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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Auch diese Wandlungen muß der preußische Staatsmann und Ostmarken¬
politiker im Hinblick auf die internationale Politik und auf das Bevölkerungs¬
und Arbeiterproblem in Deutschland berücksichtigen. Unser völkisches und
staatliches Leben ist unendlich viel komplizierter geworden, als es selbst schon
in den achtzehnhundertsiebziger Jahren war. Nur drei Jdeengruppen sind durch
anderthalb Jahrhunderte unverändert in ihrer ideellen Macht geblieben: der
preußisch-deutsche, der polnische und der russische Staatsgedanke.

Die Polen sind sich der allmählich eingetretenen Veränderung ihrer
politischen Lage zwischen den Nachbarn voll bewußt; sie wissen, daß das
polnische Problem sich von Grund auf gewandelt hat und schöpfen daraus die
Hoffnungen für ihre nationale Zukunft. Das polnische Problem ist ein national¬
soziales Problem geworden -- sozial, weil die Zukunft der polnischen Nation
in immer stärkerem Maße auf der Tüchtigkeit ihrer arbeitenden Klassen beruht --,
national, weil diese arbeitenden Klassen, obwohl sozialistisch organisiert, nicht
dem internationalen Kosmopolitismus verfallen sind.

Angesichts solcher Tatsachen erscheint es mir verhängnisvoll, den Kampf
um die Ostmark noch weiter nur mit solchen Mitteln zu führen, die sich aus¬
schließlich gegen oder an die preußischen Polen wenden, Mittel, die ihre Be¬
gründung zum Teil im Haß oder in der Liebe, also in Gefühlswerten suchen.

Wie ich in diesen Heften schon im Sommer 1908 ausführte, haben die
Verhältnisse in der Ostmark den in nationaler Hinsicht so prekären Zustand
bekommen durch unsere wirtschaftliche Entwicklung, durch dieselbe wirtschaftliche
Entwicklung, die, wie ich zeigte, auch auf unser Verhältnis zu Rußland von
tief einschneidenden Einfluß sein kann. Es sind nicht die Polen, die die
günstigen Vorbedingungen für ihre wirtschaftliche und politische Erstarkung ge¬
schaffen haben, sondern wir. Wenn die Polen sie nach Kräften für ihre eigenen
Ziele ausnutzen, so ist es unpraktisch, sie dafür zu schelten, praktisch aber, den
Hauptnutzen unserer Arbeit auch uns zuzuführen. Zum Haß gegen unsere
Polen liegt kein rechter Anlaß vor. Es scheint mir daher nur logisch,
wenn auch die Ostmarkenfrage lediglich von praktisch wirtschaftlichen Gesichts¬
punkten aus, und nicht von gefühlsmäßigen behandelt wird. Unsere wirtschaft¬
liche Entwicklung beruht, abgesehen von unseren Fähigkeiten, auf der gesunden
Basis, die uns ein von Ausnahmegesetzen freier Rechtsstaat gegeben hat. Wo
wir diese Basis verließen, haben wir in nationaler Beziehung die schwersten
Einbußen erlitten: Kulturkampfgesetze, Sozialistengesetz. Ein Einbruch in die
Rechtssicherheit der preußischen Staatsbürger bedeutet das Enteignungsgesetz mit
jener chauvinistisch-nationalen Begründung, die es durch den Fürsten Bülow
erhalten hat. Ich habe mich seinerzeit sehr energisch gegen die Einführung
des Enteignungsgesetzes ausgesprochen, leider aber von Petersburg aus nicht
die Möglichkeit gehabt, die Veröffentlichung meiner Argumente in den Grenz¬
boten durchzusetzen. Die Tatsache, daß die Regierung sich seiner nicht bedient,
zeigt, daß es zum mindesten überflüssig ist; die Anstedlungskommisston bekommt


Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Auch diese Wandlungen muß der preußische Staatsmann und Ostmarken¬
politiker im Hinblick auf die internationale Politik und auf das Bevölkerungs¬
und Arbeiterproblem in Deutschland berücksichtigen. Unser völkisches und
staatliches Leben ist unendlich viel komplizierter geworden, als es selbst schon
in den achtzehnhundertsiebziger Jahren war. Nur drei Jdeengruppen sind durch
anderthalb Jahrhunderte unverändert in ihrer ideellen Macht geblieben: der
preußisch-deutsche, der polnische und der russische Staatsgedanke.

Die Polen sind sich der allmählich eingetretenen Veränderung ihrer
politischen Lage zwischen den Nachbarn voll bewußt; sie wissen, daß das
polnische Problem sich von Grund auf gewandelt hat und schöpfen daraus die
Hoffnungen für ihre nationale Zukunft. Das polnische Problem ist ein national¬
soziales Problem geworden — sozial, weil die Zukunft der polnischen Nation
in immer stärkerem Maße auf der Tüchtigkeit ihrer arbeitenden Klassen beruht —,
national, weil diese arbeitenden Klassen, obwohl sozialistisch organisiert, nicht
dem internationalen Kosmopolitismus verfallen sind.

Angesichts solcher Tatsachen erscheint es mir verhängnisvoll, den Kampf
um die Ostmark noch weiter nur mit solchen Mitteln zu führen, die sich aus¬
schließlich gegen oder an die preußischen Polen wenden, Mittel, die ihre Be¬
gründung zum Teil im Haß oder in der Liebe, also in Gefühlswerten suchen.

