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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das vorderasiatische Geheimnis

gelagerten Wirtschafte und Verlehrsinteressen. Man weiß, daß die deutschen
Bemühungen in den anderthalb Jahrzehnte langen diplomatischen Kämpfen eine
lange Jnteressenlinie von Haidar Pascha gegenüber Konstantinopel bis in die
Nähe des persischen Golfes geschaffen hatten. Östlich wie westlich von dieser
geraden Route besaß Deutschland überdies Konzessionen. Rußland dagegen hatte
im Jahre 1900 als Entschädigung für die deutschen Erfolge ein weitreichendes
Vorzugsrecht auf Bahnbauten zwischen der nordpersischen Grenze und dem
Schwarzen Meere erhalten. In all dieser Zeit aber waren die französischen
Bemühungen an der Mittelmeerküste Türkisch - Asiens, so sehr sie auch einem
tieferen Eindringen ins Land galten, im großen und ganzen über Ansprüche
nicht hinausgekommen, und England begnügte sich mit dem Versuche, die
Sperrung des Persischen Golfes gegen Machtgelnste jedes anderen Staates durch¬
zusetzen. Im übrigen hoffte es als echte Wasserratte von der Mündung des
Tigris und Euphrat den Doppelstrom hinauf bis zu den Öllagern Mesopotamiens
zu dringen.

Es ist seit einiger Zeit bekannt, daß Deutschland und England ein Kom¬
promiß geschlossen haben. Die deutsche Politik verlängert ihre Vorderasien von
Norden nach Süden durchquerende Bahnlinie über Bagdad hinaus bis Basra
und erhält durch die Schiffbarmachung des Zweistromes die ersehnte Berührung
mit dem Indischen Ozean mittels des Persischen Golfs. Aber mit dem Aufgeben
der einst so sehnlich begehrten Strecke nach Koweit hat Deutschland in die
Köpfung seines ursprünglichen Bagdadbahnprojektes gewilligt. Und die maritime
Alleinherrschaft Englands auf dem Golf schafft in diesem Becken des Indischen
Ozeans schließlich einen ähnlichen Zustand, wie er zugunsten Großbritanniens
bis ins letzte Jahrzehnt hinein im Nordseebecken des Atlantischen Meeres be¬
standen hat. Die Entschädigung, die England der Türkei und Deutschland für
diese ihre Verzichte gibt, ist die volle finanzielle und Verwaltungsfreiheit auf
der ganzen Bagdadbahnlinie. Die beiden Direktoren, die sich England noch
vorbehalten hat, vermögen bei ihrer Minderzahl die Verwaltungsfreiheit nicht
zu beschränken, sondern haben nur die Aufgabe der Kontrolle, daß die englischen
Frachten nicht zugunsten der anderen Nationen benachteiligt werden.

In die Finanz- und Verwaltungsfreiheit der Bagdadbahn von jedem nicht¬
deutschen Einfluß haben auch die Franzosen gewilligt, die bisher noch das Recht
kapitalistischer Beteiligung hatten. Durch eine außerordentlich glanzvolle Anleihe¬
politik hat dann die französische Republik ihr Bahnnetz von der Mittelmeerküste
her erweitert. Sie hat im Nordwesten Kleinasiens von Smyrna bis Brussa
fliegende Fäden zusammengeknotet und in Syrien über Homs einen Querstrich
zur Bagdadlinie bis nach Mesopotamien gezogen. Dieser französische Erfolg,
den Dschawid Bey in der türkischen Kammer am 4. Juli bekannt gegeben hat,
wird aber noch übertroffen durch die Errungenschaften im Nordosten Anatoliens.
Dort ist Frankreich in das Vorzugsrecht getreten, das Rußland im Jahre 1900
erworben hatte.


Das vorderasiatische Geheimnis

gelagerten Wirtschafte und Verlehrsinteressen. Man weiß, daß die deutschen
Bemühungen in den anderthalb Jahrzehnte langen diplomatischen Kämpfen eine
lange Jnteressenlinie von Haidar Pascha gegenüber Konstantinopel bis in die
Nähe des persischen Golfes geschaffen hatten. Östlich wie westlich von dieser
geraden Route besaß Deutschland überdies Konzessionen. Rußland dagegen hatte
im Jahre 1900 als Entschädigung für die deutschen Erfolge ein weitreichendes
Vorzugsrecht auf Bahnbauten zwischen der nordpersischen Grenze und dem
Schwarzen Meere erhalten. In all dieser Zeit aber waren die französischen
Bemühungen an der Mittelmeerküste Türkisch - Asiens, so sehr sie auch einem
tieferen Eindringen ins Land galten, im großen und ganzen über Ansprüche
nicht hinausgekommen, und England begnügte sich mit dem Versuche, die
Sperrung des Persischen Golfes gegen Machtgelnste jedes anderen Staates durch¬
zusetzen. Im übrigen hoffte es als echte Wasserratte von der Mündung des
Tigris und Euphrat den Doppelstrom hinauf bis zu den Öllagern Mesopotamiens
zu dringen.

