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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

Hypothese ist, nicht als Tatsachen ausgeben sollen. Wesentliche Bereicherung
erfuhren ferner die Abschnitte über den Sologesang zu Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts, wobei freilich die neuesten Forschungen H. Riemanns noch nicht
berücksichtigt sind, und über die Instrumentalmusik im achtzehnten Jahrhundert.
Hier waren vor allem die vorhaydnschen Sinfoniker, also einerseits die Italiener,
anderseits die Mannheimer und die Wiener Schule, zu besprechen. Mit Recht
wurde dagegen auf die Behandlung Beethovens verzichtet, die Donner nur
anhangsweise gegeben hatte.

Von musikgeschichtlichen Spezialarbeiten sei ganz kurz eine Studie über
die Opern Marschners erwähnt (Dr. Hans Gaartz, Die Opern Heinrich
Marschners. Leipzig. Breitkopf u. Härtel), in welcher der Verfasser zu dem
Ergebnis gelangt, daß die drei rasch hintereinander entstandenen Werke, denen
Marschner seine großen Erfolge und seine Berühmtheit zu verdanken hat, näm¬
lich "Der Vampyr", "Templer und Jüdin" und "Hans Helling", tatsächlich
seine bedeutendsten seien, an die weder seine vorausgegangenen noch seine
späteren Opern auch nur annähernd heranreichten. Namentlich die nur hand¬
schriftlich erhaltenen Jugendarbeiten werden einer ausführlichen, aber etwas
trockenen Analyse unterzogen.

Wie es bei den Literarhistorikern schon längst üblich ist, so haben jetzt
auch die Musikhistoriker begonnen, für die Behandlung einzelner hervorragender
Meister durch Begründung von besonderen Jahrbüchern einen Mittelpunkt zu
schaffen. Das Bachjahrbuch hat sich bereits sowohl für die Wissenschaft als
auch für unsere Musikpflege, letzteres durch Klärung der Fragen nach der alten
Aufführungspraxis, als wertvolles Organ erwiesen. Aus dem neuesten Jahrgang
(Bachjahrbuch, im Auftrage der neuen Bachgesellschaft herausgegeben
von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf und Härtel) sei das Wichtigste
hervorgehoben: B. Fr. Richter macht es wahrscheinlich, daß Bach alle seine Motetten
für Trauergottesdienste geschrieben habe. Zum Teil läßt sich der Zusammen¬
hang der Texte mit den bei den betreffenden Gelegenheiten gehaltenen Predigten
nachweisen. W. Wolffheim teilt aus einer von ihm aufgefundenen handschrift¬
lichen Sammlung zeitgenössischer Kompositionen, die nach seiner Meinung höchst¬
wahrscheinlich von Bachs Freund Walther herrührt, einige bisher unbekannt
gebliebene Klavierstücke Bachs mit. Schering berichtet über die Kirchenkantaten
der unmittelbaren Vorgänger Bachs im Thomaskantorat, Knüpfer, Schelle und
Kühnan. Dabei bringt er ein höchst bedeutendes Baßarioso von Knüpfer und
eine Art geistliches Strophenlied von Schelle zum Abdruck. In einem weiteren
Artikel setzt er sich mit Schreyer auseinander, der nach inneren Merkmalen,
namentlich auf Grund wirklicher oder vermeintlicher Fehler im Tonsatz, einen
großen Teil der bisher Bach zugeschriebenen Werke für unecht erklärt. Schering
läßt die Methode prinzipiell gelten, weist aber Schreyer Übertreibungen und
grobe Ungenauigkeiten nach. Grunsky stellt Bachs Bearbeitungen und Um¬
arbeitungen fremder Werke zusammen.


Neue Bücher über Musik

Hypothese ist, nicht als Tatsachen ausgeben sollen. Wesentliche Bereicherung
erfuhren ferner die Abschnitte über den Sologesang zu Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts, wobei freilich die neuesten Forschungen H. Riemanns noch nicht
berücksichtigt sind, und über die Instrumentalmusik im achtzehnten Jahrhundert.
Hier waren vor allem die vorhaydnschen Sinfoniker, also einerseits die Italiener,
anderseits die Mannheimer und die Wiener Schule, zu besprechen. Mit Recht
wurde dagegen auf die Behandlung Beethovens verzichtet, die Donner nur
anhangsweise gegeben hatte.

Von musikgeschichtlichen Spezialarbeiten sei ganz kurz eine Studie über
die Opern Marschners erwähnt (Dr. Hans Gaartz, Die Opern Heinrich
Marschners. Leipzig. Breitkopf u. Härtel), in welcher der Verfasser zu dem
Ergebnis gelangt, daß die drei rasch hintereinander entstandenen Werke, denen
Marschner seine großen Erfolge und seine Berühmtheit zu verdanken hat, näm¬
lich „Der Vampyr", „Templer und Jüdin" und „Hans Helling", tatsächlich
seine bedeutendsten seien, an die weder seine vorausgegangenen noch seine
späteren Opern auch nur annähernd heranreichten. Namentlich die nur hand¬
schriftlich erhaltenen Jugendarbeiten werden einer ausführlichen, aber etwas
trockenen Analyse unterzogen.

