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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das vorderasiatische Geheimnis

Dieser französische Erfolg sieht freilich auf den ersten Blick für uns gefähr¬
licher aus, als er in der Tat ist. Wir sind durch ihn scheinbar zwischen zwei
französische Bahnsysteme gebettet worden. Das östliche ist allerdings ein gemischt
französisch - russisches. Das ändert, aber an der Gefährlichkeit der Ein¬
klemmung der deutschen Linie nichts, solange der Zweibund in Kraft ist.
Die Möglichkeit dieser Einengung -- und das ist zuletzt der springende
Punkt -- bestand seit dem Augenblick, da Rußland sein Vorzugsrecht
im Osten erhalten hatte. Kommen mußte diese Einklammerung des deutschen
Interessengebietes früher oder später; sie wäre später gekommen, wenn das
geldarme Rußland sie allein hätte ausführen sollen; sie kommt jetzt früher, da
das reiche Frankreich auch hier seine Kapitalhilfe leiht. Im übrigen besteht
hier aber immer noch eine Gelegenheit für Deutschland, auch seinerseits nach dem
Osten hin seine Interessen zu erweitern. Denn da hier deutsche und russische
Ansprüche in Grenznachbarschaft liegen, so ist die russisch-französische System¬
gründung bis zu einem gewissen Grade von Deutschlands Zustimmung abhängig.
Dschawid Bey erklärte am 4. Juli ausdrücklich, daß das türkisch-russische Ab¬
kommen von einer Verhandlung zwischen der Türkei und Deutschland abhänge.
Bei einer nur einigermaßen glücklichen <Zo-ut-nie8-Politik ist hier zweifellos
noch mancher Vorteil für Deutschland zu erreichen.

Ein paar Zipfel des vorderasiatischen Geheimnisses sind gelüftet. Der am
meisten in die Augen springende Eindruck ist unbestreitbar der, daß Frankreich
in diesem letzten Abschnitt der Verhandlungen weit sichtbare Erfolge davon¬
getragen hat. Deutschland scheint daneben nicht so glänzend abgeschnitten zu
haben. Aber immerhin hat es die Sicherung aller seiner in anderthalb Jahr¬
zehnten stückweise erreichten Errungenschaften bei allen feinen früheren Gegnern
durchgesetzt.

Der blendende Koup Frankreichs erhöhte freilich das Prestige der Republik in
Konstantinopel bis zu dem Gelöbnis ewiger Dankbarkeit durch Dschawid Bey.
Aber wieweit die "Ewigkeit" des türkischen Finanzministers reicht, das läßt der
Schlußsatz seiner Rede vom 4. Juli erkennen, der die Hoffnung auf dereinstige
Abschüttelung alles fremden Kapitals von den türkischen Unternehmungen verriet.
Und diese Hoffnung weckte den lebhaftesten Beifall der Zuhörer.




7"
Das vorderasiatische Geheimnis

Dieser französische Erfolg sieht freilich auf den ersten Blick für uns gefähr¬
licher aus, als er in der Tat ist. Wir sind durch ihn scheinbar zwischen zwei
französische Bahnsysteme gebettet worden. Das östliche ist allerdings ein gemischt
französisch - russisches. Das ändert, aber an der Gefährlichkeit der Ein¬
klemmung der deutschen Linie nichts, solange der Zweibund in Kraft ist.
Die Möglichkeit dieser Einengung — und das ist zuletzt der springende
Punkt — bestand seit dem Augenblick, da Rußland sein Vorzugsrecht
im Osten erhalten hatte. Kommen mußte diese Einklammerung des deutschen
Interessengebietes früher oder später; sie wäre später gekommen, wenn das
geldarme Rußland sie allein hätte ausführen sollen; sie kommt jetzt früher, da
das reiche Frankreich auch hier seine Kapitalhilfe leiht. Im übrigen besteht
hier aber immer noch eine Gelegenheit für Deutschland, auch seinerseits nach dem
Osten hin seine Interessen zu erweitern. Denn da hier deutsche und russische
Ansprüche in Grenznachbarschaft liegen, so ist die russisch-französische System¬
gründung bis zu einem gewissen Grade von Deutschlands Zustimmung abhängig.
Dschawid Bey erklärte am 4. Juli ausdrücklich, daß das türkisch-russische Ab¬
kommen von einer Verhandlung zwischen der Türkei und Deutschland abhänge.
Bei einer nur einigermaßen glücklichen <Zo-ut-nie8-Politik ist hier zweifellos
noch mancher Vorteil für Deutschland zu erreichen.

