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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die energetische Natlircmffassuna

nungen, die beim Durchfließen der Elektrizität durch Gase stattfinden (Kathoden¬
strahlen, Röntgenstrahlen usw.), vergleichen mit den bekannten Vorgängen beim
Strömen der Elektrizität durch Flüssigkeiten, bei der Elektrolyse? Diese letzteren
Vorgänge sind der Reihe nach folgende: die Flüssigkeiten (verdünnte Säuren)
werden durch den elektrischen Strom chemisch zersetzt. Die Zersetzungsprodukte
nennt man Ionen, denn sie "wandern" mit dem Strom und zwar wandert
das Wasserstoffatom der Säure stets vom positiven zum negativen Pol. Von
entscheidender Bedeutung war nun die Entdeckung, daß, wenn bestimmte (in
den bekannten Einheiten meßbare) Mengen von Elektrizität durch die Flüssigkeit
geströmt waren, stets auch bestimmte, entsprechende Mengen von Zersetzungs¬
produkten, von Ionen, an den Polen ausgeschieden waren. Das drängte ohne
weiteres zu dem Schluß, daß diese Ionen eben die materiellen Träger der
Elektrizitätsmengen seien. Da ferner durch die gleiche Elektrizitätsmenge in
jedem Falle auch die gleiche Menge von Ionen ausgeschieden wird, ganz un¬
abhängig davon, welche Flüssigkeit zersetzt wird, so schloß man, daß jedes Ion
stets auch das gleiche Elcktrizitätsquantum trage. Dieses Quantum nahm man
nunmehr als Einheit der Elektrizitätsmenge an und nannte es Elektron. Ein
Ion ist also ein materielles Wasserstoffatom, beladen mit einem Elektron.
Ungeheure Bedeutung würde nun die Jonenhypothese gewinnen, wenn man
annehmen könnte, daß auch jene wunderbaren Erscheinungen bei den Gasen
(Kathodenstrahlen, Röntgenstrahlen usw.) und alle die neuentdeckten, mit der
Radioaktivität in Zusammenhang stehenden Tatsachen, die dem Physiker bisher
so viel Kopfzerbrechen machten, gleichfalls auf der Aussendung von Ionen be¬
ruhen. Wir hätten dann anzunehmen, daß bei allen diesen Erscheinungen es
sich um kleine materielle, mit gleichen Elektrizitätsmengen beladene Teilchen
handle, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den Raum bewegen.

Dieser Erweiterung der Jonenhypothese stand aber noch die Tatsache
im Wege, daß es sich in den Ionen gerade um einen bestimmten mate¬
riellen Stoff, den Wasserstoff, handelt. Wären wir berechtigt, vom
Wasserstoff und überhaupt von aller chemischen Bestimmtheit des Elektronträgers
abzusehen und statt dessen ein materielles Uratom zu setzen, dann könnten wir
dieses als einheitlichen gemeinsamen Träger aller elektrolytischen und radio¬
aktiven Vorgänge, ja vielleicht überhaupt aller Vorgänge ansehen, die mit der
so wunderbaren Naturkraft der Elektrizität irgendwie im Zusammenhang stehen.
Es ist nun das unsterbliche Verdienst des Cambridger Physikers Thomsen, nach¬
gewiesen zu haben, daß wir tatsächlich berechtigt sind, solche Uratome anzu¬
nehmen. Die in Frage stehenden Erscheinungen lassen sich einheitlich und
eindeutig beschreiben, wenn man sie auf bestimmte gleichförmige Einheiten von
Materie plus Elektrizität als ihre Träger zurückführt. Und zwar handelt es
sich dabei um Einheiten, bei denen das Materiequantum, die Masse, fünfzehn¬
hundertmal kleiner ist, als bei einem Wasserstoffatom. Ein solches Uratom, das
also die gleiche Elektrizitätsmenge trägt wie ein Ion, aber eine fünfzehnhundertmal


