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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

in der Poesie des achtzehnten Jahrhunderts kam sie verhältnismäßig früh zu
Worte, aber, so hatte man gemeint, kein Maler ließ sich durch die Gesänge
der Dichter anregen seiner Kunst ihr eigenstes Gebiet zurückzuerobern. Daß
diese Ansicht nicht ganz den Tatsachen entspricht, beweist gerade die Darmstädter
Ausstellung. Wahr freilich ist, daß für lange Zeit die Landschaft fast ver¬
gessen scheint, doch in einzelnen Künstlern da und dort lebt sie wieder auf; sie
händigten gleichsam die heilige Fackel der Naturverehrung von Generation zu
Generation. In einem der Darmstädter Säle hängt ein kleines Bild auf Kupfer
von Johannes König, der nach 1665 gestorben ist. Von ihm glaubt man,
daß er ein persönlicher Schüler Elsheimers in Rom gewesen. Das Bildchen
heißt "Susanna im Bade", und ganz links vorn kniet auch Susanna, ein
vorzüglicher Alt, in leuchtender Nackheit, und ihre hellen Gewände hängen ganz
rechts an einem Ast, wie um dem Akt malerisch die Wage zu halten. Was
das Bild aber fast zu einem Wunder in der damaligen Zeit macht, ist seine
Waldlandschaft, ein geheimnisvoller, tiefdunkler Wald, über dem ein da und
dort mit Bäumen bestandener, mattenreicher und burggekrönter Hügel sanft
und breit emporsteigt. Der leuchtend blaue Himmel läßt an italienische Ein¬
drücke denken, die ganze Stimmung aber hat etwas spezifisch deutsches. Das
Werk gehört zu den Bildern, in denen -- seit Altdorfer -- der Deutschen
Liebe und Sehnsucht zur Waldeinsamkeit Gestalt gewonnen hat.

Dann vergeht eine Zeit, in der die Landschaft nur als Hintergrund,
schablonenhaft gesehen und durchgeführt, wie durch ein Hinterpförtchen
in die hohen Hallen der Kunst zugelassen wird. Im Anschluß an fremde
Muster freilich wird ihr da und dort, z. B. in Matthias Sehens schon erwähnten
religiösem Bilde, auch in seinem "Wein. Weib und Gesang" und "Spaziergang",
ferner in einigen Landschaften mit Staffage aus der Mark Brandenburg, die
ein Schüler A. Pesnes, ein gewisser Dubois, geschaffen, eine wichtigere Rolle
überwiesen, aber sie wird da fast wie etwas Fremdes behandelt. Einen andern
Ton schlägt schon der ältere Brand, Christian Hilfgott (1693 bis 1766), an.
der aus Frankfurt a. Oder stammte und später in Wien tätig war. In einem
kleinen Genrebild auf Kupfer, das dem Herzog von Anhalt gehört, schildert er
z. B. zwei Bauern oder Vaganten, die sich in einer Landschaft niedergelassen
haben. Der eine liegt auf dem Rasen im Vordergrund, der andere schaut, in
großer Silhouette dastehend, in die weit sich dehnende Ferne. Links steigt über
einem Fluß ein Felsen mit überhängendem Gestrüpp auf. Dieses Stück ist
schon mit eigenen Augen gesehen, seine Atmosphäre ist gefühlt; es spricht Freude
an freier Natur und am Wandern daraus. Der Fels und das Gestrüpp
beweisen eifriges Studium nach der Natur. In Landschaften seines Sohnes,
Johann Christian Brand (1723 bis 1796). streiten sich deutlich zwei Seelen
um die Herrschaft; die eine hat schon an dem vielen zum Verderben gereichenden
Quell der Antike sich genährt -- und zwar nicht aus erster Hand --, die andere
sieht offenen Auges um sich. So kommt es, daß in "heroische Jdealland-


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

in der Poesie des achtzehnten Jahrhunderts kam sie verhältnismäßig früh zu
Worte, aber, so hatte man gemeint, kein Maler ließ sich durch die Gesänge
der Dichter anregen seiner Kunst ihr eigenstes Gebiet zurückzuerobern. Daß
diese Ansicht nicht ganz den Tatsachen entspricht, beweist gerade die Darmstädter
Ausstellung. Wahr freilich ist, daß für lange Zeit die Landschaft fast ver¬
gessen scheint, doch in einzelnen Künstlern da und dort lebt sie wieder auf; sie
händigten gleichsam die heilige Fackel der Naturverehrung von Generation zu
Generation. In einem der Darmstädter Säle hängt ein kleines Bild auf Kupfer
von Johannes König, der nach 1665 gestorben ist. Von ihm glaubt man,
daß er ein persönlicher Schüler Elsheimers in Rom gewesen. Das Bildchen
heißt „Susanna im Bade", und ganz links vorn kniet auch Susanna, ein
vorzüglicher Alt, in leuchtender Nackheit, und ihre hellen Gewände hängen ganz
rechts an einem Ast, wie um dem Akt malerisch die Wage zu halten. Was
das Bild aber fast zu einem Wunder in der damaligen Zeit macht, ist seine
Waldlandschaft, ein geheimnisvoller, tiefdunkler Wald, über dem ein da und
dort mit Bäumen bestandener, mattenreicher und burggekrönter Hügel sanft
und breit emporsteigt. Der leuchtend blaue Himmel läßt an italienische Ein¬
drücke denken, die ganze Stimmung aber hat etwas spezifisch deutsches. Das
Werk gehört zu den Bildern, in denen — seit Altdorfer — der Deutschen
Liebe und Sehnsucht zur Waldeinsamkeit Gestalt gewonnen hat.

Dann vergeht eine Zeit, in der die Landschaft nur als Hintergrund,
schablonenhaft gesehen und durchgeführt, wie durch ein Hinterpförtchen
in die hohen Hallen der Kunst zugelassen wird. Im Anschluß an fremde
Muster freilich wird ihr da und dort, z. B. in Matthias Sehens schon erwähnten
religiösem Bilde, auch in seinem „Wein. Weib und Gesang" und „Spaziergang",
ferner in einigen Landschaften mit Staffage aus der Mark Brandenburg, die
ein Schüler A. Pesnes, ein gewisser Dubois, geschaffen, eine wichtigere Rolle
überwiesen, aber sie wird da fast wie etwas Fremdes behandelt. Einen andern
Ton schlägt schon der ältere Brand, Christian Hilfgott (1693 bis 1766), an.
der aus Frankfurt a. Oder stammte und später in Wien tätig war. In einem
kleinen Genrebild auf Kupfer, das dem Herzog von Anhalt gehört, schildert er
z. B. zwei Bauern oder Vaganten, die sich in einer Landschaft niedergelassen
haben. Der eine liegt auf dem Rasen im Vordergrund, der andere schaut, in
großer Silhouette dastehend, in die weit sich dehnende Ferne. Links steigt über
einem Fluß ein Felsen mit überhängendem Gestrüpp auf. Dieses Stück ist
schon mit eigenen Augen gesehen, seine Atmosphäre ist gefühlt; es spricht Freude
an freier Natur und am Wandern daraus. Der Fels und das Gestrüpp
beweisen eifriges Studium nach der Natur. In Landschaften seines Sohnes,
Johann Christian Brand (1723 bis 1796). streiten sich deutlich zwei Seelen
um die Herrschaft; die eine hat schon an dem vielen zum Verderben gereichenden
Quell der Antike sich genährt — und zwar nicht aus erster Hand —, die andere
sieht offenen Auges um sich. So kommt es, daß in „heroische Jdealland-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/131>, abgerufen am 01.09.2024.