Es ist seit einiger Zeit bekannt, daß Deutschland und England ein Kom¬
promiß geschlossen haben. Die deutsche Politik verlängert ihre Vorderasien von
Norden nach Süden durchquerende Bahnlinie über Bagdad hinaus bis Basra
und erhält durch die Schiffbarmachung des Zweistromes die ersehnte Berührung
mit dem Indischen Ozean mittels des Persischen Golfs. Aber mit dem Aufgeben
der einst so sehnlich begehrten Strecke nach Koweit hat Deutschland in die
Köpfung seines ursprünglichen Bagdadbahnprojektes gewilligt. Und die maritime
Alleinherrschaft Englands auf dem Golf schafft in diesem Becken des Indischen
Ozeans schließlich einen ähnlichen Zustand, wie er zugunsten Großbritanniens
bis ins letzte Jahrzehnt hinein im Nordseebecken des Atlantischen Meeres be¬
standen hat. Die Entschädigung, die England der Türkei und Deutschland für
diese ihre Verzichte gibt, ist die volle finanzielle und Verwaltungsfreiheit auf
der ganzen Bagdadbahnlinie. Die beiden Direktoren, die sich England noch
vorbehalten hat, vermögen bei ihrer Minderzahl die Verwaltungsfreiheit nicht
zu beschränken, sondern haben nur die Aufgabe der Kontrolle, daß die englischen
Frachten nicht zugunsten der anderen Nationen benachteiligt werden.

In die Finanz- und Verwaltungsfreiheit der Bagdadbahn von jedem nicht¬
deutschen Einfluß haben auch die Franzosen gewilligt, die bisher noch das Recht
kapitalistischer Beteiligung hatten. Durch eine außerordentlich glanzvolle Anleihe¬
politik hat dann die französische Republik ihr Bahnnetz von der Mittelmeerküste
her erweitert. Sie hat im Nordwesten Kleinasiens von Smyrna bis Brussa
fliegende Fäden zusammengeknotet und in Syrien über Homs einen Querstrich
zur Bagdadlinie bis nach Mesopotamien gezogen. Dieser französische Erfolg,
den Dschawid Bey in der türkischen Kammer am 4. Juli bekannt gegeben hat,
wird aber noch übertroffen durch die Errungenschaften im Nordosten Anatoliens.
Dort ist Frankreich in das Vorzugsrecht getreten, das Rußland im Jahre 1900
erworben hatte.


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[0110] Das vorderasiatische Geheimnis gelagerten Wirtschafte und Verlehrsinteressen. Man weiß, daß die deutschen Bemühungen in den anderthalb Jahrzehnte langen diplomatischen Kämpfen eine lange Jnteressenlinie von Haidar Pascha gegenüber Konstantinopel bis in die Nähe des persischen Golfes geschaffen hatten. Östlich wie westlich von dieser geraden Route besaß Deutschland überdies Konzessionen. Rußland dagegen hatte im Jahre 1900 als Entschädigung für die deutschen Erfolge ein weitreichendes Vorzugsrecht auf Bahnbauten zwischen der nordpersischen Grenze und dem Schwarzen Meere erhalten. In all dieser Zeit aber waren die französischen Bemühungen an der Mittelmeerküste Türkisch - Asiens, so sehr sie auch einem tieferen Eindringen ins Land galten, im großen und ganzen über Ansprüche nicht hinausgekommen, und England begnügte sich mit dem Versuche, die Sperrung des Persischen Golfes gegen Machtgelnste jedes anderen Staates durch¬ zusetzen. Im übrigen hoffte es als echte Wasserratte von der Mündung des Tigris und Euphrat den Doppelstrom hinauf bis zu den Öllagern Mesopotamiens zu dringen. Es ist seit einiger Zeit bekannt, daß Deutschland und England ein Kom¬ promiß geschlossen haben. Die deutsche Politik verlängert ihre Vorderasien von Norden nach Süden durchquerende Bahnlinie über Bagdad hinaus bis Basra und erhält durch die Schiffbarmachung des Zweistromes die ersehnte Berührung mit dem Indischen Ozean mittels des Persischen Golfs. Aber mit dem Aufgeben der einst so sehnlich begehrten Strecke nach Koweit hat Deutschland in die Köpfung seines ursprünglichen Bagdadbahnprojektes gewilligt. Und die maritime Alleinherrschaft Englands auf dem Golf schafft in diesem Becken des Indischen Ozeans schließlich einen ähnlichen Zustand, wie er zugunsten Großbritanniens bis ins letzte Jahrzehnt hinein im Nordseebecken des Atlantischen Meeres be¬ standen hat. Die Entschädigung, die England der Türkei und Deutschland für diese ihre Verzichte gibt, ist die volle finanzielle und Verwaltungsfreiheit auf der ganzen Bagdadbahnlinie. Die beiden Direktoren, die sich England noch vorbehalten hat, vermögen bei ihrer Minderzahl die Verwaltungsfreiheit nicht zu beschränken, sondern haben nur die Aufgabe der Kontrolle, daß die englischen Frachten nicht zugunsten der anderen Nationen benachteiligt werden. In die Finanz- und Verwaltungsfreiheit der Bagdadbahn von jedem nicht¬ deutschen Einfluß haben auch die Franzosen gewilligt, die bisher noch das Recht kapitalistischer Beteiligung hatten. Durch eine außerordentlich glanzvolle Anleihe¬ politik hat dann die französische Republik ihr Bahnnetz von der Mittelmeerküste her erweitert. Sie hat im Nordwesten Kleinasiens von Smyrna bis Brussa fliegende Fäden zusammengeknotet und in Syrien über Homs einen Querstrich zur Bagdadlinie bis nach Mesopotamien gezogen. Dieser französische Erfolg, den Dschawid Bey in der türkischen Kammer am 4. Juli bekannt gegeben hat, wird aber noch übertroffen durch die Errungenschaften im Nordosten Anatoliens. Dort ist Frankreich in das Vorzugsrecht getreten, das Rußland im Jahre 1900 erworben hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/110>, abgerufen am 27.07.2024.