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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das lvahlxroblem

Nationalversammlung im Jahre vorher gemacht hatte, gaben hier den Ausschlag:
man zwang dem Volke ein Wahlsystem auf, das für alle Zukunft ein derart
demokratisches Parlament, wie es das Jahr 1848 in Berlin gesehen, von vorn¬
herein zur Unmöglichkeit zu machen versprach: das bekannte Dreiklassen-
Wahlrecht.

Schon der Name hebt die besondere Eigentümlichkeit dieses Wahlrechts
hervor: die Gesamtheit der Wähler wird auf Grund der gezählten Steuer¬
beträge bezirksweise in drei Klassen geteilt, von denen die erste Klasse diejenigen
Steuerzahler umfaßt, die das erste Drittel, die zweite diejenigen, die das zweite
Drittel, und die dritte die, die das letzte Drittel der Landessteuern aufbringen;
zu dieser letzten Abteilung gehören auch diejenigen, die überhaupt keine Landes¬
steuer bezahlen, indem für sie bei der Drittelung der Gesamtsteuer ein fingierter
Steuersatz von drei Mark zur Verrechnung kommt. Von diesen drei Klassen
wühlt nun jede für sich bezirksweise im ersten öffentlichen Wahlakt die gleiche
Anzahl von Wahlmännern, die sodann gemeinsam wahlkreisweise wiederum in
öffentlicher Wahl die Abgeordneten zu wählen haben; die Wahl ist also nicht
gleich, nicht geheim und nicht direkt.

Aus dem Vorstehenden erhellt ohne weiteres, daß das Dreiklassenwahlrecht
einen ausgeprägt plutokratischen Charakter trägt, denn ein Zusammengehen der
beiden ersten Klassen, die durchschnittlich die begüterten Schichten der Bevölkerung
in sich darstellen, hat notwendigerweise ein überstimmtwerden der dritten Klasse,
der ärmeren Hauptmasse des Volkes, zur Folge. Besondere Beachtung verdient
dabei das numerische Verhältnis, wie es sich zwischen den Wählern der ersten
beiden Klassen einerseits und denen der dritten Klasse anderseits herausstellt.
Dieses Verhältnis ist während der ganzen Dauer dieses Wahlrechts ziemlich
konstant geblieben; zum Beweise möge es genügen, die entsprechenden Ver¬
hältnisziffern des Jahres 1849 und des Jahres 1903 zusammenzustellen*):
in? erstgenannten Jahre gehörten von der Gesamtheit der Wähler der ersten
Klasse an 4,72 Prozent, der zweiten 12,59 und der dritten 82,69 Prozent;
für das Jahr 1903 ergeben sich als entsprechende Verhältniszahlen die Ziffern
3,36, 12,07, 84,57 Prozent. Aus diesen dürren Zahlen geht unwiderleglich
hervor, daß infolge des Dreiklassenwahlrechts ein Zehntel höchstbesteuerter Wähler
den gleichen Einfluß auf die Mitregierung des Landes ausüben kann wie die
übrigen neun Zehntel der Minderbesteuerten: denn da jede der drei Klassen die
gleiche Anzahl von Wahlmännern zu wählen hat, so braucht nur die Hälfte
der Wähler der zweiten Klasse mit der ersten Klasse in Übereinstimmung zu
wählen, um die Hälfte aller abzugebenden Wahlmännerstimmen dem gemein¬
samen Kandidaten zu sichern; die Hälfte aber der oben festgesetzten Prozent¬
summen der zweiten Klasse (12,59 und 12.07 Prozent) ist rund 6 Prozent,



*) Die Verhältniszahlen der letzten Wahl haben in der Arbeit leider keine Berück¬
sichtigung finden können, da nach Bekundung des Königl. Statistischen Amtes die Veröffent¬
lichung der Ergebnisse erst etwa in Jahresfrist zu erwarten ist.
2ö*
Das lvahlxroblem

Nationalversammlung im Jahre vorher gemacht hatte, gaben hier den Ausschlag:
man zwang dem Volke ein Wahlsystem auf, das für alle Zukunft ein derart
demokratisches Parlament, wie es das Jahr 1848 in Berlin gesehen, von vorn¬
herein zur Unmöglichkeit zu machen versprach: das bekannte Dreiklassen-
Wahlrecht.

Schon der Name hebt die besondere Eigentümlichkeit dieses Wahlrechts
hervor: die Gesamtheit der Wähler wird auf Grund der gezählten Steuer¬
beträge bezirksweise in drei Klassen geteilt, von denen die erste Klasse diejenigen
Steuerzahler umfaßt, die das erste Drittel, die zweite diejenigen, die das zweite
Drittel, und die dritte die, die das letzte Drittel der Landessteuern aufbringen;
zu dieser letzten Abteilung gehören auch diejenigen, die überhaupt keine Landes¬
steuer bezahlen, indem für sie bei der Drittelung der Gesamtsteuer ein fingierter
Steuersatz von drei Mark zur Verrechnung kommt. Von diesen drei Klassen
wühlt nun jede für sich bezirksweise im ersten öffentlichen Wahlakt die gleiche
Anzahl von Wahlmännern, die sodann gemeinsam wahlkreisweise wiederum in
öffentlicher Wahl die Abgeordneten zu wählen haben; die Wahl ist also nicht
gleich, nicht geheim und nicht direkt.