Wie ich in diesen Heften schon im Sommer 1908 ausführte, haben die
Verhältnisse in der Ostmark den in nationaler Hinsicht so prekären Zustand
bekommen durch unsere wirtschaftliche Entwicklung, durch dieselbe wirtschaftliche
Entwicklung, die, wie ich zeigte, auch auf unser Verhältnis zu Rußland von
tief einschneidenden Einfluß sein kann. Es sind nicht die Polen, die die
günstigen Vorbedingungen für ihre wirtschaftliche und politische Erstarkung ge¬
schaffen haben, sondern wir. Wenn die Polen sie nach Kräften für ihre eigenen
Ziele ausnutzen, so ist es unpraktisch, sie dafür zu schelten, praktisch aber, den
Hauptnutzen unserer Arbeit auch uns zuzuführen. Zum Haß gegen unsere
Polen liegt kein rechter Anlaß vor. Es scheint mir daher nur logisch,
wenn auch die Ostmarkenfrage lediglich von praktisch wirtschaftlichen Gesichts¬
punkten aus, und nicht von gefühlsmäßigen behandelt wird. Unsere wirtschaft¬
liche Entwicklung beruht, abgesehen von unseren Fähigkeiten, auf der gesunden
Basis, die uns ein von Ausnahmegesetzen freier Rechtsstaat gegeben hat. Wo
wir diese Basis verließen, haben wir in nationaler Beziehung die schwersten
Einbußen erlitten: Kulturkampfgesetze, Sozialistengesetz. Ein Einbruch in die
Rechtssicherheit der preußischen Staatsbürger bedeutet das Enteignungsgesetz mit
jener chauvinistisch-nationalen Begründung, die es durch den Fürsten Bülow
erhalten hat. Ich habe mich seinerzeit sehr energisch gegen die Einführung
des Enteignungsgesetzes ausgesprochen, leider aber von Petersburg aus nicht
die Möglichkeit gehabt, die Veröffentlichung meiner Argumente in den Grenz¬
boten durchzusetzen. Die Tatsache, daß die Regierung sich seiner nicht bedient,
zeigt, daß es zum mindesten überflüssig ist; die Anstedlungskommisston bekommt


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[0594] Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik Auch diese Wandlungen muß der preußische Staatsmann und Ostmarken¬ politiker im Hinblick auf die internationale Politik und auf das Bevölkerungs¬ und Arbeiterproblem in Deutschland berücksichtigen. Unser völkisches und staatliches Leben ist unendlich viel komplizierter geworden, als es selbst schon in den achtzehnhundertsiebziger Jahren war. Nur drei Jdeengruppen sind durch anderthalb Jahrhunderte unverändert in ihrer ideellen Macht geblieben: der preußisch-deutsche, der polnische und der russische Staatsgedanke. Die Polen sind sich der allmählich eingetretenen Veränderung ihrer politischen Lage zwischen den Nachbarn voll bewußt; sie wissen, daß das polnische Problem sich von Grund auf gewandelt hat und schöpfen daraus die Hoffnungen für ihre nationale Zukunft. Das polnische Problem ist ein national¬ soziales Problem geworden — sozial, weil die Zukunft der polnischen Nation in immer stärkerem Maße auf der Tüchtigkeit ihrer arbeitenden Klassen beruht —, national, weil diese arbeitenden Klassen, obwohl sozialistisch organisiert, nicht dem internationalen Kosmopolitismus verfallen sind. Angesichts solcher Tatsachen erscheint es mir verhängnisvoll, den Kampf um die Ostmark noch weiter nur mit solchen Mitteln zu führen, die sich aus¬ schließlich gegen oder an die preußischen Polen wenden, Mittel, die ihre Be¬ gründung zum Teil im Haß oder in der Liebe, also in Gefühlswerten suchen. Wie ich in diesen Heften schon im Sommer 1908 ausführte, haben die Verhältnisse in der Ostmark den in nationaler Hinsicht so prekären Zustand bekommen durch unsere wirtschaftliche Entwicklung, durch dieselbe wirtschaftliche Entwicklung, die, wie ich zeigte, auch auf unser Verhältnis zu Rußland von tief einschneidenden Einfluß sein kann. Es sind nicht die Polen, die die günstigen Vorbedingungen für ihre wirtschaftliche und politische Erstarkung ge¬ schaffen haben, sondern wir. Wenn die Polen sie nach Kräften für ihre eigenen Ziele ausnutzen, so ist es unpraktisch, sie dafür zu schelten, praktisch aber, den Hauptnutzen unserer Arbeit auch uns zuzuführen. Zum Haß gegen unsere Polen liegt kein rechter Anlaß vor. Es scheint mir daher nur logisch, wenn auch die Ostmarkenfrage lediglich von praktisch wirtschaftlichen Gesichts¬ punkten aus, und nicht von gefühlsmäßigen behandelt wird. Unsere wirtschaft¬ liche Entwicklung beruht, abgesehen von unseren Fähigkeiten, auf der gesunden Basis, die uns ein von Ausnahmegesetzen freier Rechtsstaat gegeben hat. Wo wir diese Basis verließen, haben wir in nationaler Beziehung die schwersten Einbußen erlitten: Kulturkampfgesetze, Sozialistengesetz. Ein Einbruch in die Rechtssicherheit der preußischen Staatsbürger bedeutet das Enteignungsgesetz mit jener chauvinistisch-nationalen Begründung, die es durch den Fürsten Bülow erhalten hat. Ich habe mich seinerzeit sehr energisch gegen die Einführung des Enteignungsgesetzes ausgesprochen, leider aber von Petersburg aus nicht die Möglichkeit gehabt, die Veröffentlichung meiner Argumente in den Grenz¬ boten durchzusetzen. Die Tatsache, daß die Regierung sich seiner nicht bedient, zeigt, daß es zum mindesten überflüssig ist; die Anstedlungskommisston bekommt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/594>, abgerufen am 27.06.2024.