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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wisbys, Berufungen in gerichtlichen Entscheidungen an den Rat zu Lübeck
richten solle, und 1299 machen in Lübeck Sendboten der Seestädte im Einver¬
ständnis mit Abgeordneten westfälischer Städte aus, daß "der gemeine Kaufmann
von Gotland kein Siegel mehr führen dürfe; denn es könne damit gesiegelt
werden, was den anderen Städten nicht gefalle." Brutaler Krämerneid also
brach die Blüte Wisbys. Wohl besuchte noch "der gemeine Kaufmann" Got-
land, doch die Glanzzeit Wisbys war unwiederbringlich dahin. Es wird eine
schwedische Provinzstadt, fest an das wechselnde Schicksal der schwedischen Krone
gefesselt. Im vierzehnten Jahrhundert ist es abwechselnd in schwedischen und
dänischen Besitze.

Dem Untergange nahegebracht wird die reiche Gotenstadt durch den tat¬
kräftigen Dänenkönig Waldemar den Vierten Atterdag. Erst nach schweren
Kämpfen mit dem Adel des Landes durch die Hilfe der Hanse zu Krone und
Reich gekommen, faßt er den verwegenen und kühnen Plan, die wirtschaftliche
Vormacht der Hanse zu brechen, die Ostsee zu einem dänischen Meere zu
machen. Er führt eine Flotte gegen Gotland und macht am 27. Juli 1361
einen Angriff auf Wisby. Anstatt daß man aber die Feinde an den festen
Mauern der Stadt die Köpfe sich blutig rennen läßt, tritt ihm ein Heer von
gotischen Bauern und von Bürgern Wisbys in offener Feldschlacht entgegen
und erliegt den krieggeübten Dänen. Ein mehr als mannshohes Nadkrcuz aus
Kalkstein bezeichnet heute noch die Stelle, wo auf breiter Heide vor Wisbys
Toren eintausendachthundert Goten und wohl auch Deutsche unter den Händen
der Dänen ihren Tod gefunden haben. Unermeßliche Schätze soll der Dänen¬
könig davongeführt haben. Von jetzt ab wird aus der bisher noch immer
regen Hansestadt Wisby die stille Stadt am Meer.

In der Zeit der schweren Wirrnisse, die nach der Wahl Margaretas,
Waldemars des Vierten Atterdag Tochter, zur Regentin von Schweden die
nordischen Reiche erschütterten, nisten sich seit 1392 in Wisby und den Fels¬
klüften seiner Umgebung die Vitalienbrüder ein, die mit Kaperbriefen aus¬
gestatteten Parteigänger der an Schweden stark interessierten Herzöge von
Mecklenburg. Wisby sinkt zum Seeräuberneste herab. Im Jahre 1398 entreißt
aber Konrad von Jungingen, der Ordensmeister des Deutschritterordens, den
Vitalienbrüdern die Insel. Bis 1410 bleibt sie im Pfandbesitze des Ordens.
Dann kauft sie ihm Margaret" für sechstausend Nosenobel ab und verleiht sie
Dänemark ein. Dieser zeitweiligen deutschen Herrschaft über Gotland verdankt
übrigens die niederdeutsche Übersetzung der Gutalag ihr Dasein. Johann
Techewiez, der vom Orden eingesetzte Hauptmann von Gotland, hat nämlich
die gotische Fassung des Rechtsbuches durch den "Erbareu heren spüre, eynen
vörstenden des sputalis zu sente Jörghen" im Jahre 1401 ins Deutsche über¬
tragen lassen. Als die erbitterten Kämpfe des Unionskönigs Erichs des Drei¬
zehnter, des Pommern, mit den Grafen von Holstein und einem Teile der
Ostseestädte um den Besitz von Schleswig mit der Entsetzung dieses Königs


wisby

Wisbys, Berufungen in gerichtlichen Entscheidungen an den Rat zu Lübeck
richten solle, und 1299 machen in Lübeck Sendboten der Seestädte im Einver¬
ständnis mit Abgeordneten westfälischer Städte aus, daß „der gemeine Kaufmann
von Gotland kein Siegel mehr führen dürfe; denn es könne damit gesiegelt
werden, was den anderen Städten nicht gefalle." Brutaler Krämerneid also
brach die Blüte Wisbys. Wohl besuchte noch „der gemeine Kaufmann" Got-
land, doch die Glanzzeit Wisbys war unwiederbringlich dahin. Es wird eine
schwedische Provinzstadt, fest an das wechselnde Schicksal der schwedischen Krone
gefesselt. Im vierzehnten Jahrhundert ist es abwechselnd in schwedischen und
dänischen Besitze.

Dem Untergange nahegebracht wird die reiche Gotenstadt durch den tat¬
kräftigen Dänenkönig Waldemar den Vierten Atterdag. Erst nach schweren
Kämpfen mit dem Adel des Landes durch die Hilfe der Hanse zu Krone und
Reich gekommen, faßt er den verwegenen und kühnen Plan, die wirtschaftliche
Vormacht der Hanse zu brechen, die Ostsee zu einem dänischen Meere zu
machen. Er führt eine Flotte gegen Gotland und macht am 27. Juli 1361
einen Angriff auf Wisby. Anstatt daß man aber die Feinde an den festen
Mauern der Stadt die Köpfe sich blutig rennen läßt, tritt ihm ein Heer von
gotischen Bauern und von Bürgern Wisbys in offener Feldschlacht entgegen
und erliegt den krieggeübten Dänen. Ein mehr als mannshohes Nadkrcuz aus
Kalkstein bezeichnet heute noch die Stelle, wo auf breiter Heide vor Wisbys
Toren eintausendachthundert Goten und wohl auch Deutsche unter den Händen
der Dänen ihren Tod gefunden haben. Unermeßliche Schätze soll der Dänen¬
könig davongeführt haben. Von jetzt ab wird aus der bisher noch immer
regen Hansestadt Wisby die stille Stadt am Meer.

