Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Illusion von Saloniki

bestimmte Ausdehnung der Grenzzone ausgemacht war, so wurden die sehr
bedeutenden Grenzerleichterungen, die der Vertrag festsetzte, tatsächlich auf den
ganzen Umfang der beiden Staaten ausgedehnt. Österreich hat infolgedessen,
solange der Vertrag in Kraft blieb, eine Monopolstellung in Serbien besessen.
Aber es Hot diese Monopolstellung nicht behaupten können. Serbien gewann gegen¬
über dem übermächtigen Nachbarn ein bescheidenes Maß von Unabhängigkeit,
als die orientalischen Bahnen ausgebaut und eine Bahnverbindung zwischen
Saloniki und Belgrad hergestellt war (1889). Serbien, das ja ringsum nur
Landgrenzen hat, gewann jetzt eine Bahnverbindung an das Meer. Ter nächste
Handelsvertrag zwischen Österreich und Serbien (1893) machte der Monopol¬
stellung Österreichs ein Ende, indem er die Grenzzone, außerhalb deren die
Grenzerleichterung bestehen sollte, auf 10 Kilometer beschränkte. Es ist
bemerkenswert, daß sich diese Demarkierung der Grenzzone anch in den beiden
Handelsverträgen befindet, die Deutschland mit Österreich und Serbien 1893/94
abschloß. Deutschland nahm in diesen Verträgen auch weiterhin auf sich, daß
sein Meistbegünstigungsrecht dem Abschluß einer Zollunion zwischen beiden
Staaten nicht hindernd im Wege stehen sollte; aber die beiderseitigen Zoll¬
erleichterungen wurden auf ihr normales Maß zurückgeführt und dursten die
Meistbegünstigung Deutschlands in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen. Wir
haben also die wirtschaftliche Vorzugsstellung Österreichs in Serbien nur für
den Fall anerkannt, daß sie die Form einer Zollunion annähme. Von einer
solchen ist Österreich-Ungarn indessen heute weiter entfernt denn je. Schon bald
nach dem ersten Vertrag mit Serbien (1878) bekämpften die ungarischen Agrarier
die Zollunion aufs heftigste. Und wenn Serbien 1878 bis 1881 unter un¬
gleich schwierigeren Verhältnissen die Unabhängigkeit seiner Zoll- und Wirtschafts¬
politik sichern und sie länger als ein Menschenalter behaupten konnte, so wird es
jetzt nicht einer Zollunion beitreten, wo es die Bahnverbindung nach dem Ägäischen
Meer besitzt und eine neue nach der Adria erhalten soll. Ohnehin haben die
letzten Kriege den serbischen Nationalstolz bedeutend gesteigert, so daß eine
Zolleinigung als Folge einer friedlichen Entwicklung ganz ausgeschlossen erscheinen
muß. Aber als Grenznachbar und als bester und Hauptabnehmer der serbischen
Einfuhr kann Österreich-Ungarn noch immer einen recht beträchtlichen Druck
auf die wirtschaftspolitischen und mittelbar auf die politischen Entschlüsse Serbiens
ausüben; und es wäre für die Monarchie auch schwer, auf diesen Einfluß verzichten
zu müssen, wenn die Beziehungen zu dem unruhigen Nachbarn im Süden im
Gleichgewicht erhalten werden sollen. Das Hauptgewicht des österreichischen
"Ki-Mmsntum ack Iiominem" liegt darin, daß die Ausfuhr von lebendem
iVieh aus Serbien unter allen Umständen mit erheblichen Verlusten verbunden
se. wenn sie zur See geschieht. Aber schon während des "Schmeinekrieges"
von 1905 hatte sich Serbien, indem es neue Handelsverbindungen über See,
namentlich mit Griechenland, Italien. Malta und Ägypten, anknüpfte, von
Österreich-Ungarn soweit unabhängig gemacht, daß es nicht von jeder Aus-


Die Illusion von Saloniki

bestimmte Ausdehnung der Grenzzone ausgemacht war, so wurden die sehr
bedeutenden Grenzerleichterungen, die der Vertrag festsetzte, tatsächlich auf den
ganzen Umfang der beiden Staaten ausgedehnt. Österreich hat infolgedessen,
solange der Vertrag in Kraft blieb, eine Monopolstellung in Serbien besessen.
