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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

umherwankten, dann waren es Bettler, die um ein Almosen baten. Einer von
ihnen, ein langer Mann, versuchte sich hinten an den Wagen zu hängen, im:
ein Ende mitzufahren. Aber Peter, der Holsteiner, sah ihn und stieß ihn mit
seinem Gewehrkolben hinunter, daß er wieder in den Staub fiel und regungslos
liegen blieb.

Weder Vater noch Tochter hatten den Zwischenfall bemerkt. Der Staatsrat
dachte an das Spiel der Politik, an die endlosen Schreiben, die er verfaßt und
noch zu verfassen hatte, und Heilwig wollte nicht denken.

Josias Sehestedt hatte ihr nicht den Bescheid der Frau von Kolben und
die Antwort des Junkers gebracht: das Schreiben wurde ihm sauer, aber es
war Sebastian von Wiltberg selbst gewesen, der ihr geschrieben, daß er seinen
Glauben, seine Heimat niemals verlassen könnte; daß er sie aber anflehte, es
für ihn zu tun, und wenn sie ihren Glauben behalten wollte, würde er nicht
dagegen sein. Sie sollte es auch nie bereuen. Seine Worte klangen matt und
ängstlich; von Liebe war kein Wort darin gewesen.

Lange saß Heilwig und sah auf die feinen verschnörkelten Schriftzüge, auf
den langen Namen Sebastian von Wiltberg. Dann faltete sie das Brieflein
vorsichtig zusammen, legte es in ein kleines Kästchen und schrieb auf ein Blatt
Papier nur ein Wort, und das war das Wörtlein: Nein. Der Junker Franz
Xaver besorgte es ihr nach Manen.

Und nun fuhr sie heimwärts.




Im Juli dieses Jahres traf den französischen General Turenne bei Sasbach
eine deutsche Stückkugel, daß er umfiel und sterben mußte. Und im August
besiegten die Braunschweiger bei Konz an der Mosel den Marschall Crequn und
verjagten die Franzosen aus Trier. Das war frohe Zeit für Süddeutschland
und den Rhein. Der Kurfürst von Trier zog wieder ein in seine zerstörte und
verwüstete Residenz, und die Welfenherzöge ernteten Lob und Ehre. Vor allen
bei ihren getreuen Untertanen in Braunschweig und Lüneburg, die wieder nach
ihren Herren verlangten und sie auch bald begrüßen durften. Auch der Herzog
Hans Adolf zog wieder ein in seine kleine, aber sehr getreue Residenzstadt am
Plöner See. In der Kirche ward ein Tedeum gesungen, die Bürger standen
vor den Häusern, und seine durchlauchtige Gemahlin, eine Welfin aus dein
Hause Braunschweig, erwartete ihn im Schloß. Sie war eine ernsthafte Frau,
die gut regieren konnte, so daß das Land nicht die Abwesenheit des Herrn
bemerkte, aber nun sahen alle, die um sie versammelt waren, wie selig sie war,
ihren Herrn wieder daheim zu wissen und ihm die Regierung zu übergeben.
Und schon am ersten Tage seiner Heimkehr mußten seine fürstliche Gnaden
bestimmen, ob dem Bürger Kofahl gestattet werden sollte, einen neuen Schweine¬
stall hart an der Straße zu erbauen, und ob es geraten war. daß Bürger


Die Hexe von Mayen

umherwankten, dann waren es Bettler, die um ein Almosen baten. Einer von
ihnen, ein langer Mann, versuchte sich hinten an den Wagen zu hängen, im:
ein Ende mitzufahren. Aber Peter, der Holsteiner, sah ihn und stieß ihn mit
seinem Gewehrkolben hinunter, daß er wieder in den Staub fiel und regungslos
liegen blieb.

Weder Vater noch Tochter hatten den Zwischenfall bemerkt. Der Staatsrat
dachte an das Spiel der Politik, an die endlosen Schreiben, die er verfaßt und
noch zu verfassen hatte, und Heilwig wollte nicht denken.

Josias Sehestedt hatte ihr nicht den Bescheid der Frau von Kolben und
die Antwort des Junkers gebracht: das Schreiben wurde ihm sauer, aber es
war Sebastian von Wiltberg selbst gewesen, der ihr geschrieben, daß er seinen
Glauben, seine Heimat niemals verlassen könnte; daß er sie aber anflehte, es
für ihn zu tun, und wenn sie ihren Glauben behalten wollte, würde er nicht
dagegen sein. Sie sollte es auch nie bereuen. Seine Worte klangen matt und
ängstlich; von Liebe war kein Wort darin gewesen.

Lange saß Heilwig und sah auf die feinen verschnörkelten Schriftzüge, auf
den langen Namen Sebastian von Wiltberg. Dann faltete sie das Brieflein
vorsichtig zusammen, legte es in ein kleines Kästchen und schrieb auf ein Blatt
Papier nur ein Wort, und das war das Wörtlein: Nein. Der Junker Franz
Xaver besorgte es ihr nach Manen.

Und nun fuhr sie heimwärts.




Im Juli dieses Jahres traf den französischen General Turenne bei Sasbach
eine deutsche Stückkugel, daß er umfiel und sterben mußte. Und im August
besiegten die Braunschweiger bei Konz an der Mosel den Marschall Crequn und
verjagten die Franzosen aus Trier. Das war frohe Zeit für Süddeutschland
und den Rhein. Der Kurfürst von Trier zog wieder ein in seine zerstörte und
verwüstete Residenz, und die Welfenherzöge ernteten Lob und Ehre. Vor allen
bei ihren getreuen Untertanen in Braunschweig und Lüneburg, die wieder nach
ihren Herren verlangten und sie auch bald begrüßen durften. Auch der Herzog
Hans Adolf zog wieder ein in seine kleine, aber sehr getreue Residenzstadt am
Plöner See. In der Kirche ward ein Tedeum gesungen, die Bürger standen
vor den Häusern, und seine durchlauchtige Gemahlin, eine Welfin aus dein
Hause Braunschweig, erwartete ihn im Schloß. Sie war eine ernsthafte Frau,
die gut regieren konnte, so daß das Land nicht die Abwesenheit des Herrn
bemerkte, aber nun sahen alle, die um sie versammelt waren, wie selig sie war,
ihren Herrn wieder daheim zu wissen und ihm die Regierung zu übergeben.
Und schon am ersten Tage seiner Heimkehr mußten seine fürstliche Gnaden
bestimmen, ob dem Bürger Kofahl gestattet werden sollte, einen neuen Schweine¬
stall hart an der Straße zu erbauen, und ob es geraten war. daß Bürger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/41>, abgerufen am 24.07.2024.