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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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wisby

Handwerkern aus Gotland und vor allem wohl aus Wisby, und verleiht seinen
Bürgern die Rechte Gotlands, d. h. wohl Wisbys. Bischof Nikolaus gestattet
ihnen 1238, diese Rechte zu verbessern, nach denen sie "von der ersten Gründung
der Stadt gelebt hätten". Die russischen Fürsten von Smolensk und Now¬
gorod schließen Handelsverträge mit dem "Gotischen Ufer" ab, wie Wisby in
jenen Schriftstücken genannt wird. Die in Wisby ansässigen deutschen Kauf¬
leute sind Kern und Seele der in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
mächtig aufblühenden Stadt, in der sich mit gleichen Rechten auch Goten
ansiedelten.

Wisby gehörte zwar seinem staatsrechtlichen Verhältnisse nach dem schwe¬
dischen Staatsverbande an, doch zuletzt hatte nach der Einleitung zur
Wisby Stadslag König Magnus der Zweite Erikson um 1288 die der Stadt
Wisby erteilten Rechte erneuert und bestätigt. Es heißt nämlich da*): "Und
hiernach erneuerte und bestätigte uns König Magnus von Schweden, von Nor¬
wegen und von Schonen unser Recht und Freiheit und gab uns, daß wir zwei
Bücher haben sollten, eins in Gotisch und eins in Deutsch, beide von einem
Sinn und Rechte über alle Zeit. . . und gab uns, daß wir haben sollten ein
Jnsiegel von beiden Zungen." Sechsunddreißig Ratsherren von beiden Zungen
sollten an der Spitze der Stadt stehen, zwei Vögte, ein Gode und ein Deutscher,
sollten das Recht bewahren auf dem Markte. Wisbys Glanz ist indes ohne
den Anschluß an die deutsche Hansa nicht denkbar. Es hat sogar bis zum
Emporkommen Lübecks die Führung der deutschen Städte im Ostseehandel ge¬
habt. Ungeahnte Reichtümer sind hier aufgehäuft worden. Denn noch heute
weiß das Volkslied zu singen:

Und in der Tat verbieten gotländische Zusätze zur Gutalag alle Ver¬
goldung, Gold- und Seitenhaut, Scharlach und Silberzieraten an Weiber¬
kleidern bei einer Strafe von 12 Mark Silbers.

Wie hoch übrigens Treu und Glauben im Verkehr der Volksgenossen
untereinander und mit dem Kaufmann bewertet wurden, beleuchtet folgende
Gesetzesbestimmung: "Borgen unter Dorfnachbarn ist verboten. Kaufe niemand
mehr, als er gleich danach bezahlen kann. Wer etwas hiervon bricht, büße
12 Mark Silbers dem Lande."

Nach verhältnismäßig kurzer Blüte als Hansestadt tritt indes ein Still¬
stand der Entwicklung und bald auch ein Rückgang der Stadt ein. Im Jahre
1293 beschließen nämlich auf einer Tagfahrt die sächsischen und wendischen
Städte, daß von nun an Nowgorod, in gewissem Sinne die Tochterstadt



*) Aus dem Niederdeutschen ins Neuhochdeutsche übertragen.
wisby

Handwerkern aus Gotland und vor allem wohl aus Wisby, und verleiht seinen
Bürgern die Rechte Gotlands, d. h. wohl Wisbys. Bischof Nikolaus gestattet
ihnen 1238, diese Rechte zu verbessern, nach denen sie „von der ersten Gründung
der Stadt gelebt hätten". Die russischen Fürsten von Smolensk und Now¬
gorod schließen Handelsverträge mit dem „Gotischen Ufer" ab, wie Wisby in
jenen Schriftstücken genannt wird. Die in Wisby ansässigen deutschen Kauf¬
leute sind Kern und Seele der in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts
mächtig aufblühenden Stadt, in der sich mit gleichen Rechten auch Goten
ansiedelten.

Wisby gehörte zwar seinem staatsrechtlichen Verhältnisse nach dem schwe¬
dischen Staatsverbande an, doch zuletzt hatte nach der Einleitung zur
Wisby Stadslag König Magnus der Zweite Erikson um 1288 die der Stadt
Wisby erteilten Rechte erneuert und bestätigt. Es heißt nämlich da*): „Und
hiernach erneuerte und bestätigte uns König Magnus von Schweden, von Nor¬
wegen und von Schonen unser Recht und Freiheit und gab uns, daß wir zwei
Bücher haben sollten, eins in Gotisch und eins in Deutsch, beide von einem
Sinn und Rechte über alle Zeit. . . und gab uns, daß wir haben sollten ein
Jnsiegel von beiden Zungen." Sechsunddreißig Ratsherren von beiden Zungen
sollten an der Spitze der Stadt stehen, zwei Vögte, ein Gode und ein Deutscher,
sollten das Recht bewahren auf dem Markte. Wisbys Glanz ist indes ohne
den Anschluß an die deutsche Hansa nicht denkbar. Es hat sogar bis zum
Emporkommen Lübecks die Führung der deutschen Städte im Ostseehandel ge¬
habt. Ungeahnte Reichtümer sind hier aufgehäuft worden. Denn noch heute
weiß das Volkslied zu singen:

Und in der Tat verbieten gotländische Zusätze zur Gutalag alle Ver¬
goldung, Gold- und Seitenhaut, Scharlach und Silberzieraten an Weiber¬
kleidern bei einer Strafe von 12 Mark Silbers.

Wie hoch übrigens Treu und Glauben im Verkehr der Volksgenossen
untereinander und mit dem Kaufmann bewertet wurden, beleuchtet folgende
Gesetzesbestimmung: „Borgen unter Dorfnachbarn ist verboten. Kaufe niemand
mehr, als er gleich danach bezahlen kann. Wer etwas hiervon bricht, büße
12 Mark Silbers dem Lande."

Nach verhältnismäßig kurzer Blüte als Hansestadt tritt indes ein Still¬
stand der Entwicklung und bald auch ein Rückgang der Stadt ein. Im Jahre
1293 beschließen nämlich auf einer Tagfahrt die sächsischen und wendischen
Städte, daß von nun an Nowgorod, in gewissem Sinne die Tochterstadt



*) Aus dem Niederdeutschen ins Neuhochdeutsche übertragen.
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[0569] wisby Handwerkern aus Gotland und vor allem wohl aus Wisby, und verleiht seinen Bürgern die Rechte Gotlands, d. h. wohl Wisbys. Bischof Nikolaus gestattet ihnen 1238, diese Rechte zu verbessern, nach denen sie „von der ersten Gründung der Stadt gelebt hätten". Die russischen Fürsten von Smolensk und Now¬ gorod schließen Handelsverträge mit dem „Gotischen Ufer" ab, wie Wisby in jenen Schriftstücken genannt wird. Die in Wisby ansässigen deutschen Kauf¬ leute sind Kern und Seele der in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts mächtig aufblühenden Stadt, in der sich mit gleichen Rechten auch Goten ansiedelten. Wisby gehörte zwar seinem staatsrechtlichen Verhältnisse nach dem schwe¬ dischen Staatsverbande an, doch zuletzt hatte nach der Einleitung zur Wisby Stadslag König Magnus der Zweite Erikson um 1288 die der Stadt Wisby erteilten Rechte erneuert und bestätigt. Es heißt nämlich da*): „Und hiernach erneuerte und bestätigte uns König Magnus von Schweden, von Nor¬ wegen und von Schonen unser Recht und Freiheit und gab uns, daß wir zwei Bücher haben sollten, eins in Gotisch und eins in Deutsch, beide von einem Sinn und Rechte über alle Zeit. . . und gab uns, daß wir haben sollten ein Jnsiegel von beiden Zungen." Sechsunddreißig Ratsherren von beiden Zungen sollten an der Spitze der Stadt stehen, zwei Vögte, ein Gode und ein Deutscher, sollten das Recht bewahren auf dem Markte. Wisbys Glanz ist indes ohne den Anschluß an die deutsche Hansa nicht denkbar. Es hat sogar bis zum Emporkommen Lübecks die Führung der deutschen Städte im Ostseehandel ge¬ habt. Ungeahnte Reichtümer sind hier aufgehäuft worden. Denn noch heute weiß das Volkslied zu singen: Und in der Tat verbieten gotländische Zusätze zur Gutalag alle Ver¬ goldung, Gold- und Seitenhaut, Scharlach und Silberzieraten an Weiber¬ kleidern bei einer Strafe von 12 Mark Silbers. Wie hoch übrigens Treu und Glauben im Verkehr der Volksgenossen untereinander und mit dem Kaufmann bewertet wurden, beleuchtet folgende Gesetzesbestimmung: „Borgen unter Dorfnachbarn ist verboten. Kaufe niemand mehr, als er gleich danach bezahlen kann. Wer etwas hiervon bricht, büße 12 Mark Silbers dem Lande." Nach verhältnismäßig kurzer Blüte als Hansestadt tritt indes ein Still¬ stand der Entwicklung und bald auch ein Rückgang der Stadt ein. Im Jahre 1293 beschließen nämlich auf einer Tagfahrt die sächsischen und wendischen Städte, daß von nun an Nowgorod, in gewissem Sinne die Tochterstadt *) Aus dem Niederdeutschen ins Neuhochdeutsche übertragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/569>, abgerufen am 25.07.2024.