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nungen, die beim Durchfließen der Elektrizität durch Gase stattfinden (Kathoden¬
strahlen, Röntgenstrahlen usw.), vergleichen mit den bekannten Vorgängen beim
Strömen der Elektrizität durch Flüssigkeiten, bei der Elektrolyse? Diese letzteren
Vorgänge sind der Reihe nach folgende: die Flüssigkeiten (verdünnte Säuren)
werden durch den elektrischen Strom chemisch zersetzt. Die Zersetzungsprodukte
nennt man Ionen, denn sie „wandern" mit dem Strom und zwar wandert
das Wasserstoffatom der Säure stets vom positiven zum negativen Pol. Von
entscheidender Bedeutung war nun die Entdeckung, daß, wenn bestimmte (in
den bekannten Einheiten meßbare) Mengen von Elektrizität durch die Flüssigkeit
geströmt waren, stets auch bestimmte, entsprechende Mengen von Zersetzungs¬
produkten, von Ionen, an den Polen ausgeschieden waren. Das drängte ohne
weiteres zu dem Schluß, daß diese Ionen eben die materiellen Träger der
Elektrizitätsmengen seien. Da ferner durch die gleiche Elektrizitätsmenge in
jedem Falle auch die gleiche Menge von Ionen ausgeschieden wird, ganz un¬
abhängig davon, welche Flüssigkeit zersetzt wird, so schloß man, daß jedes Ion
stets auch das gleiche Elcktrizitätsquantum trage. Dieses Quantum nahm man
nunmehr als Einheit der Elektrizitätsmenge an und nannte es Elektron. Ein
Ion ist also ein materielles Wasserstoffatom, beladen mit einem Elektron.
Ungeheure Bedeutung würde nun die Jonenhypothese gewinnen, wenn man
annehmen könnte, daß auch jene wunderbaren Erscheinungen bei den Gasen
(Kathodenstrahlen, Röntgenstrahlen usw.) und alle die neuentdeckten, mit der
Radioaktivität in Zusammenhang stehenden Tatsachen, die dem Physiker bisher
so viel Kopfzerbrechen machten, gleichfalls auf der Aussendung von Ionen be¬
ruhen. Wir hätten dann anzunehmen, daß bei allen diesen Erscheinungen es
sich um kleine materielle, mit gleichen Elektrizitätsmengen beladene Teilchen
handle, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den Raum bewegen.

Dieser Erweiterung der Jonenhypothese stand aber noch die Tatsache
im Wege, daß es sich in den Ionen gerade um einen bestimmten mate¬
riellen Stoff, den Wasserstoff, handelt. Wären wir berechtigt, vom
Wasserstoff und überhaupt von aller chemischen Bestimmtheit des Elektronträgers
abzusehen und statt dessen ein materielles Uratom zu setzen, dann könnten wir
dieses als einheitlichen gemeinsamen Träger aller elektrolytischen und radio¬
aktiven Vorgänge, ja vielleicht überhaupt aller Vorgänge ansehen, die mit der
so wunderbaren Naturkraft der Elektrizität irgendwie im Zusammenhang stehen.
Es ist nun das unsterbliche Verdienst des Cambridger Physikers Thomsen, nach¬
gewiesen zu haben, daß wir tatsächlich berechtigt sind, solche Uratome anzu¬
nehmen. Die in Frage stehenden Erscheinungen lassen sich einheitlich und
eindeutig beschreiben, wenn man sie auf bestimmte gleichförmige Einheiten von
Materie plus Elektrizität als ihre Träger zurückführt. Und zwar handelt es
sich dabei um Einheiten, bei denen das Materiequantum, die Masse, fünfzehn¬
hundertmal kleiner ist, als bei einem Wasserstoffatom. Ein solches Uratom, das
also die gleiche Elektrizitätsmenge trägt wie ein Ion, aber eine fünfzehnhundertmal


