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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Ainderfreund

"Wilhelm hält viel von dir," sagte Frau Martha, unvermittelt lebhaft
werdend.

Rika schwieg und trocknete von ihren Händen die Tränen der Base ab.

Jetzt erzählte Frau Martha, daß ihr Mann sich zur Tierschau frei machen
wolle, um das Fest zu feiern und zu betanzen. Sie habe ihn gebeten, zu
bleiben. Er wolle nicht. Sie habe gezankt, nun gehe er aus Trotz. Weil ihr
die Schlaue anderer Frauen abgebe, die ihre Männer mit List gewännen, sei
sie machtlos gewesen. Und doch -- sie wisse nun eine List!

"Wenn ich mit könnte, so hielte ich mich bei ihm und brächte ihn gut
wieder heim. Aber ich kann nicht rin, denn meine Zeit kommt. Doch du
sollst gehen, Rika, du sollst ihm aufpassen, du brauchst ihm nur ein Wort zu
sagen, so viel hält er auf dich."

"Ich?" sagte Rika. Sie sah starr in die vor ehrlicher Begeisterung
leuchtenden Augen der Frau. Sie hatte einen harmlosen Einfall Marthas zu
hören gemeint, aber nun forderte die Base mehr von ihr, als sie geben konnte.
"Du weißt, daß ich nicht mehr zu Festen ausgehe, seit es mit dem Kinde passiert
ist. Hast du vorhin nicht gesehen, wie man immer noch gegen mich ist? Daß
sie immer noch Spott haben? Soll ich mich auf dem Fest von angetrunkenen
Burschen verspotten lassen?" Rika hastete mit den Worten, als kämen sie ihr
nicht frei aus dem Herzen, sondern als suche sie nach den einzelnen, um eine
genügende Zahl zur Entschuldigung zusammen zu haben.

"Ach," sagte Martha traurig, "ich dachte du tätest mir den einzigen Dienst."

Da wurde das rotbäckige Mädchen bleich im Gesicht, weil sie sich jetzt er¬
innerte, daß sie der Base verpflichtet war. "Den einzigen Dienst," wiederholte
sie. "Bekommst du auch nur das einzige Kind? Wer verwahrt dir denn
Wilhelm das nächste Mal?"

Da lachte Frau Martha. "Habe ich erst das Kind, so habe ich alles.
,Wo ein Kind ist, kann keine Sünde sein.' hat er einmal gesagt, und das ist
wahr für ihn. Ich brauchte ihm sein Kind im Augenblick, da er bei solcher
Gelegenheit aus dem Haus wollte, nur auf den Arm zu geben, und ich
wüßte, er zöge seinen guten Rock aus und bliebe da. Er ist solch ein
Kindernarr, muß ich immer sagen, und wie wird es erst sein, wenn er ein
eigenes hat!"

Rika zog mit der Stricknadel Rillen in das mürbe Holz des Tisches.
"Ich wollte es dir zusagen, Martha, aber ich traue es mir nicht zu, den Mann
für dich zu bewahren."

Frau Martha sah, daß sie mit ein wenig Zurede die Base gewinnen
würde und wollte ein freudiges, dankendes Wort sagen, als im Hof Stimmen
und ein großer Kinderjubel laut wurden. "Da ist er. Wilhelm," rief sie nun.
und die Überraschung hatte solche Wirkung, daß sie erst die Hand auf das
Herz pressen mußte, ehe sie aufzusehen vermochte.

(Fortsetzung folgt)


Wilhelm Driewer, der Ainderfreund

„Wilhelm hält viel von dir," sagte Frau Martha, unvermittelt lebhaft
werdend.

Rika schwieg und trocknete von ihren Händen die Tränen der Base ab.

Jetzt erzählte Frau Martha, daß ihr Mann sich zur Tierschau frei machen
wolle, um das Fest zu feiern und zu betanzen. Sie habe ihn gebeten, zu
bleiben. Er wolle nicht. Sie habe gezankt, nun gehe er aus Trotz. Weil ihr
die Schlaue anderer Frauen abgebe, die ihre Männer mit List gewännen, sei
sie machtlos gewesen. Und doch — sie wisse nun eine List!

„Wenn ich mit könnte, so hielte ich mich bei ihm und brächte ihn gut
wieder heim. Aber ich kann nicht rin, denn meine Zeit kommt. Doch du
sollst gehen, Rika, du sollst ihm aufpassen, du brauchst ihm nur ein Wort zu
sagen, so viel hält er auf dich."

„Ich?" sagte Rika. Sie sah starr in die vor ehrlicher Begeisterung
leuchtenden Augen der Frau. Sie hatte einen harmlosen Einfall Marthas zu
hören gemeint, aber nun forderte die Base mehr von ihr, als sie geben konnte.
„Du weißt, daß ich nicht mehr zu Festen ausgehe, seit es mit dem Kinde passiert
ist. Hast du vorhin nicht gesehen, wie man immer noch gegen mich ist? Daß
sie immer noch Spott haben? Soll ich mich auf dem Fest von angetrunkenen
Burschen verspotten lassen?" Rika hastete mit den Worten, als kämen sie ihr
nicht frei aus dem Herzen, sondern als suche sie nach den einzelnen, um eine
genügende Zahl zur Entschuldigung zusammen zu haben.

