Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pfiugstwallfahrt zur Springprü^ssion nach Echternach

Ehe wir den Versuch machen, zu beschreiben, welchen Eindruck das eigen¬
artige Prozessionsschauspiel ans den Zuschauer macht, wollen wir kurz dein
Ursprung und der Veranlassung der Springprozession nachgehen. Die erste
schriftliche Nachricht stammt aus der Zeit um 1600 und ein Bild aus dem
Jahre 1604 stellt den heiligen Willibrord die Springer segnend dar. Um
1628 schreibt ein Chronist, daß unter dem Abte Heinrich von Schönecken
('s- 1452) in Prüm die Springprozeision aufgekommen sei, die mit der Echter-
nncher Verlauf und Charakter gemeinsam habe. Nach dieser Aufzeichnung hat
die Prozession ihren Grund in einer öffentlichen Drangsal, und die Bewohner
der Umgebung hätten sich derselben unterzogen, um die göttliche Zuchtrute
abzuwenden. Die erste sichere Nachricht gibt ein trierischer Geschichtsschreiber
um das Jahr 1600, der mitteilt, daß beim Unterlassen der Springprozession
das Vieh in den Ställen zu springen angefangen und nicht früher damit auf¬
gehört habe, bis das Gelübde und die Bußübung erneuert war. Marx von
Trier leitet den Ursprung der Spnngprozession aus den großen Pfingstmall-
fahrtszügeu her, bei denen im 14. Jahrhundert, dem Zeitalter der Veitstänze
und Pestepidemien, das mühsame und beschwerliche Springen entstanden sei.
Es wird noch von anderen Prozessionen berichtet, die ihr Ziel in Echternach
hatten. Am Freitag nach Christi Himmelfahrt kamen die "Crutzen" oder
"Kreuze", eine Prozession von neun umliegenden Ortschaften, hier an, und zu
Pfingsten fand ebenda die Prozession der "Stehenden" statt. Beim Ertönen
einer Schelle standen die Wallfahrer, sangen eine Strophe eines
frommen Liedes, gingen weiter, warfen sich auf die Knie und sangen dann
wieder. Diese Übung dauerte drei Stunden. Noch eigenartiger war die
Prozession der "Kriechenden", bei welcher die Teilnehmer unter einem Steine
beim Willibrordkreuze hindurchkrochen. Bis zur französischen Revolution dursten
nur Männer, nicht aber Frauen und Mädchen, sich am Springen beteiligen.
Die Zahl der Springer war deshalb auch viel geringer. Sie zählte nur nach
Hunderten, so daß am Schlüsse der Prozession noch ein feierliches Hochamt
abgehalten werden konnte.

Was nun den Eindruck anbetrifft, den die Art und Weise der vorüber¬
ziehenden Prozession auf den Zuschauer macht, so muß er naturgemäß dem
religiösen Standpunkt des passiven Teilnehmers entsprechend sehr verschieden
sein. Ketzer, wie wir sie waren und trotz Echternach auch heute noch sind,
betrachten das ganze Schauspiel unter dem Gesichtspunkt des religiösen Fana¬
tismus, der sich in Ermangelung einer besseren Erkenntnis durch die jahrhunderte¬
lange Tradition bis in die Jetztzeit fortgepflanzt hat. Ohne zu denen zu
gehören, welche die ganze Feier als mittelalterlichen Trödel bezeichnen und die
Zeremonie mit unsinnigen und boshaften Spöttereien überschütten, zwingt sie
uns nur ein kaltes Kopfschütteln ab. Für uns steht jedenfalls fest, daß man nicht
durch Bußübungen und Heiligenverehrung von Krankheit und Gebrechen geheilt
werden kann, und wir verweisen deshalb als Aufgeklärte solchen Glauben ins