Aus dem Vorstehenden erhellt ohne weiteres, daß das Dreiklassenwahlrecht
einen ausgeprägt plutokratischen Charakter trägt, denn ein Zusammengehen der
beiden ersten Klassen, die durchschnittlich die begüterten Schichten der Bevölkerung
in sich darstellen, hat notwendigerweise ein überstimmtwerden der dritten Klasse,
der ärmeren Hauptmasse des Volkes, zur Folge. Besondere Beachtung verdient
dabei das numerische Verhältnis, wie es sich zwischen den Wählern der ersten
beiden Klassen einerseits und denen der dritten Klasse anderseits herausstellt.
Dieses Verhältnis ist während der ganzen Dauer dieses Wahlrechts ziemlich
konstant geblieben; zum Beweise möge es genügen, die entsprechenden Ver¬
hältnisziffern des Jahres 1849 und des Jahres 1903 zusammenzustellen*):
in? erstgenannten Jahre gehörten von der Gesamtheit der Wähler der ersten
Klasse an 4,72 Prozent, der zweiten 12,59 und der dritten 82,69 Prozent;
für das Jahr 1903 ergeben sich als entsprechende Verhältniszahlen die Ziffern
3,36, 12,07, 84,57 Prozent. Aus diesen dürren Zahlen geht unwiderleglich
hervor, daß infolge des Dreiklassenwahlrechts ein Zehntel höchstbesteuerter Wähler
den gleichen Einfluß auf die Mitregierung des Landes ausüben kann wie die
übrigen neun Zehntel der Minderbesteuerten: denn da jede der drei Klassen die
gleiche Anzahl von Wahlmännern zu wählen hat, so braucht nur die Hälfte
der Wähler der zweiten Klasse mit der ersten Klasse in Übereinstimmung zu
wählen, um die Hälfte aller abzugebenden Wahlmännerstimmen dem gemein¬
samen Kandidaten zu sichern; die Hälfte aber der oben festgesetzten Prozent¬
summen der zweiten Klasse (12,59 und 12.07 Prozent) ist rund 6 Prozent,



*) Die Verhältniszahlen der letzten Wahl haben in der Arbeit leider keine Berück¬
sichtigung finden können, da nach Bekundung des Königl. Statistischen Amtes die Veröffent¬
lichung der Ergebnisse erst etwa in Jahresfrist zu erwarten ist.
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[0399] Das lvahlxroblem Nationalversammlung im Jahre vorher gemacht hatte, gaben hier den Ausschlag: man zwang dem Volke ein Wahlsystem auf, das für alle Zukunft ein derart demokratisches Parlament, wie es das Jahr 1848 in Berlin gesehen, von vorn¬ herein zur Unmöglichkeit zu machen versprach: das bekannte Dreiklassen- Wahlrecht. Schon der Name hebt die besondere Eigentümlichkeit dieses Wahlrechts hervor: die Gesamtheit der Wähler wird auf Grund der gezählten Steuer¬ beträge bezirksweise in drei Klassen geteilt, von denen die erste Klasse diejenigen Steuerzahler umfaßt, die das erste Drittel, die zweite diejenigen, die das zweite Drittel, und die dritte die, die das letzte Drittel der Landessteuern aufbringen; zu dieser letzten Abteilung gehören auch diejenigen, die überhaupt keine Landes¬ steuer bezahlen, indem für sie bei der Drittelung der Gesamtsteuer ein fingierter Steuersatz von drei Mark zur Verrechnung kommt. Von diesen drei Klassen wühlt nun jede für sich bezirksweise im ersten öffentlichen Wahlakt die gleiche Anzahl von Wahlmännern, die sodann gemeinsam wahlkreisweise wiederum in öffentlicher Wahl die Abgeordneten zu wählen haben; die Wahl ist also nicht gleich, nicht geheim und nicht direkt. Aus dem Vorstehenden erhellt ohne weiteres, daß das Dreiklassenwahlrecht einen ausgeprägt plutokratischen Charakter trägt, denn ein Zusammengehen der beiden ersten Klassen, die durchschnittlich die begüterten Schichten der Bevölkerung in sich darstellen, hat notwendigerweise ein überstimmtwerden der dritten Klasse, der ärmeren Hauptmasse des Volkes, zur Folge. Besondere Beachtung verdient dabei das numerische Verhältnis, wie es sich zwischen den Wählern der ersten beiden Klassen einerseits und denen der dritten Klasse anderseits herausstellt. Dieses Verhältnis ist während der ganzen Dauer dieses Wahlrechts ziemlich konstant geblieben; zum Beweise möge es genügen, die entsprechenden Ver¬ hältnisziffern des Jahres 1849 und des Jahres 1903 zusammenzustellen*): in? erstgenannten Jahre gehörten von der Gesamtheit der Wähler der ersten Klasse an 4,72 Prozent, der zweiten 12,59 und der dritten 82,69 Prozent; für das Jahr 1903 ergeben sich als entsprechende Verhältniszahlen die Ziffern 3,36, 12,07, 84,57 Prozent. Aus diesen dürren Zahlen geht unwiderleglich hervor, daß infolge des Dreiklassenwahlrechts ein Zehntel höchstbesteuerter Wähler den gleichen Einfluß auf die Mitregierung des Landes ausüben kann wie die übrigen neun Zehntel der Minderbesteuerten: denn da jede der drei Klassen die gleiche Anzahl von Wahlmännern zu wählen hat, so braucht nur die Hälfte der Wähler der zweiten Klasse mit der ersten Klasse in Übereinstimmung zu wählen, um die Hälfte aller abzugebenden Wahlmännerstimmen dem gemein¬ samen Kandidaten zu sichern; die Hälfte aber der oben festgesetzten Prozent¬ summen der zweiten Klasse (12,59 und 12.07 Prozent) ist rund 6 Prozent, *) Die Verhältniszahlen der letzten Wahl haben in der Arbeit leider keine Berück¬ sichtigung finden können, da nach Bekundung des Königl. Statistischen Amtes die Veröffent¬ lichung der Ergebnisse erst etwa in Jahresfrist zu erwarten ist. 2ö*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/399>, abgerufen am 21.06.2024.