Aber es Hot diese Monopolstellung nicht behaupten können. Serbien gewann gegen¬
über dem übermächtigen Nachbarn ein bescheidenes Maß von Unabhängigkeit,
als die orientalischen Bahnen ausgebaut und eine Bahnverbindung zwischen
Saloniki und Belgrad hergestellt war (1889). Serbien, das ja ringsum nur
Landgrenzen hat, gewann jetzt eine Bahnverbindung an das Meer. Ter nächste
Handelsvertrag zwischen Österreich und Serbien (1893) machte der Monopol¬
stellung Österreichs ein Ende, indem er die Grenzzone, außerhalb deren die
Grenzerleichterung bestehen sollte, auf 10 Kilometer beschränkte. Es ist
bemerkenswert, daß sich diese Demarkierung der Grenzzone anch in den beiden
Handelsverträgen befindet, die Deutschland mit Österreich und Serbien 1893/94
abschloß. Deutschland nahm in diesen Verträgen auch weiterhin auf sich, daß
sein Meistbegünstigungsrecht dem Abschluß einer Zollunion zwischen beiden
Staaten nicht hindernd im Wege stehen sollte; aber die beiderseitigen Zoll¬
erleichterungen wurden auf ihr normales Maß zurückgeführt und dursten die
Meistbegünstigung Deutschlands in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen. Wir
haben also die wirtschaftliche Vorzugsstellung Österreichs in Serbien nur für
den Fall anerkannt, daß sie die Form einer Zollunion annähme. Von einer
solchen ist Österreich-Ungarn indessen heute weiter entfernt denn je. Schon bald
nach dem ersten Vertrag mit Serbien (1878) bekämpften die ungarischen Agrarier
die Zollunion aufs heftigste. Und wenn Serbien 1878 bis 1881 unter un¬
gleich schwierigeren Verhältnissen die Unabhängigkeit seiner Zoll- und Wirtschafts¬
politik sichern und sie länger als ein Menschenalter behaupten konnte, so wird es
jetzt nicht einer Zollunion beitreten, wo es die Bahnverbindung nach dem Ägäischen
Meer besitzt und eine neue nach der Adria erhalten soll. Ohnehin haben die
letzten Kriege den serbischen Nationalstolz bedeutend gesteigert, so daß eine
Zolleinigung als Folge einer friedlichen Entwicklung ganz ausgeschlossen erscheinen
muß. Aber als Grenznachbar und als bester und Hauptabnehmer der serbischen
Einfuhr kann Österreich-Ungarn noch immer einen recht beträchtlichen Druck
auf die wirtschaftspolitischen und mittelbar auf die politischen Entschlüsse Serbiens
ausüben; und es wäre für die Monarchie auch schwer, auf diesen Einfluß verzichten
zu müssen, wenn die Beziehungen zu dem unruhigen Nachbarn im Süden im
Gleichgewicht erhalten werden sollen. Das Hauptgewicht des österreichischen
„Ki-Mmsntum ack Iiominem" liegt darin, daß die Ausfuhr von lebendem
iVieh aus Serbien unter allen Umständen mit erheblichen Verlusten verbunden
se. wenn sie zur See geschieht. Aber schon während des „Schmeinekrieges"
von 1905 hatte sich Serbien, indem es neue Handelsverbindungen über See,
namentlich mit Griechenland, Italien. Malta und Ägypten, anknüpfte, von
Österreich-Ungarn soweit unabhängig gemacht, daß es nicht von jeder Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328617"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Illusion von Saloniki</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2063" prev="#ID_2062"> bestimmte Ausdehnung der Grenzzone ausgemacht war, so wurden die sehr<lb/>
bedeutenden Grenzerleichterungen, die der Vertrag festsetzte, tatsächlich auf den<lb/>