Die Pfiugstwallfahrt zur Springprü^ssion nach Echternach

Ehe wir den Versuch machen, zu beschreiben, welchen Eindruck das eigen¬
artige Prozessionsschauspiel ans den Zuschauer macht, wollen wir kurz dein
Ursprung und der Veranlassung der Springprozession nachgehen. Die erste
schriftliche Nachricht stammt aus der Zeit um 1600 und ein Bild aus dem
Jahre 1604 stellt den heiligen Willibrord die Springer segnend dar. Um
1628 schreibt ein Chronist, daß unter dem Abte Heinrich von Schönecken
('s- 1452) in Prüm die Springprozeision aufgekommen sei, die mit der Echter-
nncher Verlauf und Charakter gemeinsam habe. Nach dieser Aufzeichnung hat
die Prozession ihren Grund in einer öffentlichen Drangsal, und die Bewohner
der Umgebung hätten sich derselben unterzogen, um die göttliche Zuchtrute
abzuwenden. Die erste sichere Nachricht gibt ein trierischer Geschichtsschreiber
um das Jahr 1600, der mitteilt, daß beim Unterlassen der Springprozession
das Vieh in den Ställen zu springen angefangen und nicht früher damit auf¬
gehört habe, bis das Gelübde und die Bußübung erneuert war. Marx von
Trier leitet den Ursprung der Spnngprozession aus den großen Pfingstmall-
fahrtszügeu her, bei denen im 14. Jahrhundert, dem Zeitalter der Veitstänze
und Pestepidemien, das mühsame und beschwerliche Springen entstanden sei.
Es wird noch von anderen Prozessionen berichtet, die ihr Ziel in Echternach
hatten. Am Freitag nach Christi Himmelfahrt kamen die „Crutzen" oder
„Kreuze", eine Prozession von neun umliegenden Ortschaften, hier an, und zu
Pfingsten fand ebenda die Prozession der „Stehenden" statt. Beim Ertönen
einer Schelle standen die Wallfahrer, sangen eine Strophe eines
frommen Liedes, gingen weiter, warfen sich auf die Knie und sangen dann
wieder. Diese Übung dauerte drei Stunden. Noch eigenartiger war die
Prozession der „Kriechenden", bei welcher die Teilnehmer unter einem Steine
beim Willibrordkreuze hindurchkrochen. Bis zur französischen Revolution dursten
nur Männer, nicht aber Frauen und Mädchen, sich am Springen beteiligen.
Die Zahl der Springer war deshalb auch viel geringer. Sie zählte nur nach
Hunderten, so daß am Schlüsse der Prozession noch ein feierliches Hochamt
abgehalten werden konnte.

Was nun den Eindruck anbetrifft, den die Art und Weise der vorüber¬
ziehenden Prozession auf den Zuschauer macht, so muß er naturgemäß dem
religiösen Standpunkt des passiven Teilnehmers entsprechend sehr verschieden
sein. Ketzer, wie wir sie waren und trotz Echternach auch heute noch sind,
betrachten das ganze Schauspiel unter dem Gesichtspunkt des religiösen Fana¬
tismus, der sich in Ermangelung einer besseren Erkenntnis durch die jahrhunderte¬
lange Tradition bis in die Jetztzeit fortgepflanzt hat. Ohne zu denen zu
gehören, welche die ganze Feier als mittelalterlichen Trödel bezeichnen und die
Zeremonie mit unsinnigen und boshaften Spöttereien überschütten, zwingt sie
uns nur ein kaltes Kopfschütteln ab. Für uns steht jedenfalls fest, daß man nicht
durch Bußübungen und Heiligenverehrung von Krankheit und Gebrechen geheilt
werden kann, und wir verweisen deshalb als Aufgeklärte solchen Glauben ins


