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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Die verständigen Polen glauben jedenfalls ebensowenig daran, wie wir. Im
übrigen haben die Vorwürfe nur die praktische Bedeutung, daß sie die im deutschen
Lager an und für sich schon herrschende Uneinigkeit über die Polenpolitik
durchaus zum Schaden der nationalen Sache vergrößern.

Diese Feststellung führt nun noch lange nicht dazu, denen Recht zu geben,
die da meinen, wir brauchten die Polen nur in ihren nationalen Empfindungen
zu schonen, ihre Religion und Sprache anzuerkennen und es ihnen selbst zu
überlassen, ob sie die deutsche Sprache lernen wollten oder nicht, um sie in
gute deutsche Staatsbürger umzuwandeln. Wer so denkt, übersieht zunächst,
daß die Polen in Preußen weder in Sprache noch Religion beengt werden,
der achtet aber auch die nationale Kraft der Polen gar zu gering, -- dem ist
sicher auch nicht gegenwärtig, daß der staatlich in der Republik vereinte Haufe,
der einst die Teilungen zuließ, sich in den abgelaufenen hundertundfunfzig Jahren
zu einer Nation im besten Sinne des Wortes, zu einem Volk mit eigener hoher
Kultur, eigenen politischen Zielen und nationalen Organisationen umgewandelt
hat, in ein Volk, das zwar gezwungen ist, in drei Staatswesen Bürgerrecht zu
nehmen, das aber nichts weniger als in drei Teile gespalten ist. Derjenige
von den drei Teilungsstaaten, der die Polen "versöhnen" wollte, müßte ihnen
behilflich sein, das große Ziel ihres nationalen Sehnens, den staatlichen Zu¬
sammenschluß, die staatliche Selbständigkeit zu erreichen. Das Geheimnis der
österreichischen Politik, die uns stets als vorbildlich hingestellt wird, ist schnell
entschleiert. Sowohl die geographische Lage, wie die Staatsorganisation der
Habsburgischen Monarchie, wie schließlich der praktische Gegensatz zwischen der
russischen und österreichischen Politik seit dem Krimkriege, gestatten es der Reichs¬
regierung, den Polen vorzugaukeln, als unterstütze sie deren Ambitionen, ohne
es doch je ernsthaft getan zu haben. Man müßte schon auf die ganz großen
historischen Richtlinien zurückgreifen, wollte man ähnlich von einem deutsch-
russischen Gegensatz sprechen. Man müßte auf die staatsbildenden Tendenzen
des achtzehnten Jahrhunderts in Preußen und Nußland zurückgehen, die mit
den Festsetzungen des Wiener Kongresses ihren Abschluß fanden, wollte man
die Basis für eine praktische Versöhnungspolitik zugunsten der Polen gewinnen.
Diese Basis bedeutete den Bruch mit Rußland und Jnaugurierung einer Politik
ähnlich der, wie sie die Herren Bobrinski und Konsorten unter den Nutheneu
in Osterreich treiben, worüber wir unsere Leser in Heft 1 d. I. eingehend unter¬
richtet haben*).

Ein Wort der Erläuterung scheint hier am Platze.

Als Friedrich der Große in die von der Habsburgischen Diplomatie angestrebte
erste Teilung der zum Werkzeug Rußlands herabgesunkenen polnischen Republik
willigte, war sein großes Ziel, Raum zu schaffen für die Ausdehnung Preußens:
die russische Westgrenze sollte nicht an den Stadtmauern Berlins entlang laufen.



"Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes".
Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Die verständigen Polen glauben jedenfalls ebensowenig daran, wie wir. Im
übrigen haben die Vorwürfe nur die praktische Bedeutung, daß sie die im deutschen
Lager an und für sich schon herrschende Uneinigkeit über die Polenpolitik
durchaus zum Schaden der nationalen Sache vergrößern.

Diese Feststellung führt nun noch lange nicht dazu, denen Recht zu geben,
die da meinen, wir brauchten die Polen nur in ihren nationalen Empfindungen
zu schonen, ihre Religion und Sprache anzuerkennen und es ihnen selbst zu
überlassen, ob sie die deutsche Sprache lernen wollten oder nicht, um sie in
gute deutsche Staatsbürger umzuwandeln. Wer so denkt, übersieht zunächst,
daß die Polen in Preußen weder in Sprache noch Religion beengt werden,
der achtet aber auch die nationale Kraft der Polen gar zu gering, — dem ist
sicher auch nicht gegenwärtig, daß der staatlich in der Republik vereinte Haufe,
der einst die Teilungen zuließ, sich in den abgelaufenen hundertundfunfzig Jahren
zu einer Nation im besten Sinne des Wortes, zu einem Volk mit eigener hoher
Kultur, eigenen politischen Zielen und nationalen Organisationen umgewandelt
hat, in ein Volk, das zwar gezwungen ist, in drei Staatswesen Bürgerrecht zu
nehmen, das aber nichts weniger als in drei Teile gespalten ist. Derjenige
von den drei Teilungsstaaten, der die Polen „versöhnen" wollte, müßte ihnen
behilflich sein, das große Ziel ihres nationalen Sehnens, den staatlichen Zu¬
sammenschluß, die staatliche Selbständigkeit zu erreichen. Das Geheimnis der
österreichischen Politik, die uns stets als vorbildlich hingestellt wird, ist schnell
entschleiert. Sowohl die geographische Lage, wie die Staatsorganisation der
Habsburgischen Monarchie, wie schließlich der praktische Gegensatz zwischen der
russischen und österreichischen Politik seit dem Krimkriege, gestatten es der Reichs¬
regierung, den Polen vorzugaukeln, als unterstütze sie deren Ambitionen, ohne
es doch je ernsthaft getan zu haben. Man müßte schon auf die ganz großen
historischen Richtlinien zurückgreifen, wollte man ähnlich von einem deutsch-
russischen Gegensatz sprechen. Man müßte auf die staatsbildenden Tendenzen
des achtzehnten Jahrhunderts in Preußen und Nußland zurückgehen, die mit
den Festsetzungen des Wiener Kongresses ihren Abschluß fanden, wollte man
die Basis für eine praktische Versöhnungspolitik zugunsten der Polen gewinnen.
Diese Basis bedeutete den Bruch mit Rußland und Jnaugurierung einer Politik
ähnlich der, wie sie die Herren Bobrinski und Konsorten unter den Nutheneu
in Osterreich treiben, worüber wir unsere Leser in Heft 1 d. I. eingehend unter¬
richtet haben*).