In der Zeit der schweren Wirrnisse, die nach der Wahl Margaretas,
Waldemars des Vierten Atterdag Tochter, zur Regentin von Schweden die
nordischen Reiche erschütterten, nisten sich seit 1392 in Wisby und den Fels¬
klüften seiner Umgebung die Vitalienbrüder ein, die mit Kaperbriefen aus¬
gestatteten Parteigänger der an Schweden stark interessierten Herzöge von
Mecklenburg. Wisby sinkt zum Seeräuberneste herab. Im Jahre 1398 entreißt
aber Konrad von Jungingen, der Ordensmeister des Deutschritterordens, den
Vitalienbrüdern die Insel. Bis 1410 bleibt sie im Pfandbesitze des Ordens.
Dann kauft sie ihm Margaret« für sechstausend Nosenobel ab und verleiht sie
Dänemark ein. Dieser zeitweiligen deutschen Herrschaft über Gotland verdankt
übrigens die niederdeutsche Übersetzung der Gutalag ihr Dasein. Johann
Techewiez, der vom Orden eingesetzte Hauptmann von Gotland, hat nämlich
die gotische Fassung des Rechtsbuches durch den „Erbareu heren spüre, eynen
vörstenden des sputalis zu sente Jörghen" im Jahre 1401 ins Deutsche über¬
tragen lassen. Als die erbitterten Kämpfe des Unionskönigs Erichs des Drei¬
zehnter, des Pommern, mit den Grafen von Holstein und einem Teile der
Ostseestädte um den Besitz von Schleswig mit der Entsetzung dieses Königs


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[0570] wisby Wisbys, Berufungen in gerichtlichen Entscheidungen an den Rat zu Lübeck richten solle, und 1299 machen in Lübeck Sendboten der Seestädte im Einver¬ ständnis mit Abgeordneten westfälischer Städte aus, daß „der gemeine Kaufmann von Gotland kein Siegel mehr führen dürfe; denn es könne damit gesiegelt werden, was den anderen Städten nicht gefalle." Brutaler Krämerneid also brach die Blüte Wisbys. Wohl besuchte noch „der gemeine Kaufmann" Got- land, doch die Glanzzeit Wisbys war unwiederbringlich dahin. Es wird eine schwedische Provinzstadt, fest an das wechselnde Schicksal der schwedischen Krone gefesselt. Im vierzehnten Jahrhundert ist es abwechselnd in schwedischen und dänischen Besitze. Dem Untergange nahegebracht wird die reiche Gotenstadt durch den tat¬ kräftigen Dänenkönig Waldemar den Vierten Atterdag. Erst nach schweren Kämpfen mit dem Adel des Landes durch die Hilfe der Hanse zu Krone und Reich gekommen, faßt er den verwegenen und kühnen Plan, die wirtschaftliche Vormacht der Hanse zu brechen, die Ostsee zu einem dänischen Meere zu machen. Er führt eine Flotte gegen Gotland und macht am 27. Juli 1361 einen Angriff auf Wisby. Anstatt daß man aber die Feinde an den festen Mauern der Stadt die Köpfe sich blutig rennen läßt, tritt ihm ein Heer von gotischen Bauern und von Bürgern Wisbys in offener Feldschlacht entgegen und erliegt den krieggeübten Dänen. Ein mehr als mannshohes Nadkrcuz aus Kalkstein bezeichnet heute noch die Stelle, wo auf breiter Heide vor Wisbys Toren eintausendachthundert Goten und wohl auch Deutsche unter den Händen der Dänen ihren Tod gefunden haben. Unermeßliche Schätze soll der Dänen¬ könig davongeführt haben. Von jetzt ab wird aus der bisher noch immer regen Hansestadt Wisby die stille Stadt am Meer. In der Zeit der schweren Wirrnisse, die nach der Wahl Margaretas, Waldemars des Vierten Atterdag Tochter, zur Regentin von Schweden die nordischen Reiche erschütterten, nisten sich seit 1392 in Wisby und den Fels¬ klüften seiner Umgebung die Vitalienbrüder ein, die mit Kaperbriefen aus¬ gestatteten Parteigänger der an Schweden stark interessierten Herzöge von Mecklenburg. Wisby sinkt zum Seeräuberneste herab. Im Jahre 1398 entreißt aber Konrad von Jungingen, der Ordensmeister des Deutschritterordens, den Vitalienbrüdern die Insel. Bis 1410 bleibt sie im Pfandbesitze des Ordens. Dann kauft sie ihm Margaret« für sechstausend Nosenobel ab und verleiht sie Dänemark ein. Dieser zeitweiligen deutschen Herrschaft über Gotland verdankt übrigens die niederdeutsche Übersetzung der Gutalag ihr Dasein. Johann Techewiez, der vom Orden eingesetzte Hauptmann von Gotland, hat nämlich die gotische Fassung des Rechtsbuches durch den „Erbareu heren spüre, eynen vörstenden des sputalis zu sente Jörghen" im Jahre 1401 ins Deutsche über¬ tragen lassen. Als die erbitterten Kämpfe des Unionskönigs Erichs des Drei¬ zehnter, des Pommern, mit den Grafen von Holstein und einem Teile der Ostseestädte um den Besitz von Schleswig mit der Entsetzung dieses Königs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/570>, abgerufen am 25.07.2024.