ganzen Umfang der beiden Staaten ausgedehnt. Österreich hat infolgedessen,<lb/>
solange der Vertrag in Kraft blieb, eine Monopolstellung in Serbien besessen.<lb/>
Aber es Hot diese Monopolstellung nicht behaupten können. Serbien gewann gegen¬<lb/>
über dem übermächtigen Nachbarn ein bescheidenes Maß von Unabhängigkeit,<lb/>
als die orientalischen Bahnen ausgebaut und eine Bahnverbindung zwischen<lb/>
Saloniki und Belgrad hergestellt war (1889). Serbien, das ja ringsum nur<lb/>
Landgrenzen hat, gewann jetzt eine Bahnverbindung an das Meer. Ter nächste<lb/>
Handelsvertrag zwischen Österreich und Serbien (1893) machte der Monopol¬<lb/>
stellung Österreichs ein Ende, indem er die Grenzzone, außerhalb deren die<lb/>
Grenzerleichterung bestehen sollte, auf 10 Kilometer beschränkte. Es ist<lb/>
bemerkenswert, daß sich diese Demarkierung der Grenzzone anch in den beiden<lb/>
Handelsverträgen befindet, die Deutschland mit Österreich und Serbien 1893/94<lb/>
abschloß. Deutschland nahm in diesen Verträgen auch weiterhin auf sich, daß<lb/>
sein Meistbegünstigungsrecht dem Abschluß einer Zollunion zwischen beiden<lb/>
Staaten nicht hindernd im Wege stehen sollte; aber die beiderseitigen Zoll¬<lb/>
erleichterungen wurden auf ihr normales Maß zurückgeführt und dursten die<lb/>
Meistbegünstigung Deutschlands in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen. Wir<lb/>
haben also die wirtschaftliche Vorzugsstellung Österreichs in Serbien nur für<lb/>
den Fall anerkannt, daß sie die Form einer Zollunion annähme. Von einer<lb/>
solchen ist Österreich-Ungarn indessen heute weiter entfernt denn je. Schon bald<lb/>
nach dem ersten Vertrag mit Serbien (1878) bekämpften die ungarischen Agrarier<lb/>
die Zollunion aufs heftigste. Und wenn Serbien 1878 bis 1881 unter un¬<lb/>
gleich schwierigeren Verhältnissen die Unabhängigkeit seiner Zoll- und Wirtschafts¬<lb/>
politik sichern und sie länger als ein Menschenalter behaupten konnte, so wird es<lb/>
jetzt nicht einer Zollunion beitreten, wo es die Bahnverbindung nach dem Ägäischen<lb/>
Meer besitzt und eine neue nach der Adria erhalten soll. Ohnehin haben die<lb/>
letzten Kriege den serbischen Nationalstolz bedeutend gesteigert, so daß eine<lb/>
Zolleinigung als Folge einer friedlichen Entwicklung ganz ausgeschlossen erscheinen<lb/>
muß. Aber als Grenznachbar und als bester und Hauptabnehmer der serbischen<lb/>
Einfuhr kann Österreich-Ungarn noch immer einen recht beträchtlichen Druck<lb/>
auf die wirtschaftspolitischen und mittelbar auf die politischen Entschlüsse Serbiens<lb/>
ausüben; und es wäre für die Monarchie auch schwer, auf diesen Einfluß verzichten<lb/>
zu müssen, wenn die Beziehungen zu dem unruhigen Nachbarn im Süden im<lb/>
Gleichgewicht erhalten werden sollen. Das Hauptgewicht des österreichischen<lb/>
&#x201E;Ki-Mmsntum ack Iiominem" liegt darin, daß die Ausfuhr von lebendem<lb/>
iVieh aus Serbien unter allen Umständen mit erheblichen Verlusten verbunden<lb/>
se. wenn sie zur See geschieht. Aber schon während des &#x201E;Schmeinekrieges"<lb/>
von 1905 hatte sich Serbien, indem es neue Handelsverbindungen über See,<lb/>
namentlich mit Griechenland, Italien. Malta und Ägypten, anknüpfte, von<lb/>
