auch manchmal Felsen türmt und Wasserfälle zu Tal
stürzen läßt.

Und all die Zeit hindurch hatte die Antike -- freilich nicht sie selber, sondern
nur Spiegelbilder von ihr, verändert je nach dem Auge und dem es dirigierenden
Geiste verschiedenster, auch kaun, zu den eigentlichen Quellen zurückgehender Be¬
schauer, verzerrt oft genug wie Bilder in konkavem oder konvexen Spiegeln --
einen mal an-, mal abschwellenden Einfluß auf das ganze Geistes- und damit
Kunstleben der Zeit ausgeübt. In allen möglichen Verkleidungen tut er sich
kund, findet in den "Akademien" starke Burgen, und in den Gelehrten und


Hundertmidfüufzig Jahre deutscher Kunst

lebhafte kleine Farbenflecke, ein Rot, ein Weiß benutzt, um die grüne Grund¬
stimmung zu heben.

Diese „natürliche" Landschaft, die auch immer neue Stoffgebiete an sich
zieht, ist, ebenso wie die „natürliche" Poesie der Zeit, auf keine bestimmte „Schule"
beschränkt, wohl der beste Beweis, daß im Geistesleben der Zeit innerhalb der
deutschsprachigen Länder gewisse Tendenzen ein solches Wirken ermöglichten, wie
sehr auch andere kreuzende Strömungen immer von neuem Hindernisse erzeugten.
Daß in Darmstadt die Schweizer — neben dem genannten Aberli ein Conrad
Küster, ein Johann Caspar Huber u. a. — eine besonders starke Gruppe von
Landschaftern zu bilden scheinen, ist wohl mehr dem zufälligen Umstände zuzu¬
schreiben, daß sie in einem verhältnismäßig kleinen Raum vereinigt sind, während
die Werke der anderen Landschafter vereinzelt da und dort hängen. Immerhin
mag es kein Zufall sein, daß gerade aus der Schweiz eine größere Anzahl
solcher Landschaften stammt.

Geholfen wurde der „natürlichen" Landschaft offenbar durch den Wunsch
so mancher, Ansichten bestimmter ferner und auch naher Gegenden als ein An¬
denken an Reisen usw. zu besitzen; denn das bedeutete das Studium eines ganz
bestimmten, seinen besonderen Charakter besitzenden Stückes Landschaft, was das
Auge des Malers und Beschauers wesentlich beeinflussen mußte. Machten sich
nur handwerklich schaffende Maler an solche Bilder, so entstanden „Veduten",
Vorläufer unserer Photographien sozusagen. Aber wenn ein Künstler am Werk
war, wie in so manchen in Darmstadt ausgestellten Stücken, so kommen Ge¬
mälde zustande, die je nach dem Temperament und der Schulung des Malers
wohl in der Art ihrer Darstellung mal mehr nach der heroisch klassischen, mal
mehr nach der romantischen Seite hinneigen, doch aber zur „natürlichen" Land¬
schaftsschule gerechnet werden können, Solche Bilder sind u. a. Chr. G. Schützers
(1718 bis 1791) „Weißenau bei Mainz"; Georg M. Kraus' (1737 bis 1806)
„Ansicht von Weimar" und des Darmstädter Maler Heinrich Schmidts (17-19
bis 1829) „Lager bei Groß-Gerau", ein fein luminöses Werk. Auch des
Thüringer A. F. Rauschers (1754 bis 1808) Landschaften darf man hierher
rechnen. Aus ihnen sprechen schon deutlich die erwachende Liebe, die Hingabe
zur umgebenden Natur, die Wanderlust und romantisches Schwärmen. Sie
unter uns an, wie ein allerdings etwas sanftes Echo zu Goethes Jugendlyrik,
wie sehr Rauscher auch manchmal Felsen türmt und Wasserfälle zu Tal
stürzen läßt.

