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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

mögen, daß sie das geschätzte Mädchen vor allem Anwurf von Schmutz behütet
hatte, und wenn sie heute noch mal das Gesinde zurückwies, so wußte sie, daß
sie in ihrem Kampf gegen die Frechen längst Siegerin war.

Nach beendeten Mahl überließ Frau Martha den Tisch und das ganze
Haus dem Abdecken und der Verwahrung des Gesindes, indem sie, Rika unter¬
fassend und mit ihr durch Stube und Kammer gehend, durch eine schmale
niedrige Tür ins Freie trat. Sie zog im Vorübergehen die Kommodenlade
auf und zeigte, daß sie mit allem, womit ihr Kind zu erwarten sei, bald fertig
werde, ergriff ein Windelband, das sie in Arbeit hatte, und dann saß sie mit
Rika auf dem Platz unter der breitblätterigen Kastanie am Hause, wo sie beide
eine Zeitlang schweigend nichts vernahmen als das Klappern ihrer Stricknadeln.

Es war eine schöne, im Sommerland noch warme Natur, die sie umgab.
Die Bewohner von Amtshausen kannten keine westfälische Ebene, wenn sie sich
in ihrer engeren Heimat umsahen. Die Ortschaft lag zu eng zwischen zwei
Bergketten des Osnings, und Frau Marthas Hof, in den Wilhelm Driewer
sich eingeheiratet hatte, war nicht nur der größte in der Gemeinde, sondern hatte
auch das fruchtbarste Land im Lehmboden an den Bergen. Rika, die aus dem
kleinsten Anwesen der Gemeinde kam, in dem sie mit ihrem vaterlosen Kinde
jüngst seit dem Tode der Eltern allein wohnte, mochte sich der Verwandtschaft
zu diesem Hofe freuen.

Sie sagte jetzt, das Schweigen unterbrechend: "Was wäre ich nun ohne
dich, Martha, ohne deinen Beistand. Du hast mich wieder zu Ehren gebracht,
und ich verdiene es nicht, so wie du meinst. Ich möchte es dir vergelten können,
aber wie, das weiß ich nicht."

"Laß sein," antwortete Frau Martha schlicht. "Du weißt, ich habe immer
an dich geglaubt, darum tat ich gern für dich, was ich konnte, und wenn es
dir einfällt, du könntest mir zum Dank etwas wieder tun, so tue es dreist, ich
bin nicht so reich und hoch, daß ich mir nichts wiederschenken ließe." Sie
lächelte, indem sie sich offen bekannte.

Rika sagte gequält: "Schuld hatte ich doch, Martha, ich muß es immer
wieder sagen, sooft du die Hand über mich hältst."

"Wir kommen seit unserer Schul- und Mädchenzeit wenig mehr zusammen,
Rika, und wir wollen in den paar Stunden heute nicht dergleichen aufrühren,"
sagte Frau Driewer. "Es sind nun bald zwei Jahre, daß es mit dir geschehen
ist. In der Tierschaunacht, sagtest du. Ein Fremder -- und ihr hättet euch
auf den ersten Blick ineinander vergafft. Du hast dir seinen Namen nicht
nennen lassen. Wenn ich das bedenke, so ist das eine wilde, wahrhaftige Liebe
gewesen. Damit entschuldige ich dich. Daß der Schurke am anderen Morgen
ausgerissen ist, ohne sich zu nennen, daß er dich in Schande ließ, geht nicht
auf dich."

"Sag nicht Schurke," bat Rika.

"Warum nicht? Weil er ein gefälliges Gesicht hatte, wie du sagst?"
*


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Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

mögen, daß sie das geschätzte Mädchen vor allem Anwurf von Schmutz behütet
hatte, und wenn sie heute noch mal das Gesinde zurückwies, so wußte sie, daß
sie in ihrem Kampf gegen die Frechen längst Siegerin war.

Nach beendeten Mahl überließ Frau Martha den Tisch und das ganze
Haus dem Abdecken und der Verwahrung des Gesindes, indem sie, Rika unter¬
fassend und mit ihr durch Stube und Kammer gehend, durch eine schmale
niedrige Tür ins Freie trat. Sie zog im Vorübergehen die Kommodenlade
auf und zeigte, daß sie mit allem, womit ihr Kind zu erwarten sei, bald fertig
werde, ergriff ein Windelband, das sie in Arbeit hatte, und dann saß sie mit
Rika auf dem Platz unter der breitblätterigen Kastanie am Hause, wo sie beide
eine Zeitlang schweigend nichts vernahmen als das Klappern ihrer Stricknadeln.

Es war eine schöne, im Sommerland noch warme Natur, die sie umgab.
Die Bewohner von Amtshausen kannten keine westfälische Ebene, wenn sie sich
in ihrer engeren Heimat umsahen. Die Ortschaft lag zu eng zwischen zwei
Bergketten des Osnings, und Frau Marthas Hof, in den Wilhelm Driewer
sich eingeheiratet hatte, war nicht nur der größte in der Gemeinde, sondern hatte
auch das fruchtbarste Land im Lehmboden an den Bergen. Rika, die aus dem
kleinsten Anwesen der Gemeinde kam, in dem sie mit ihrem vaterlosen Kinde
jüngst seit dem Tode der Eltern allein wohnte, mochte sich der Verwandtschaft
zu diesem Hofe freuen.