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328716"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Pfiugstwallfahrt zur Springprü^ssion nach Echternach</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2452"> Ehe wir den Versuch machen, zu beschreiben, welchen Eindruck das eigen¬<lb/>
artige Prozessionsschauspiel ans den Zuschauer macht, wollen wir kurz dein<lb/>
Ursprung und der Veranlassung der Springprozession nachgehen. Die erste<lb/>
schriftliche Nachricht stammt aus der Zeit um 1600 und ein Bild aus dem<lb/>
Jahre 1604 stellt den heiligen Willibrord die Springer segnend dar. Um<lb/>
1628 schreibt ein Chronist, daß unter dem Abte Heinrich von Schönecken<lb/>
('s- 1452) in Prüm die Springprozeision aufgekommen sei, die mit der Echter-<lb/>
nncher Verlauf und Charakter gemeinsam habe. Nach dieser Aufzeichnung hat<lb/>
die Prozession ihren Grund in einer öffentlichen Drangsal, und die Bewohner<lb/>
der Umgebung hätten sich derselben unterzogen, um die göttliche Zuchtrute<lb/>
abzuwenden. Die erste sichere Nachricht gibt ein trierischer Geschichtsschreiber<lb/>
um das Jahr 1600, der mitteilt, daß beim Unterlassen der Springprozession<lb/>
das Vieh in den Ställen zu springen angefangen und nicht früher damit auf¬<lb/>
gehört habe, bis das Gelübde und die Bußübung erneuert war. Marx von<lb/>
Trier leitet den Ursprung der Spnngprozession aus den großen Pfingstmall-<lb/>
fahrtszügeu her, bei denen im 14. Jahrhundert, dem Zeitalter der Veitstänze<lb/>
und Pestepidemien, das mühsame und beschwerliche Springen entstanden sei.<lb/>
Es wird noch von anderen Prozessionen berichtet, die ihr Ziel in Echternach<lb/>
hatten. Am Freitag nach Christi Himmelfahrt kamen die &#x201E;Crutzen" oder<lb/>
&#x201E;Kreuze", eine Prozession von neun umliegenden Ortschaften, hier an, und zu<lb/>
Pfingsten fand ebenda die Prozession der &#x201E;Stehenden" statt. Beim Ertönen<lb/>
einer Schelle standen die Wallfahrer, sangen eine Strophe eines<lb/>
frommen Liedes, gingen weiter, warfen sich auf die Knie und sangen dann<lb/>
wieder. Diese Übung dauerte drei Stunden. Noch eigenartiger war die<lb/>
Prozession der &#x201E;Kriechenden", bei welcher die Teilnehmer unter einem Steine<lb/>
beim Willibrordkreuze hindurchkrochen. Bis zur französischen Revolution dursten<lb/>
nur Männer, nicht aber Frauen und Mädchen, sich am Springen beteiligen.<lb/>
Die Zahl der Springer war deshalb auch viel geringer. Sie zählte nur nach<lb/>
Hunderten, so daß am Schlüsse der Prozession noch ein feierliches Hochamt<lb/>
abgehalten werden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2453" next="#ID_2454"> Was nun den Eindruck anbetrifft, den die Art und Weise der vorüber¬<lb/>
ziehenden Prozession auf den Zuschauer macht, so muß er naturgemäß dem<lb/>
religiösen Standpunkt des passiven Teilnehmers entsprechend sehr verschieden<lb/>
sein. Ketzer, wie wir sie waren und trotz Echternach auch heute noch sind,<lb/>
betrachten das ganze Schauspiel unter dem Gesichtspunkt des religiösen Fana¬<lb/>
tismus, der sich in Ermangelung einer besseren Erkenntnis durch die jahrhunderte¬<lb/>
lange Tradition bis in die Jetztzeit fortgepflanzt hat. Ohne zu denen zu<lb/>
gehören, welche die ganze Feier als mittelalterlichen Trödel bezeichnen und die<lb/>
Zeremonie mit unsinnigen und boshaften Spöttereien überschütten, zwingt sie<lb/>
uns nur ein kaltes Kopfschütteln ab. Für uns steht jedenfalls fest, daß man nicht<lb/>
