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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Goethetage in Weimar
Adolf Tentcnberg Von

lljährlich, wenn der Flieder Wohlgerüche durch das Land strömt und
die großen Blütendolden der Kastanie wie Opferkerzen an Altären
brennen, hat Weimar seine großen Tage. Goethetage! Aus allen
Enden des Reiches kommen sie angefahren, die Herren von der Goethe-
Gesellschaft, beleben mit ihren entzückt umherblickenden Damen die
sonst so stillen Straßen, füllen Theater und Versammlungssaal, machen die meist
menschenleeren Erinnerungsstätten der Alt-Weimarer Vergangenheit zu gefährlich
werdenden Zentren des Verkehrs und streben zuletzt, nachdem das Tagungs¬
programm absolviert und die Feierlichkeiten verklungen sind, hinaus auf Höhen
Ettersburgs, in Tiesurts Tal, oder auch in den naturschönen Park von Belvedere,
oder auch in die entlegenere Landschaft Thüringens, um hier, im grünen blühenden
Wald Pfingsten, das liebliche Fest, auf eine goethisch-frohe Weise noch einmal
zu feiern.

Diesmal schien der Gott der Wolken und der Winde die Freude an Wald
und Flur nicht also liebreich begünstigen zu wollen wie sonst wohl. Als man
händeschüttelnd Wiedersehen feierte, machte der Weimarer Himmel dazu sein gries¬
grämigstes Gesicht, und von Stunde zu Stunde troff es in langweiligen Bind¬
faden draußen so auf goetheähnliche wie auf goetheunähnliche Menschenkinder
nieder.

Aber drinnen glänzten heitere Bilder auf: drinnen im Hoftheater, das die
Mitglieder der Goethe-Gesellschaft am Vorabend der großen Versammlung mit
irgendeinem Webestück aus der übervollen Schatzkammer des Meisters aller Meister
zu ergötzen pflegt. Es war nicht eines von den großen Gewirken, auf dein Ge-
stalten schreiten, Schicksale sichtbar werden, Helden ringen und fallen, was das
Hoftheater diesmal herausgestellt hatte. Vielmehr ein Tableau, das bloß Rahmen
war -- Rahmen für kostbares Kleingeschmeide Goethescher Dichtkunst, das man
in goldene Töne gefaßt buntfarbig aufleuchten ließ. Man hatte, von dem Einerlei
erschlaffender Gewohnheit ablassend, die Schauspielkunst beurlaubt und an die
Stelle des üblichen Dramas ein Konzert gesetzt, die Tagung festlich einzuläuten --
ein "Konzert im Stile von Goethes Hausmusik". Dem Theatergast, der sich dabei
leise schaudernd auf den Anblick schwarzbefrackter Herren, dekollettierter Sängerinnen
und ausdrucksloser Choristenmienen gefaßt gemacht hatte, erlebte eine freudige
Überraschung, als der Vorhang langsam auseinanderrauschte. Man sah in ein
blumig hell austapeziertes Zimmer im Zierstil der Zopfzeit, bevölkert von einer
bunten Schar von Damen und Herren, wirkungsvoll aufgereiht und graziös sich
gebend in der heiterstimmenden Tracht des Biedermeier. Sie stehen, Chor und




Goethetage in Weimar
Adolf Tentcnberg Von

lljährlich, wenn der Flieder Wohlgerüche durch das Land strömt und
die großen Blütendolden der Kastanie wie Opferkerzen an Altären
brennen, hat Weimar seine großen Tage. Goethetage! Aus allen
Enden des Reiches kommen sie angefahren, die Herren von der Goethe-
Gesellschaft, beleben mit ihren entzückt umherblickenden Damen die
sonst so stillen Straßen, füllen Theater und Versammlungssaal, machen die meist
menschenleeren Erinnerungsstätten der Alt-Weimarer Vergangenheit zu gefährlich
werdenden Zentren des Verkehrs und streben zuletzt, nachdem das Tagungs¬
programm absolviert und die Feierlichkeiten verklungen sind, hinaus auf Höhen
Ettersburgs, in Tiesurts Tal, oder auch in den naturschönen Park von Belvedere,
oder auch in die entlegenere Landschaft Thüringens, um hier, im grünen blühenden
Wald Pfingsten, das liebliche Fest, auf eine goethisch-frohe Weise noch einmal
zu feiern.

Diesmal schien der Gott der Wolken und der Winde die Freude an Wald
und Flur nicht also liebreich begünstigen zu wollen wie sonst wohl. Als man
händeschüttelnd Wiedersehen feierte, machte der Weimarer Himmel dazu sein gries¬
grämigstes Gesicht, und von Stunde zu Stunde troff es in langweiligen Bind¬
faden draußen so auf goetheähnliche wie auf goetheunähnliche Menschenkinder
nieder.

Aber drinnen glänzten heitere Bilder auf: drinnen im Hoftheater, das die
Mitglieder der Goethe-Gesellschaft am Vorabend der großen Versammlung mit
irgendeinem Webestück aus der übervollen Schatzkammer des Meisters aller Meister
zu ergötzen pflegt. Es war nicht eines von den großen Gewirken, auf dein Ge-
stalten schreiten, Schicksale sichtbar werden, Helden ringen und fallen, was das
Hoftheater diesmal herausgestellt hatte. Vielmehr ein Tableau, das bloß Rahmen
war — Rahmen für kostbares Kleingeschmeide Goethescher Dichtkunst, das man
in goldene Töne gefaßt buntfarbig aufleuchten ließ. Man hatte, von dem Einerlei
erschlaffender Gewohnheit ablassend, die Schauspielkunst beurlaubt und an die
Stelle des üblichen Dramas ein Konzert gesetzt, die Tagung festlich einzuläuten —
ein „Konzert im Stile von Goethes Hausmusik". Dem Theatergast, der sich dabei
leise schaudernd auf den Anblick schwarzbefrackter Herren, dekollettierter Sängerinnen
und ausdrucksloser Choristenmienen gefaßt gemacht hatte, erlebte eine freudige
Überraschung, als der Vorhang langsam auseinanderrauschte. Man sah in ein
blumig hell austapeziertes Zimmer im Zierstil der Zopfzeit, bevölkert von einer
bunten Schar von Damen und Herren, wirkungsvoll aufgereiht und graziös sich
gebend in der heiterstimmenden Tracht des Biedermeier. Sie stehen, Chor und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/575>, abgerufen am 27.06.2024.