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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Illusion von Saloniki

uns hermetisch abzuschließen. Auch ist Ostasien außerhalb der russischen Zoll¬
grenzen geblieben. Was endlich die Vereinigten Staaten betrifft, so hat ihre
Zollpolitik der MacKinley- und Dingleytarife eine gewisse Rückbildung erfahren.
Südamerika steht dem deutschen Handel noch immer offen, und für die Be¬
urteilung der gesamten Lage fällt ins Gewicht, daß Amerika gegenüber die wirt¬
schaftlichen Interessen "Mitteleuropas" (in diesem Fall Deutschlands) und Eng¬
lands nicht auseinander-, sondern zusammengehen. Vor allem aber haben die letzten
beiden Jahrzehnte nicht zu einer Trennung der Weltwirtschaft in eine Anzahl
wasserdicht getrennter Abteile geführt, sondern vielmehr zu einer außerordentlich
intensiven Durchdringung der Volkswirtschaft aller Länder, und damit eine
weltwirtschaftliche Gemeinsamheit geschaffen, die früher nie in diesem Maße
bestanden hat. Und wie steht es mit der Interessengemeinschaft Mitteleuropas?
Diese Einheit wird stets eine Utopie bleiben, da Frankreich sich nicht zum Anschluß
entscheiden wird, solange der § II des Frankfurter Friedens in Kraft bleibt.
Und die beiden "mitteleuropäischen" Länder katexochen, Deutschland und
Österreich-Ungarn? Durch die falsche Vorstellung, als ob die Interessen
Deutschlands und Österreich-Ungarns im nahen Orient die gleichen seien, wird
die Tatsache verhüllt, die aus den Konsularberichten, den Handelsvertragsoer-
handlungen und sonstigen wirtschaftlichen Berichten deutlichst hervorgeht, daß wir
und Österreich am Balkan wirtschaftliche Konkurrenten sind. Das ist eine
durchaus normale und gesunde Konkurrenz unter guten Freunden, in die sich
glücklicherweise kein überflüssiger Handelsneid hineinmischt.

Besonders deutlich tritt diese Konkurrenz in der Geschichte der handels¬
politischen Beziehungen zwischen Österreich und Serbien zutage, für die die handels¬
politischen Schriften des Vereins für Sozialpolitik genügend beweiskräftiges
Material zusammengetragen haben. Diese Dinge sind auch deshalb interessant,
weil sie die österreichische Balkanpolitik nach dem Berliner Kongreß Heller
beleuchten. Die österreichische Balkanpolitik strebte damals in Serbien eine
wirtschaftliche Vorzugs-, wenn nicht Monopolstellung an; und Deutschland hat
diese Ansprüche Österreich-Ungarns wiederholt durch Verträge anerkannt. Auf
dem Berliner Kongreß suchte die österreichische Diplomatie Serbien zu einer
Zollunion mit der Monarchie zu bewegen, und noch im Jahre 1878 wurde
eine Präliminarkonvention geschlossen, die eine solche vereinbarte. Aber
die Skupischina verwarf sie, und die serbische Regierung schloß, um der
gefürchteten wirtschaftlichen Aussaugung durch die Donaumonarchie zu entgehen,
mit England und anderen Ländern Meistbegünstiguugsverträge. Österreich
beantwortete diesen Widerstand Serbiens mit einer Viehsperre. Das Er¬
gebnis war, daß die endgültigen Meistbegünsti^ungsvelträge, die Serbien einging,
die meistbegünstiglen Nationen von den Vorteilen ausschlossen, die Serbien
seinem Nochbarn im Grenzverkehr einräumen wollte. Die Bestimmung über
den Grenzverkehr bildete den wichtigsten Teil des Handelsvertrages, der 1881
zwischen Österreich und Serbien geschlossen wurde. Da hier nämlich keine


Die Illusion von Saloniki

uns hermetisch abzuschließen. Auch ist Ostasien außerhalb der russischen Zoll¬
grenzen geblieben. Was endlich die Vereinigten Staaten betrifft, so hat ihre
Zollpolitik der MacKinley- und Dingleytarife eine gewisse Rückbildung erfahren.
Südamerika steht dem deutschen Handel noch immer offen, und für die Be¬
urteilung der gesamten Lage fällt ins Gewicht, daß Amerika gegenüber die wirt¬
schaftlichen Interessen „Mitteleuropas" (in diesem Fall Deutschlands) und Eng¬
lands nicht auseinander-, sondern zusammengehen. Vor allem aber haben die letzten
beiden Jahrzehnte nicht zu einer Trennung der Weltwirtschaft in eine Anzahl
wasserdicht getrennter Abteile geführt, sondern vielmehr zu einer außerordentlich
intensiven Durchdringung der Volkswirtschaft aller Länder, und damit eine
weltwirtschaftliche Gemeinsamheit geschaffen, die früher nie in diesem Maße
bestanden hat. Und wie steht es mit der Interessengemeinschaft Mitteleuropas?
Diese Einheit wird stets eine Utopie bleiben, da Frankreich sich nicht zum Anschluß
entscheiden wird, solange der § II des Frankfurter Friedens in Kraft bleibt.
Und die beiden „mitteleuropäischen" Länder katexochen, Deutschland und
Österreich-Ungarn? Durch die falsche Vorstellung, als ob die Interessen
Deutschlands und Österreich-Ungarns im nahen Orient die gleichen seien, wird
die Tatsache verhüllt, die aus den Konsularberichten, den Handelsvertragsoer-
handlungen und sonstigen wirtschaftlichen Berichten deutlichst hervorgeht, daß wir
und Österreich am Balkan wirtschaftliche Konkurrenten sind. Das ist eine
durchaus normale und gesunde Konkurrenz unter guten Freunden, in die sich
glücklicherweise kein überflüssiger Handelsneid hineinmischt.

