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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer. der Rinderfreund

"Nicht darum, aber weil du nicht weißt, wen du anklagst." sagte Rita.

"Du redest, als wissest du es selbst," antwortete Frau Driewer. "Aber
es gefällt mir an dir, daß du um deine Liebe und um dein Kind immer noch
einem die Ehre lassen willst, der es nicht verdient."

Sie rollte ihr weißes Knäuel lang ab. indem sie es weit über den Tisch
warf und es wieder anzog, sich zufrieden auf ihre Bank zurücklegend, während
Rika ihr gegenübersaß, fast auf die Kante rückte und sich gänzlich über eine
gefallene Masche beugte, die sich in der eintretenden Dämmerung suchen ließ.

Martha beschloß das Gespräch mit dem Trost für Rika, daß ihr Kind
nicht verwaist sei, da es unter dem Schutz, das heiße unter der Patenschaft
ihres Mannes stehe; sie habe Wilhelm damals um den Gefallen gebeten, Rikas
Kind zu halten, und er habe ihr das nicht absagen können, und wenn er sich
noch wenig um sein Patenkind gekümmert habe, so sei es darum, weil der Junge
erst nur noch einer Mutter bedürfe. Das Gespräch nahm dann eine andere
Wendung, und-Rika konnte nun freier aufsehen, da sie ihre Masche wieder hatte.

"Wie stehst du jetzt mit Driewer," fragte das Mädchen. "Habt ihr euch
mehr miteinander eingelebt?"

"Doch," sagte Martha froh. "Wir sind nun über den Anfang hinaus,
und das ist die schlimmste Zeit in der besten Ehe. Wir waren zu fremd zu¬
sammengekommen, aber jetzt hilft es sich."

Rika meinte lächelnd: "Wenn es manchmal noch nicht will, so liegt das
bei dir. Du mußt mehr schlau als ehrlich mit einem Manne sein."

Das wußte Frau Martha. "Ich kann nicht anders sein als ich bin. Ich
habe keine Art mit Leuten umzugehen. Aber ich meine es treu mit allen, und
wenn ich Wilhelm damit nicht halte, so weiß ich nichts besseres zu tun. Es
ist auch nur eines, in dem er nicht mit mir ist, wie er sein soll."

Frau Martha nannte den Fehler des Mannes, wissend, daß sie der Base
nichts Neues überbringe. "Er kann sich ganz vergessen, wo ihm ein Mädchen
gefällt."

Sie saß ohne weiter zu arbeiten, mit Augen voll Tränen. "Ich muß
sagen, daß ich ihn lieber habe, je länger wir verheiratet sind. Darum geht
es mir nach, daß er sich um andere kümmert. Kannst du dir das denken, Rika?"

Das Mädchen streckte die Hände über den Tisch nach der Base und ließ
sie sich naß weinen. "Ja, sieh, nun bist du in Kummer, und ich kann dir
nicht helfen."

Frau Martha beherrschte sich, indem sie die Tränen zurückhielt.

"So wie ich kein Wesen habe, so habe ich auch kein Gesicht für Männer,"
fagte sie, auf ihre lange, schmale Nase, die blassen Backen und die etwas ge¬
schlitzten Augen deutend. "Wenn du seine Frau wärest -- er mag solche
Gesichter und solch ein Wesen wie deines, besonders, als es noch freier war."

"Wenn ich seine Frau wäre?" wiederholte Rika wie in gedankenlosem
nachsagen, indem sie ihre Hände langsam wieder an sich zog.


Wilhelm Driewer. der Rinderfreund

„Nicht darum, aber weil du nicht weißt, wen du anklagst." sagte Rita.

„Du redest, als wissest du es selbst," antwortete Frau Driewer. „Aber
es gefällt mir an dir, daß du um deine Liebe und um dein Kind immer noch
einem die Ehre lassen willst, der es nicht verdient."

Sie rollte ihr weißes Knäuel lang ab. indem sie es weit über den Tisch
warf und es wieder anzog, sich zufrieden auf ihre Bank zurücklegend, während
Rika ihr gegenübersaß, fast auf die Kante rückte und sich gänzlich über eine
gefallene Masche beugte, die sich in der eintretenden Dämmerung suchen ließ.

Martha beschloß das Gespräch mit dem Trost für Rika, daß ihr Kind
nicht verwaist sei, da es unter dem Schutz, das heiße unter der Patenschaft
ihres Mannes stehe; sie habe Wilhelm damals um den Gefallen gebeten, Rikas
Kind zu halten, und er habe ihr das nicht absagen können, und wenn er sich
noch wenig um sein Patenkind gekümmert habe, so sei es darum, weil der Junge
erst nur noch einer Mutter bedürfe. Das Gespräch nahm dann eine andere
Wendung, und-Rika konnte nun freier aufsehen, da sie ihre Masche wieder hatte.

„Wie stehst du jetzt mit Driewer," fragte das Mädchen. „Habt ihr euch
mehr miteinander eingelebt?"

„Doch," sagte Martha froh. „Wir sind nun über den Anfang hinaus,
und das ist die schlimmste Zeit in der besten Ehe. Wir waren zu fremd zu¬
sammengekommen, aber jetzt hilft es sich."