„Ach," sagte Martha traurig, „ich dachte du tätest mir den einzigen Dienst."

Da wurde das rotbäckige Mädchen bleich im Gesicht, weil sie sich jetzt er¬
innerte, daß sie der Base verpflichtet war. „Den einzigen Dienst," wiederholte
sie. „Bekommst du auch nur das einzige Kind? Wer verwahrt dir denn
Wilhelm das nächste Mal?"

Da lachte Frau Martha. „Habe ich erst das Kind, so habe ich alles.
,Wo ein Kind ist, kann keine Sünde sein.' hat er einmal gesagt, und das ist
wahr für ihn. Ich brauchte ihm sein Kind im Augenblick, da er bei solcher
Gelegenheit aus dem Haus wollte, nur auf den Arm zu geben, und ich
wüßte, er zöge seinen guten Rock aus und bliebe da. Er ist solch ein
Kindernarr, muß ich immer sagen, und wie wird es erst sein, wenn er ein
eigenes hat!"

Rika zog mit der Stricknadel Rillen in das mürbe Holz des Tisches.
»Ich wollte es dir zusagen, Martha, aber ich traue es mir nicht zu, den Mann
für dich zu bewahren."

Frau Martha sah, daß sie mit ein wenig Zurede die Base gewinnen
würde und wollte ein freudiges, dankendes Wort sagen, als im Hof Stimmen
und ein großer Kinderjubel laut wurden. „Da ist er. Wilhelm," rief sie nun.
und die Überraschung hatte solche Wirkung, daß sie erst die Hand auf das
Herz pressen mußte, ehe sie aufzusehen vermochte.

(Fortsetzung folgt)


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[0433] Wilhelm Driewer, der Ainderfreund „Wilhelm hält viel von dir," sagte Frau Martha, unvermittelt lebhaft werdend. Rika schwieg und trocknete von ihren Händen die Tränen der Base ab. Jetzt erzählte Frau Martha, daß ihr Mann sich zur Tierschau frei machen wolle, um das Fest zu feiern und zu betanzen. Sie habe ihn gebeten, zu bleiben. Er wolle nicht. Sie habe gezankt, nun gehe er aus Trotz. Weil ihr die Schlaue anderer Frauen abgebe, die ihre Männer mit List gewännen, sei sie machtlos gewesen. Und doch — sie wisse nun eine List! „Wenn ich mit könnte, so hielte ich mich bei ihm und brächte ihn gut wieder heim. Aber ich kann nicht rin, denn meine Zeit kommt. Doch du sollst gehen, Rika, du sollst ihm aufpassen, du brauchst ihm nur ein Wort zu sagen, so viel hält er auf dich." „Ich?" sagte Rika. Sie sah starr in die vor ehrlicher Begeisterung leuchtenden Augen der Frau. Sie hatte einen harmlosen Einfall Marthas zu hören gemeint, aber nun forderte die Base mehr von ihr, als sie geben konnte. „Du weißt, daß ich nicht mehr zu Festen ausgehe, seit es mit dem Kinde passiert ist. Hast du vorhin nicht gesehen, wie man immer noch gegen mich ist? Daß sie immer noch Spott haben? Soll ich mich auf dem Fest von angetrunkenen Burschen verspotten lassen?" Rika hastete mit den Worten, als kämen sie ihr nicht frei aus dem Herzen, sondern als suche sie nach den einzelnen, um eine genügende Zahl zur Entschuldigung zusammen zu haben. „Ach," sagte Martha traurig, „ich dachte du tätest mir den einzigen Dienst." Da wurde das rotbäckige Mädchen bleich im Gesicht, weil sie sich jetzt er¬ innerte, daß sie der Base verpflichtet war. „Den einzigen Dienst," wiederholte sie. „Bekommst du auch nur das einzige Kind? Wer verwahrt dir denn Wilhelm das nächste Mal?" Da lachte Frau Martha. „Habe ich erst das Kind, so habe ich alles. ,Wo ein Kind ist, kann keine Sünde sein.' hat er einmal gesagt, und das ist wahr für ihn. Ich brauchte ihm sein Kind im Augenblick, da er bei solcher Gelegenheit aus dem Haus wollte, nur auf den Arm zu geben, und ich wüßte, er zöge seinen guten Rock aus und bliebe da. Er ist solch ein Kindernarr, muß ich immer sagen, und wie wird es erst sein, wenn er ein eigenes hat!" Rika zog mit der Stricknadel Rillen in das mürbe Holz des Tisches. »Ich wollte es dir zusagen, Martha, aber ich traue es mir nicht zu, den Mann für dich zu bewahren." Frau Martha sah, daß sie mit ein wenig Zurede die Base gewinnen würde und wollte ein freudiges, dankendes Wort sagen, als im Hof Stimmen und ein großer Kinderjubel laut wurden. „Da ist er. Wilhelm," rief sie nun. und die Überraschung hatte solche Wirkung, daß sie erst die Hand auf das Herz pressen mußte, ehe sie aufzusehen vermochte. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/433>, abgerufen am 24.07.2024.