Ein paar Zipfel des vorderasiatischen Geheimnisses sind gelüftet. Der am
meisten in die Augen springende Eindruck ist unbestreitbar der, daß Frankreich
in diesem letzten Abschnitt der Verhandlungen weit sichtbare Erfolge davon¬
getragen hat. Deutschland scheint daneben nicht so glänzend abgeschnitten zu
haben. Aber immerhin hat es die Sicherung aller seiner in anderthalb Jahr¬
zehnten stückweise erreichten Errungenschaften bei allen feinen früheren Gegnern
durchgesetzt.

Der blendende Koup Frankreichs erhöhte freilich das Prestige der Republik in
Konstantinopel bis zu dem Gelöbnis ewiger Dankbarkeit durch Dschawid Bey.
Aber wieweit die „Ewigkeit" des türkischen Finanzministers reicht, das läßt der
Schlußsatz seiner Rede vom 4. Juli erkennen, der die Hoffnung auf dereinstige
Abschüttelung alles fremden Kapitals von den türkischen Unternehmungen verriet.
Und diese Hoffnung weckte den lebhaftesten Beifall der Zuhörer.




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[0111] Das vorderasiatische Geheimnis Dieser französische Erfolg sieht freilich auf den ersten Blick für uns gefähr¬ licher aus, als er in der Tat ist. Wir sind durch ihn scheinbar zwischen zwei französische Bahnsysteme gebettet worden. Das östliche ist allerdings ein gemischt französisch - russisches. Das ändert, aber an der Gefährlichkeit der Ein¬ klemmung der deutschen Linie nichts, solange der Zweibund in Kraft ist. Die Möglichkeit dieser Einengung — und das ist zuletzt der springende Punkt — bestand seit dem Augenblick, da Rußland sein Vorzugsrecht im Osten erhalten hatte. Kommen mußte diese Einklammerung des deutschen Interessengebietes früher oder später; sie wäre später gekommen, wenn das geldarme Rußland sie allein hätte ausführen sollen; sie kommt jetzt früher, da das reiche Frankreich auch hier seine Kapitalhilfe leiht. Im übrigen besteht hier aber immer noch eine Gelegenheit für Deutschland, auch seinerseits nach dem Osten hin seine Interessen zu erweitern. Denn da hier deutsche und russische Ansprüche in Grenznachbarschaft liegen, so ist die russisch-französische System¬ gründung bis zu einem gewissen Grade von Deutschlands Zustimmung abhängig. Dschawid Bey erklärte am 4. Juli ausdrücklich, daß das türkisch-russische Ab¬ kommen von einer Verhandlung zwischen der Türkei und Deutschland abhänge. Bei einer nur einigermaßen glücklichen <Zo-ut-nie8-Politik ist hier zweifellos noch mancher Vorteil für Deutschland zu erreichen. Ein paar Zipfel des vorderasiatischen Geheimnisses sind gelüftet. Der am meisten in die Augen springende Eindruck ist unbestreitbar der, daß Frankreich in diesem letzten Abschnitt der Verhandlungen weit sichtbare Erfolge davon¬ getragen hat. Deutschland scheint daneben nicht so glänzend abgeschnitten zu haben. Aber immerhin hat es die Sicherung aller seiner in anderthalb Jahr¬ zehnten stückweise erreichten Errungenschaften bei allen feinen früheren Gegnern durchgesetzt. Der blendende Koup Frankreichs erhöhte freilich das Prestige der Republik in Konstantinopel bis zu dem Gelöbnis ewiger Dankbarkeit durch Dschawid Bey. Aber wieweit die „Ewigkeit" des türkischen Finanzministers reicht, das läßt der Schlußsatz seiner Rede vom 4. Juli erkennen, der die Hoffnung auf dereinstige Abschüttelung alles fremden Kapitals von den türkischen Unternehmungen verriet. Und diese Hoffnung weckte den lebhaftesten Beifall der Zuhörer. 7«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/111>, abgerufen am 27.07.2024.