Österreich-Ungarn soweit unabhängig gemacht, daß es nicht von jeder Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] Die Illusion von Saloniki bestimmte Ausdehnung der Grenzzone ausgemacht war, so wurden die sehr bedeutenden Grenzerleichterungen, die der Vertrag festsetzte, tatsächlich auf den ganzen Umfang der beiden Staaten ausgedehnt. Österreich hat infolgedessen, solange der Vertrag in Kraft blieb, eine Monopolstellung in Serbien besessen. Aber es Hot diese Monopolstellung nicht behaupten können. Serbien gewann gegen¬ über dem übermächtigen Nachbarn ein bescheidenes Maß von Unabhängigkeit, als die orientalischen Bahnen ausgebaut und eine Bahnverbindung zwischen Saloniki und Belgrad hergestellt war (1889). Serbien, das ja ringsum nur Landgrenzen hat, gewann jetzt eine Bahnverbindung an das Meer. Ter nächste Handelsvertrag zwischen Österreich und Serbien (1893) machte der Monopol¬ stellung Österreichs ein Ende, indem er die Grenzzone, außerhalb deren die Grenzerleichterung bestehen sollte, auf 10 Kilometer beschränkte. Es ist bemerkenswert, daß sich diese Demarkierung der Grenzzone anch in den beiden Handelsverträgen befindet, die Deutschland mit Österreich und Serbien 1893/94 abschloß. Deutschland nahm in diesen Verträgen auch weiterhin auf sich, daß sein Meistbegünstigungsrecht dem Abschluß einer Zollunion zwischen beiden Staaten nicht hindernd im Wege stehen sollte; aber die beiderseitigen Zoll¬ erleichterungen wurden auf ihr normales Maß zurückgeführt und dursten die Meistbegünstigung Deutschlands in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen. Wir haben also die wirtschaftliche Vorzugsstellung Österreichs in Serbien nur für den Fall anerkannt, daß sie die Form einer Zollunion annähme. Von einer solchen ist Österreich-Ungarn indessen heute weiter entfernt denn je. Schon bald nach dem ersten Vertrag mit Serbien (1878) bekämpften die ungarischen Agrarier die Zollunion aufs heftigste. Und wenn Serbien 1878 bis 1881 unter un¬ gleich schwierigeren Verhältnissen die Unabhängigkeit seiner Zoll- und Wirtschafts¬ politik sichern und sie länger als ein Menschenalter behaupten konnte, so wird es jetzt nicht einer Zollunion beitreten, wo es die Bahnverbindung nach dem Ägäischen Meer besitzt und eine neue nach der Adria erhalten soll. Ohnehin haben die letzten Kriege den serbischen Nationalstolz bedeutend gesteigert, so daß eine Zolleinigung als Folge einer friedlichen Entwicklung ganz ausgeschlossen erscheinen muß. Aber als Grenznachbar und als bester und Hauptabnehmer der serbischen Einfuhr kann Österreich-Ungarn noch immer einen recht beträchtlichen Druck auf die wirtschaftspolitischen und mittelbar auf die politischen Entschlüsse Serbiens ausüben; und es wäre für die Monarchie auch schwer, auf diesen Einfluß verzichten zu müssen, wenn die Beziehungen zu dem unruhigen Nachbarn im Süden im Gleichgewicht erhalten werden sollen. Das Hauptgewicht des österreichischen „Ki-Mmsntum ack Iiominem" liegt darin, daß die Ausfuhr von lebendem iVieh aus Serbien unter allen Umständen mit erheblichen Verlusten verbunden se. wenn sie zur See geschieht. Aber schon während des „Schmeinekrieges" von 1905 hatte sich Serbien, indem es neue Handelsverbindungen über See, namentlich mit Griechenland, Italien. Malta und Ägypten, anknüpfte, von Österreich-Ungarn soweit unabhängig gemacht, daß es nicht von jeder Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/517>, abgerufen am 24.07.2024.