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[0126] Die energetische Natlircmffassuna nungen, die beim Durchfließen der Elektrizität durch Gase stattfinden (Kathoden¬ strahlen, Röntgenstrahlen usw.), vergleichen mit den bekannten Vorgängen beim Strömen der Elektrizität durch Flüssigkeiten, bei der Elektrolyse? Diese letzteren Vorgänge sind der Reihe nach folgende: die Flüssigkeiten (verdünnte Säuren) werden durch den elektrischen Strom chemisch zersetzt. Die Zersetzungsprodukte nennt man Ionen, denn sie „wandern" mit dem Strom und zwar wandert das Wasserstoffatom der Säure stets vom positiven zum negativen Pol. Von entscheidender Bedeutung war nun die Entdeckung, daß, wenn bestimmte (in den bekannten Einheiten meßbare) Mengen von Elektrizität durch die Flüssigkeit geströmt waren, stets auch bestimmte, entsprechende Mengen von Zersetzungs¬ produkten, von Ionen, an den Polen ausgeschieden waren. Das drängte ohne weiteres zu dem Schluß, daß diese Ionen eben die materiellen Träger der Elektrizitätsmengen seien. Da ferner durch die gleiche Elektrizitätsmenge in jedem Falle auch die gleiche Menge von Ionen ausgeschieden wird, ganz un¬ abhängig davon, welche Flüssigkeit zersetzt wird, so schloß man, daß jedes Ion stets auch das gleiche Elcktrizitätsquantum trage. Dieses Quantum nahm man nunmehr als Einheit der Elektrizitätsmenge an und nannte es Elektron. Ein Ion ist also ein materielles Wasserstoffatom, beladen mit einem Elektron. Ungeheure Bedeutung würde nun die Jonenhypothese gewinnen, wenn man annehmen könnte, daß auch jene wunderbaren Erscheinungen bei den Gasen (Kathodenstrahlen, Röntgenstrahlen usw.) und alle die neuentdeckten, mit der Radioaktivität in Zusammenhang stehenden Tatsachen, die dem Physiker bisher so viel Kopfzerbrechen machten, gleichfalls auf der Aussendung von Ionen be¬ ruhen. Wir hätten dann anzunehmen, daß bei allen diesen Erscheinungen es sich um kleine materielle, mit gleichen Elektrizitätsmengen beladene Teilchen handle, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den Raum bewegen. Dieser Erweiterung der Jonenhypothese stand aber noch die Tatsache im Wege, daß es sich in den Ionen gerade um einen bestimmten mate¬ riellen Stoff, den Wasserstoff, handelt. Wären wir berechtigt, vom Wasserstoff und überhaupt von aller chemischen Bestimmtheit des Elektronträgers abzusehen und statt dessen ein materielles Uratom zu setzen, dann könnten wir dieses als einheitlichen gemeinsamen Träger aller elektrolytischen und radio¬ aktiven Vorgänge, ja vielleicht überhaupt aller Vorgänge ansehen, die mit der so wunderbaren Naturkraft der Elektrizität irgendwie im Zusammenhang stehen. Es ist nun das unsterbliche Verdienst des Cambridger Physikers Thomsen, nach¬ gewiesen zu haben, daß wir tatsächlich berechtigt sind, solche Uratome anzu¬ nehmen. Die in Frage stehenden Erscheinungen lassen sich einheitlich und eindeutig beschreiben, wenn man sie auf bestimmte gleichförmige Einheiten von Materie plus Elektrizität als ihre Träger zurückführt. Und zwar handelt es sich dabei um Einheiten, bei denen das Materiequantum, die Masse, fünfzehn¬ hundertmal kleiner ist, als bei einem Wasserstoffatom. Ein solches Uratom, das also die gleiche Elektrizitätsmenge trägt wie ein Ion, aber eine fünfzehnhundertmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/126>, abgerufen am 01.09.2024.