Sie sagte jetzt, das Schweigen unterbrechend: „Was wäre ich nun ohne
dich, Martha, ohne deinen Beistand. Du hast mich wieder zu Ehren gebracht,
und ich verdiene es nicht, so wie du meinst. Ich möchte es dir vergelten können,
aber wie, das weiß ich nicht."

„Laß sein," antwortete Frau Martha schlicht. „Du weißt, ich habe immer
an dich geglaubt, darum tat ich gern für dich, was ich konnte, und wenn es
dir einfällt, du könntest mir zum Dank etwas wieder tun, so tue es dreist, ich
bin nicht so reich und hoch, daß ich mir nichts wiederschenken ließe." Sie
lächelte, indem sie sich offen bekannte.

Rika sagte gequält: „Schuld hatte ich doch, Martha, ich muß es immer
wieder sagen, sooft du die Hand über mich hältst."

„Wir kommen seit unserer Schul- und Mädchenzeit wenig mehr zusammen,
Rika, und wir wollen in den paar Stunden heute nicht dergleichen aufrühren,"
sagte Frau Driewer. „Es sind nun bald zwei Jahre, daß es mit dir geschehen
ist. In der Tierschaunacht, sagtest du. Ein Fremder — und ihr hättet euch
auf den ersten Blick ineinander vergafft. Du hast dir seinen Namen nicht
nennen lassen. Wenn ich das bedenke, so ist das eine wilde, wahrhaftige Liebe
gewesen. Damit entschuldige ich dich. Daß der Schurke am anderen Morgen
ausgerissen ist, ohne sich zu nennen, daß er dich in Schande ließ, geht nicht
auf dich."

„Sag nicht Schurke," bat Rika.

„Warum nicht? Weil er ein gefälliges Gesicht hatte, wie du sagst?"
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[0431] Wilhelm Driewer, der Kinderfreund mögen, daß sie das geschätzte Mädchen vor allem Anwurf von Schmutz behütet hatte, und wenn sie heute noch mal das Gesinde zurückwies, so wußte sie, daß sie in ihrem Kampf gegen die Frechen längst Siegerin war. Nach beendeten Mahl überließ Frau Martha den Tisch und das ganze Haus dem Abdecken und der Verwahrung des Gesindes, indem sie, Rika unter¬ fassend und mit ihr durch Stube und Kammer gehend, durch eine schmale niedrige Tür ins Freie trat. Sie zog im Vorübergehen die Kommodenlade auf und zeigte, daß sie mit allem, womit ihr Kind zu erwarten sei, bald fertig werde, ergriff ein Windelband, das sie in Arbeit hatte, und dann saß sie mit Rika auf dem Platz unter der breitblätterigen Kastanie am Hause, wo sie beide eine Zeitlang schweigend nichts vernahmen als das Klappern ihrer Stricknadeln. Es war eine schöne, im Sommerland noch warme Natur, die sie umgab. Die Bewohner von Amtshausen kannten keine westfälische Ebene, wenn sie sich in ihrer engeren Heimat umsahen. Die Ortschaft lag zu eng zwischen zwei Bergketten des Osnings, und Frau Marthas Hof, in den Wilhelm Driewer sich eingeheiratet hatte, war nicht nur der größte in der Gemeinde, sondern hatte auch das fruchtbarste Land im Lehmboden an den Bergen. Rika, die aus dem kleinsten Anwesen der Gemeinde kam, in dem sie mit ihrem vaterlosen Kinde jüngst seit dem Tode der Eltern allein wohnte, mochte sich der Verwandtschaft zu diesem Hofe freuen. Sie sagte jetzt, das Schweigen unterbrechend: „Was wäre ich nun ohne dich, Martha, ohne deinen Beistand. Du hast mich wieder zu Ehren gebracht, und ich verdiene es nicht, so wie du meinst. Ich möchte es dir vergelten können, aber wie, das weiß ich nicht." „Laß sein," antwortete Frau Martha schlicht. „Du weißt, ich habe immer an dich geglaubt, darum tat ich gern für dich, was ich konnte, und wenn es dir einfällt, du könntest mir zum Dank etwas wieder tun, so tue es dreist, ich bin nicht so reich und hoch, daß ich mir nichts wiederschenken ließe." Sie lächelte, indem sie sich offen bekannte. Rika sagte gequält: „Schuld hatte ich doch, Martha, ich muß es immer wieder sagen, sooft du die Hand über mich hältst." „Wir kommen seit unserer Schul- und Mädchenzeit wenig mehr zusammen, Rika, und wir wollen in den paar Stunden heute nicht dergleichen aufrühren," sagte Frau Driewer. „Es sind nun bald zwei Jahre, daß es mit dir geschehen ist. In der Tierschaunacht, sagtest du. Ein Fremder — und ihr hättet euch auf den ersten Blick ineinander vergafft. Du hast dir seinen Namen nicht nennen lassen. Wenn ich das bedenke, so ist das eine wilde, wahrhaftige Liebe gewesen. Damit entschuldige ich dich. Daß der Schurke am anderen Morgen ausgerissen ist, ohne sich zu nennen, daß er dich in Schande ließ, geht nicht auf dich." „Sag nicht Schurke," bat Rika. „Warum nicht? Weil er ein gefälliges Gesicht hatte, wie du sagst?" * 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/431>, abgerufen am 28.07.2024.