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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Erdenrund dasteht, ist unserem Zeitalter der Aufklärung zum Trotz, die Zahl
der Echternacher Pilger und Neugierigen -- zu den letzteren gehörten wir --
ständig gewachsen. Zwanzig- bis dreißigtausend Menschen strömen an dem
Echternacher großen Tage hier zusammen, von denen in diesem Jahre die
stattliche Anzahl von 16436 Personen, nämlich 1 Schweizer, 21 Fahnenträger,
112 Geistliche, 2567 Sänger, 11523 Springer, 1873 Beter und 338 Musi¬
kanten an der Prozession teilnahmen.

Wir langen ohne Zwischenfall auf dem kleinen Bahnhof zu Echternach an,
strahlende Frühlingssonne, die man wenige Stunden vorher kaum ahnen konnte,
begünstigt die Entfaltung des seltenen Prozessionsschanspiels in hervorragender
Weise. In und um Echternach herrscht überall reges Leben. staubbedeckte,
von weitherkommende Automobile versuchen sich mühsam durch die Menschen¬
mengen in den engen Straßen des Städtchens hindurchzuzwängen. Nach dem
Geläute der Maxglocke, um 8 Uhr früh, knien sechzig bis siebzig Geistliche im
Chorrocke am Grabe des Heiligen nieder, stimmen das "Veni creator" an und
die Prozession begibt sich auf das jenseitige Sauerufer, wo an der Stelle der
ehemaligen Willibrordlinde ein Geistlicher, von einer Tribüne herab, eine kurze
Ansprache an die lautlos dastehende Volksmenge richtet. Dann beginnt die
Geistlichkeit -- etwa gegen 9 Uhr -- die Willibrorduslitanei zu singen und eröffnet
den Zug. Ihr folgen die Sänger und diesen die Stadtmusik, welche den Pro¬
zessionsmarsch anstimme. Sobald die Klänge der Marschmelodie ertönen, be¬
ginnt die Schuljugend, Knaben und Mädchen, den "Sprung"; die ersteren
in Hemdärmeln, während die Mädchen zur Erleichterung des Springens
ihre Hände mit Tüchern und Schürzen verbinden. So vollführt die Jugend den
Dreisprung, nämlich zwei Schritte vorwärts und einen schräg zurück. Ihnen
folgen die übrigen Springer, Männer und Jünglinge, Frauen und junge
Mädchen. Ihnen schließen sich die Beter an, und in geeigneten Abständen
ziehen den springenden Gruppen Musikanten, Dileticmtengruppen oder "Amateure"
voraus, welche durch die Musik den schweren und ermüdenden Dreisprung
erleichtern helfen. Manche Dörfer bringen ihre eigenen Musikanten mit, die
in früheren Zeiten ihre Kunst nur dann ausüben durften, wenn sie die Spring¬
prozesston musizierend mitgemacht hatten. Gegen ^2 Uhr mittags kommen
die letzten Springer nach Zurücklegung des traditionellen Prozessionsweges von
etwa 1225 Schritten an dem Grabe des Heiligen vorüber, wo dann nach
Darbringung des geziemender Tributs durch die Beter die Prozession mit
sakramentalischen Segen und feierlichem Tedeum geschlossen wird. Über ihr
irdisches Leid getröstet und mit dem Bewußtsein, durch die Bußübung alles
getan zu haben, was den ihr Herz drückenden Kummer beheben könnte, kehren
die Pilger zu den heimatlichen Penaten zurück. Viele von ihnen nehmen sich
noch aus dem unter der Willibrordkirche entspringenden Willibrordusbrunnen,
den der Heilige mit dem Bischofsto.be selbst angebohrt hat, gesegnetes Wasser
zu frommem Gebrauche mit nach Hause.


Erdenrund dasteht, ist unserem Zeitalter der Aufklärung zum Trotz, die Zahl
der Echternacher Pilger und Neugierigen — zu den letzteren gehörten wir —
ständig gewachsen. Zwanzig- bis dreißigtausend Menschen strömen an dem
Echternacher großen Tage hier zusammen, von denen in diesem Jahre die
stattliche Anzahl von 16436 Personen, nämlich 1 Schweizer, 21 Fahnenträger,
112 Geistliche, 2567 Sänger, 11523 Springer, 1873 Beter und 338 Musi¬
kanten an der Prozession teilnahmen.

Wir langen ohne Zwischenfall auf dem kleinen Bahnhof zu Echternach an,
strahlende Frühlingssonne, die man wenige Stunden vorher kaum ahnen konnte,
begünstigt die Entfaltung des seltenen Prozessionsschanspiels in hervorragender
Weise. In und um Echternach herrscht überall reges Leben. staubbedeckte,
von weitherkommende Automobile versuchen sich mühsam durch die Menschen¬
mengen in den engen Straßen des Städtchens hindurchzuzwängen. Nach dem
Geläute der Maxglocke, um 8 Uhr früh, knien sechzig bis siebzig Geistliche im
Chorrocke am Grabe des Heiligen nieder, stimmen das „Veni creator" an und
die Prozession begibt sich auf das jenseitige Sauerufer, wo an der Stelle der
ehemaligen Willibrordlinde ein Geistlicher, von einer Tribüne herab, eine kurze
Ansprache an die lautlos dastehende Volksmenge richtet. Dann beginnt die
Geistlichkeit — etwa gegen 9 Uhr — die Willibrorduslitanei zu singen und eröffnet
den Zug. Ihr folgen die Sänger und diesen die Stadtmusik, welche den Pro¬
zessionsmarsch anstimme. Sobald die Klänge der Marschmelodie ertönen, be¬
ginnt die Schuljugend, Knaben und Mädchen, den „Sprung"; die ersteren
in Hemdärmeln, während die Mädchen zur Erleichterung des Springens
ihre Hände mit Tüchern und Schürzen verbinden. So vollführt die Jugend den
Dreisprung, nämlich zwei Schritte vorwärts und einen schräg zurück. Ihnen
folgen die übrigen Springer, Männer und Jünglinge, Frauen und junge
Mädchen. Ihnen schließen sich die Beter an, und in geeigneten Abständen
ziehen den springenden Gruppen Musikanten, Dileticmtengruppen oder „Amateure"
voraus, welche durch die Musik den schweren und ermüdenden Dreisprung
erleichtern helfen. Manche Dörfer bringen ihre eigenen Musikanten mit, die
in früheren Zeiten ihre Kunst nur dann ausüben durften, wenn sie die Spring¬
prozesston musizierend mitgemacht hatten. Gegen ^2 Uhr mittags kommen
die letzten Springer nach Zurücklegung des traditionellen Prozessionsweges von
etwa 1225 Schritten an dem Grabe des Heiligen vorüber, wo dann nach
Darbringung des geziemender Tributs durch die Beter die Prozession mit
sakramentalischen Segen und feierlichem Tedeum geschlossen wird. Über ihr
irdisches Leid getröstet und mit dem Bewußtsein, durch die Bußübung alles
getan zu haben, was den ihr Herz drückenden Kummer beheben könnte, kehren
die Pilger zu den heimatlichen Penaten zurück. Viele von ihnen nehmen sich
noch aus dem unter der Willibrordkirche entspringenden Willibrordusbrunnen,
den der Heilige mit dem Bischofsto.be selbst angebohrt hat, gesegnetes Wasser
zu frommem Gebrauche mit nach Hause.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/615>, abgerufen am 25.07.2024.