Besonders deutlich tritt diese Konkurrenz in der Geschichte der handels¬
politischen Beziehungen zwischen Österreich und Serbien zutage, für die die handels¬
politischen Schriften des Vereins für Sozialpolitik genügend beweiskräftiges
Material zusammengetragen haben. Diese Dinge sind auch deshalb interessant,
weil sie die österreichische Balkanpolitik nach dem Berliner Kongreß Heller
beleuchten. Die österreichische Balkanpolitik strebte damals in Serbien eine
wirtschaftliche Vorzugs-, wenn nicht Monopolstellung an; und Deutschland hat
diese Ansprüche Österreich-Ungarns wiederholt durch Verträge anerkannt. Auf
dem Berliner Kongreß suchte die österreichische Diplomatie Serbien zu einer
Zollunion mit der Monarchie zu bewegen, und noch im Jahre 1878 wurde
eine Präliminarkonvention geschlossen, die eine solche vereinbarte. Aber
die Skupischina verwarf sie, und die serbische Regierung schloß, um der
gefürchteten wirtschaftlichen Aussaugung durch die Donaumonarchie zu entgehen,
mit England und anderen Ländern Meistbegünstiguugsverträge. Österreich
beantwortete diesen Widerstand Serbiens mit einer Viehsperre. Das Er¬
gebnis war, daß die endgültigen Meistbegünsti^ungsvelträge, die Serbien einging,
die meistbegünstiglen Nationen von den Vorteilen ausschlossen, die Serbien
seinem Nochbarn im Grenzverkehr einräumen wollte. Die Bestimmung über
den Grenzverkehr bildete den wichtigsten Teil des Handelsvertrages, der 1881
zwischen Österreich und Serbien geschlossen wurde. Da hier nämlich keine


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[0516] Die Illusion von Saloniki uns hermetisch abzuschließen. Auch ist Ostasien außerhalb der russischen Zoll¬ grenzen geblieben. Was endlich die Vereinigten Staaten betrifft, so hat ihre Zollpolitik der MacKinley- und Dingleytarife eine gewisse Rückbildung erfahren. Südamerika steht dem deutschen Handel noch immer offen, und für die Be¬ urteilung der gesamten Lage fällt ins Gewicht, daß Amerika gegenüber die wirt¬ schaftlichen Interessen „Mitteleuropas" (in diesem Fall Deutschlands) und Eng¬ lands nicht auseinander-, sondern zusammengehen. Vor allem aber haben die letzten beiden Jahrzehnte nicht zu einer Trennung der Weltwirtschaft in eine Anzahl wasserdicht getrennter Abteile geführt, sondern vielmehr zu einer außerordentlich intensiven Durchdringung der Volkswirtschaft aller Länder, und damit eine weltwirtschaftliche Gemeinsamheit geschaffen, die früher nie in diesem Maße bestanden hat. Und wie steht es mit der Interessengemeinschaft Mitteleuropas? Diese Einheit wird stets eine Utopie bleiben, da Frankreich sich nicht zum Anschluß entscheiden wird, solange der § II des Frankfurter Friedens in Kraft bleibt. Und die beiden „mitteleuropäischen" Länder katexochen, Deutschland und Österreich-Ungarn? Durch die falsche Vorstellung, als ob die Interessen Deutschlands und Österreich-Ungarns im nahen Orient die gleichen seien, wird die Tatsache verhüllt, die aus den Konsularberichten, den Handelsvertragsoer- handlungen und sonstigen wirtschaftlichen Berichten deutlichst hervorgeht, daß wir und Österreich am Balkan wirtschaftliche Konkurrenten sind. Das ist eine durchaus normale und gesunde Konkurrenz unter guten Freunden, in die sich glücklicherweise kein überflüssiger Handelsneid hineinmischt. Besonders deutlich tritt diese Konkurrenz in der Geschichte der handels¬ politischen Beziehungen zwischen Österreich und Serbien zutage, für die die handels¬ politischen Schriften des Vereins für Sozialpolitik genügend beweiskräftiges Material zusammengetragen haben. Diese Dinge sind auch deshalb interessant, weil sie die österreichische Balkanpolitik nach dem Berliner Kongreß Heller beleuchten. Die österreichische Balkanpolitik strebte damals in Serbien eine wirtschaftliche Vorzugs-, wenn nicht Monopolstellung an; und Deutschland hat diese Ansprüche Österreich-Ungarns wiederholt durch Verträge anerkannt. Auf dem Berliner Kongreß suchte die österreichische Diplomatie Serbien zu einer Zollunion mit der Monarchie zu bewegen, und noch im Jahre 1878 wurde eine Präliminarkonvention geschlossen, die eine solche vereinbarte. Aber die Skupischina verwarf sie, und die serbische Regierung schloß, um der gefürchteten wirtschaftlichen Aussaugung durch die Donaumonarchie zu entgehen, mit England und anderen Ländern Meistbegünstiguugsverträge. Österreich beantwortete diesen Widerstand Serbiens mit einer Viehsperre. Das Er¬ gebnis war, daß die endgültigen Meistbegünsti^ungsvelträge, die Serbien einging, die meistbegünstiglen Nationen von den Vorteilen ausschlossen, die Serbien seinem Nochbarn im Grenzverkehr einräumen wollte. Die Bestimmung über den Grenzverkehr bildete den wichtigsten Teil des Handelsvertrages, der 1881 zwischen Österreich und Serbien geschlossen wurde. Da hier nämlich keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/516>, abgerufen am 25.07.2024.