Ein Wort der Erläuterung scheint hier am Platze.

Als Friedrich der Große in die von der Habsburgischen Diplomatie angestrebte
erste Teilung der zum Werkzeug Rußlands herabgesunkenen polnischen Republik
willigte, war sein großes Ziel, Raum zu schaffen für die Ausdehnung Preußens:
die russische Westgrenze sollte nicht an den Stadtmauern Berlins entlang laufen.



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[0592] Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik Die verständigen Polen glauben jedenfalls ebensowenig daran, wie wir. Im übrigen haben die Vorwürfe nur die praktische Bedeutung, daß sie die im deutschen Lager an und für sich schon herrschende Uneinigkeit über die Polenpolitik durchaus zum Schaden der nationalen Sache vergrößern. Diese Feststellung führt nun noch lange nicht dazu, denen Recht zu geben, die da meinen, wir brauchten die Polen nur in ihren nationalen Empfindungen zu schonen, ihre Religion und Sprache anzuerkennen und es ihnen selbst zu überlassen, ob sie die deutsche Sprache lernen wollten oder nicht, um sie in gute deutsche Staatsbürger umzuwandeln. Wer so denkt, übersieht zunächst, daß die Polen in Preußen weder in Sprache noch Religion beengt werden, der achtet aber auch die nationale Kraft der Polen gar zu gering, — dem ist sicher auch nicht gegenwärtig, daß der staatlich in der Republik vereinte Haufe, der einst die Teilungen zuließ, sich in den abgelaufenen hundertundfunfzig Jahren zu einer Nation im besten Sinne des Wortes, zu einem Volk mit eigener hoher Kultur, eigenen politischen Zielen und nationalen Organisationen umgewandelt hat, in ein Volk, das zwar gezwungen ist, in drei Staatswesen Bürgerrecht zu nehmen, das aber nichts weniger als in drei Teile gespalten ist. Derjenige von den drei Teilungsstaaten, der die Polen „versöhnen" wollte, müßte ihnen behilflich sein, das große Ziel ihres nationalen Sehnens, den staatlichen Zu¬ sammenschluß, die staatliche Selbständigkeit zu erreichen. Das Geheimnis der österreichischen Politik, die uns stets als vorbildlich hingestellt wird, ist schnell entschleiert. Sowohl die geographische Lage, wie die Staatsorganisation der Habsburgischen Monarchie, wie schließlich der praktische Gegensatz zwischen der russischen und österreichischen Politik seit dem Krimkriege, gestatten es der Reichs¬ regierung, den Polen vorzugaukeln, als unterstütze sie deren Ambitionen, ohne es doch je ernsthaft getan zu haben. Man müßte schon auf die ganz großen historischen Richtlinien zurückgreifen, wollte man ähnlich von einem deutsch- russischen Gegensatz sprechen. Man müßte auf die staatsbildenden Tendenzen des achtzehnten Jahrhunderts in Preußen und Nußland zurückgehen, die mit den Festsetzungen des Wiener Kongresses ihren Abschluß fanden, wollte man die Basis für eine praktische Versöhnungspolitik zugunsten der Polen gewinnen. Diese Basis bedeutete den Bruch mit Rußland und Jnaugurierung einer Politik ähnlich der, wie sie die Herren Bobrinski und Konsorten unter den Nutheneu in Osterreich treiben, worüber wir unsere Leser in Heft 1 d. I. eingehend unter¬ richtet haben*). Ein Wort der Erläuterung scheint hier am Platze. Als Friedrich der Große in die von der Habsburgischen Diplomatie angestrebte erste Teilung der zum Werkzeug Rußlands herabgesunkenen polnischen Republik willigte, war sein großes Ziel, Raum zu schaffen für die Ausdehnung Preußens: die russische Westgrenze sollte nicht an den Stadtmauern Berlins entlang laufen. „Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/592>, abgerufen am 25.07.2024.