Rika meinte lächelnd: „Wenn es manchmal noch nicht will, so liegt das
bei dir. Du mußt mehr schlau als ehrlich mit einem Manne sein."

Das wußte Frau Martha. „Ich kann nicht anders sein als ich bin. Ich
habe keine Art mit Leuten umzugehen. Aber ich meine es treu mit allen, und
wenn ich Wilhelm damit nicht halte, so weiß ich nichts besseres zu tun. Es
ist auch nur eines, in dem er nicht mit mir ist, wie er sein soll."

Frau Martha nannte den Fehler des Mannes, wissend, daß sie der Base
nichts Neues überbringe. „Er kann sich ganz vergessen, wo ihm ein Mädchen
gefällt."

Sie saß ohne weiter zu arbeiten, mit Augen voll Tränen. „Ich muß
sagen, daß ich ihn lieber habe, je länger wir verheiratet sind. Darum geht
es mir nach, daß er sich um andere kümmert. Kannst du dir das denken, Rika?"

Das Mädchen streckte die Hände über den Tisch nach der Base und ließ
sie sich naß weinen. „Ja, sieh, nun bist du in Kummer, und ich kann dir
nicht helfen."

Frau Martha beherrschte sich, indem sie die Tränen zurückhielt.

„So wie ich kein Wesen habe, so habe ich auch kein Gesicht für Männer,"
fagte sie, auf ihre lange, schmale Nase, die blassen Backen und die etwas ge¬
schlitzten Augen deutend. „Wenn du seine Frau wärest — er mag solche
Gesichter und solch ein Wesen wie deines, besonders, als es noch freier war."

„Wenn ich seine Frau wäre?" wiederholte Rika wie in gedankenlosem
nachsagen, indem sie ihre Hände langsam wieder an sich zog.


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[0432] Wilhelm Driewer. der Rinderfreund „Nicht darum, aber weil du nicht weißt, wen du anklagst." sagte Rita. „Du redest, als wissest du es selbst," antwortete Frau Driewer. „Aber es gefällt mir an dir, daß du um deine Liebe und um dein Kind immer noch einem die Ehre lassen willst, der es nicht verdient." Sie rollte ihr weißes Knäuel lang ab. indem sie es weit über den Tisch warf und es wieder anzog, sich zufrieden auf ihre Bank zurücklegend, während Rika ihr gegenübersaß, fast auf die Kante rückte und sich gänzlich über eine gefallene Masche beugte, die sich in der eintretenden Dämmerung suchen ließ. Martha beschloß das Gespräch mit dem Trost für Rika, daß ihr Kind nicht verwaist sei, da es unter dem Schutz, das heiße unter der Patenschaft ihres Mannes stehe; sie habe Wilhelm damals um den Gefallen gebeten, Rikas Kind zu halten, und er habe ihr das nicht absagen können, und wenn er sich noch wenig um sein Patenkind gekümmert habe, so sei es darum, weil der Junge erst nur noch einer Mutter bedürfe. Das Gespräch nahm dann eine andere Wendung, und-Rika konnte nun freier aufsehen, da sie ihre Masche wieder hatte. „Wie stehst du jetzt mit Driewer," fragte das Mädchen. „Habt ihr euch mehr miteinander eingelebt?" „Doch," sagte Martha froh. „Wir sind nun über den Anfang hinaus, und das ist die schlimmste Zeit in der besten Ehe. Wir waren zu fremd zu¬ sammengekommen, aber jetzt hilft es sich." Rika meinte lächelnd: „Wenn es manchmal noch nicht will, so liegt das bei dir. Du mußt mehr schlau als ehrlich mit einem Manne sein." Das wußte Frau Martha. „Ich kann nicht anders sein als ich bin. Ich habe keine Art mit Leuten umzugehen. Aber ich meine es treu mit allen, und wenn ich Wilhelm damit nicht halte, so weiß ich nichts besseres zu tun. Es ist auch nur eines, in dem er nicht mit mir ist, wie er sein soll." Frau Martha nannte den Fehler des Mannes, wissend, daß sie der Base nichts Neues überbringe. „Er kann sich ganz vergessen, wo ihm ein Mädchen gefällt." Sie saß ohne weiter zu arbeiten, mit Augen voll Tränen. „Ich muß sagen, daß ich ihn lieber habe, je länger wir verheiratet sind. Darum geht es mir nach, daß er sich um andere kümmert. Kannst du dir das denken, Rika?" Das Mädchen streckte die Hände über den Tisch nach der Base und ließ sie sich naß weinen. „Ja, sieh, nun bist du in Kummer, und ich kann dir nicht helfen." Frau Martha beherrschte sich, indem sie die Tränen zurückhielt. „So wie ich kein Wesen habe, so habe ich auch kein Gesicht für Männer," fagte sie, auf ihre lange, schmale Nase, die blassen Backen und die etwas ge¬ schlitzten Augen deutend. „Wenn du seine Frau wärest — er mag solche Gesichter und solch ein Wesen wie deines, besonders, als es noch freier war." „Wenn ich seine Frau wäre?" wiederholte Rika wie in gedankenlosem nachsagen, indem sie ihre Hände langsam wieder an sich zog.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/432>, abgerufen am 25.07.2024.