Und all die Zeit hindurch hatte die Antike — freilich nicht sie selber, sondern
nur Spiegelbilder von ihr, verändert je nach dem Auge und dem es dirigierenden
Geiste verschiedenster, auch kaun, zu den eigentlichen Quellen zurückgehender Be¬
schauer, verzerrt oft genug wie Bilder in konkavem oder konvexen Spiegeln —
einen mal an-, mal abschwellenden Einfluß auf das ganze Geistes- und damit
Kunstleben der Zeit ausgeübt. In allen möglichen Verkleidungen tut er sich
kund, findet in den „Akademien" starke Burgen, und in den Gelehrten und


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[0133] Hundertmidfüufzig Jahre deutscher Kunst lebhafte kleine Farbenflecke, ein Rot, ein Weiß benutzt, um die grüne Grund¬ stimmung zu heben. Diese „natürliche" Landschaft, die auch immer neue Stoffgebiete an sich zieht, ist, ebenso wie die „natürliche" Poesie der Zeit, auf keine bestimmte „Schule" beschränkt, wohl der beste Beweis, daß im Geistesleben der Zeit innerhalb der deutschsprachigen Länder gewisse Tendenzen ein solches Wirken ermöglichten, wie sehr auch andere kreuzende Strömungen immer von neuem Hindernisse erzeugten. Daß in Darmstadt die Schweizer — neben dem genannten Aberli ein Conrad Küster, ein Johann Caspar Huber u. a. — eine besonders starke Gruppe von Landschaftern zu bilden scheinen, ist wohl mehr dem zufälligen Umstände zuzu¬ schreiben, daß sie in einem verhältnismäßig kleinen Raum vereinigt sind, während die Werke der anderen Landschafter vereinzelt da und dort hängen. Immerhin mag es kein Zufall sein, daß gerade aus der Schweiz eine größere Anzahl solcher Landschaften stammt. Geholfen wurde der „natürlichen" Landschaft offenbar durch den Wunsch so mancher, Ansichten bestimmter ferner und auch naher Gegenden als ein An¬ denken an Reisen usw. zu besitzen; denn das bedeutete das Studium eines ganz bestimmten, seinen besonderen Charakter besitzenden Stückes Landschaft, was das Auge des Malers und Beschauers wesentlich beeinflussen mußte. Machten sich nur handwerklich schaffende Maler an solche Bilder, so entstanden „Veduten", Vorläufer unserer Photographien sozusagen. Aber wenn ein Künstler am Werk war, wie in so manchen in Darmstadt ausgestellten Stücken, so kommen Ge¬ mälde zustande, die je nach dem Temperament und der Schulung des Malers wohl in der Art ihrer Darstellung mal mehr nach der heroisch klassischen, mal mehr nach der romantischen Seite hinneigen, doch aber zur „natürlichen" Land¬ schaftsschule gerechnet werden können, Solche Bilder sind u. a. Chr. G. Schützers (1718 bis 1791) „Weißenau bei Mainz"; Georg M. Kraus' (1737 bis 1806) „Ansicht von Weimar" und des Darmstädter Maler Heinrich Schmidts (17-19 bis 1829) „Lager bei Groß-Gerau", ein fein luminöses Werk. Auch des Thüringer A. F. Rauschers (1754 bis 1808) Landschaften darf man hierher rechnen. Aus ihnen sprechen schon deutlich die erwachende Liebe, die Hingabe zur umgebenden Natur, die Wanderlust und romantisches Schwärmen. Sie unter uns an, wie ein allerdings etwas sanftes Echo zu Goethes Jugendlyrik, wie sehr Rauscher auch manchmal Felsen türmt und Wasserfälle zu Tal stürzen läßt. Und all die Zeit hindurch hatte die Antike — freilich nicht sie selber, sondern nur Spiegelbilder von ihr, verändert je nach dem Auge und dem es dirigierenden Geiste verschiedenster, auch kaun, zu den eigentlichen Quellen zurückgehender Be¬ schauer, verzerrt oft genug wie Bilder in konkavem oder konvexen Spiegeln — einen mal an-, mal abschwellenden Einfluß auf das ganze Geistes- und damit Kunstleben der Zeit ausgeübt. In allen möglichen Verkleidungen tut er sich kund, findet in den „Akademien" starke Burgen, und in den Gelehrten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/133>, abgerufen am 22.12.2024.