durch Bußübungen und Heiligenverehrung von Krankheit und Gebrechen geheilt<lb/>
werden kann, und wir verweisen deshalb als Aufgeklärte solchen Glauben ins</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0616] Die Pfiugstwallfahrt zur Springprü^ssion nach Echternach Ehe wir den Versuch machen, zu beschreiben, welchen Eindruck das eigen¬ artige Prozessionsschauspiel ans den Zuschauer macht, wollen wir kurz dein Ursprung und der Veranlassung der Springprozession nachgehen. Die erste schriftliche Nachricht stammt aus der Zeit um 1600 und ein Bild aus dem Jahre 1604 stellt den heiligen Willibrord die Springer segnend dar. Um 1628 schreibt ein Chronist, daß unter dem Abte Heinrich von Schönecken ('s- 1452) in Prüm die Springprozeision aufgekommen sei, die mit der Echter- nncher Verlauf und Charakter gemeinsam habe. Nach dieser Aufzeichnung hat die Prozession ihren Grund in einer öffentlichen Drangsal, und die Bewohner der Umgebung hätten sich derselben unterzogen, um die göttliche Zuchtrute abzuwenden. Die erste sichere Nachricht gibt ein trierischer Geschichtsschreiber um das Jahr 1600, der mitteilt, daß beim Unterlassen der Springprozession das Vieh in den Ställen zu springen angefangen und nicht früher damit auf¬ gehört habe, bis das Gelübde und die Bußübung erneuert war. Marx von Trier leitet den Ursprung der Spnngprozession aus den großen Pfingstmall- fahrtszügeu her, bei denen im 14. Jahrhundert, dem Zeitalter der Veitstänze und Pestepidemien, das mühsame und beschwerliche Springen entstanden sei. Es wird noch von anderen Prozessionen berichtet, die ihr Ziel in Echternach hatten. Am Freitag nach Christi Himmelfahrt kamen die „Crutzen" oder „Kreuze", eine Prozession von neun umliegenden Ortschaften, hier an, und zu Pfingsten fand ebenda die Prozession der „Stehenden" statt. Beim Ertönen einer Schelle standen die Wallfahrer, sangen eine Strophe eines frommen Liedes, gingen weiter, warfen sich auf die Knie und sangen dann wieder. Diese Übung dauerte drei Stunden. Noch eigenartiger war die Prozession der „Kriechenden", bei welcher die Teilnehmer unter einem Steine beim Willibrordkreuze hindurchkrochen. Bis zur französischen Revolution dursten nur Männer, nicht aber Frauen und Mädchen, sich am Springen beteiligen. Die Zahl der Springer war deshalb auch viel geringer. Sie zählte nur nach Hunderten, so daß am Schlüsse der Prozession noch ein feierliches Hochamt abgehalten werden konnte. Was nun den Eindruck anbetrifft, den die Art und Weise der vorüber¬ ziehenden Prozession auf den Zuschauer macht, so muß er naturgemäß dem religiösen Standpunkt des passiven Teilnehmers entsprechend sehr verschieden sein. Ketzer, wie wir sie waren und trotz Echternach auch heute noch sind, betrachten das ganze Schauspiel unter dem Gesichtspunkt des religiösen Fana¬ tismus, der sich in Ermangelung einer besseren Erkenntnis durch die jahrhunderte¬ lange Tradition bis in die Jetztzeit fortgepflanzt hat. Ohne zu denen zu gehören, welche die ganze Feier als mittelalterlichen Trödel bezeichnen und die Zeremonie mit unsinnigen und boshaften Spöttereien überschütten, zwingt sie uns nur ein kaltes Kopfschütteln ab. Für uns steht jedenfalls fest, daß man nicht durch Bußübungen und Heiligenverehrung von Krankheit und Gebrechen geheilt werden kann, und wir verweisen deshalb als Aufgeklärte solchen Glauben ins

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/616
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/616>, abgerufen am 25.07.2024.