Wie es bei den Literarhistorikern schon längst üblich ist, so haben jetzt
auch die Musikhistoriker begonnen, für die Behandlung einzelner hervorragender
Meister durch Begründung von besonderen Jahrbüchern einen Mittelpunkt zu
schaffen. Das Bachjahrbuch hat sich bereits sowohl für die Wissenschaft als
auch für unsere Musikpflege, letzteres durch Klärung der Fragen nach der alten
Aufführungspraxis, als wertvolles Organ erwiesen. Aus dem neuesten Jahrgang
(Bachjahrbuch, im Auftrage der neuen Bachgesellschaft herausgegeben
von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf und Härtel) sei das Wichtigste
hervorgehoben: B. Fr. Richter macht es wahrscheinlich, daß Bach alle seine Motetten
für Trauergottesdienste geschrieben habe. Zum Teil läßt sich der Zusammen¬
hang der Texte mit den bei den betreffenden Gelegenheiten gehaltenen Predigten
nachweisen. W. Wolffheim teilt aus einer von ihm aufgefundenen handschrift¬
lichen Sammlung zeitgenössischer Kompositionen, die nach seiner Meinung höchst¬
wahrscheinlich von Bachs Freund Walther herrührt, einige bisher unbekannt
gebliebene Klavierstücke Bachs mit. Schering berichtet über die Kirchenkantaten
der unmittelbaren Vorgänger Bachs im Thomaskantorat, Knüpfer, Schelle und
Kühnan. Dabei bringt er ein höchst bedeutendes Baßarioso von Knüpfer und
eine Art geistliches Strophenlied von Schelle zum Abdruck. In einem weiteren
Artikel setzt er sich mit Schreyer auseinander, der nach inneren Merkmalen,
namentlich auf Grund wirklicher oder vermeintlicher Fehler im Tonsatz, einen
großen Teil der bisher Bach zugeschriebenen Werke für unecht erklärt. Schering
läßt die Methode prinzipiell gelten, weist aber Schreyer Übertreibungen und
grobe Ungenauigkeiten nach. Grunsky stellt Bachs Bearbeitungen und Um¬
arbeitungen fremder Werke zusammen.


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[0388] Neue Bücher über Musik Hypothese ist, nicht als Tatsachen ausgeben sollen. Wesentliche Bereicherung erfuhren ferner die Abschnitte über den Sologesang zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, wobei freilich die neuesten Forschungen H. Riemanns noch nicht berücksichtigt sind, und über die Instrumentalmusik im achtzehnten Jahrhundert. Hier waren vor allem die vorhaydnschen Sinfoniker, also einerseits die Italiener, anderseits die Mannheimer und die Wiener Schule, zu besprechen. Mit Recht wurde dagegen auf die Behandlung Beethovens verzichtet, die Donner nur anhangsweise gegeben hatte. Von musikgeschichtlichen Spezialarbeiten sei ganz kurz eine Studie über die Opern Marschners erwähnt (Dr. Hans Gaartz, Die Opern Heinrich Marschners. Leipzig. Breitkopf u. Härtel), in welcher der Verfasser zu dem Ergebnis gelangt, daß die drei rasch hintereinander entstandenen Werke, denen Marschner seine großen Erfolge und seine Berühmtheit zu verdanken hat, näm¬ lich „Der Vampyr", „Templer und Jüdin" und „Hans Helling", tatsächlich seine bedeutendsten seien, an die weder seine vorausgegangenen noch seine späteren Opern auch nur annähernd heranreichten. Namentlich die nur hand¬ schriftlich erhaltenen Jugendarbeiten werden einer ausführlichen, aber etwas trockenen Analyse unterzogen. Wie es bei den Literarhistorikern schon längst üblich ist, so haben jetzt auch die Musikhistoriker begonnen, für die Behandlung einzelner hervorragender Meister durch Begründung von besonderen Jahrbüchern einen Mittelpunkt zu schaffen. Das Bachjahrbuch hat sich bereits sowohl für die Wissenschaft als auch für unsere Musikpflege, letzteres durch Klärung der Fragen nach der alten Aufführungspraxis, als wertvolles Organ erwiesen. Aus dem neuesten Jahrgang (Bachjahrbuch, im Auftrage der neuen Bachgesellschaft herausgegeben von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf und Härtel) sei das Wichtigste hervorgehoben: B. Fr. Richter macht es wahrscheinlich, daß Bach alle seine Motetten für Trauergottesdienste geschrieben habe. Zum Teil läßt sich der Zusammen¬ hang der Texte mit den bei den betreffenden Gelegenheiten gehaltenen Predigten nachweisen. W. Wolffheim teilt aus einer von ihm aufgefundenen handschrift¬ lichen Sammlung zeitgenössischer Kompositionen, die nach seiner Meinung höchst¬ wahrscheinlich von Bachs Freund Walther herrührt, einige bisher unbekannt gebliebene Klavierstücke Bachs mit. Schering berichtet über die Kirchenkantaten der unmittelbaren Vorgänger Bachs im Thomaskantorat, Knüpfer, Schelle und Kühnan. Dabei bringt er ein höchst bedeutendes Baßarioso von Knüpfer und eine Art geistliches Strophenlied von Schelle zum Abdruck. In einem weiteren Artikel setzt er sich mit Schreyer auseinander, der nach inneren Merkmalen, namentlich auf Grund wirklicher oder vermeintlicher Fehler im Tonsatz, einen großen Teil der bisher Bach zugeschriebenen Werke für unecht erklärt. Schering läßt die Methode prinzipiell gelten, weist aber Schreyer Übertreibungen und grobe Ungenauigkeiten nach. Grunsky stellt Bachs Bearbeitungen und Um¬ arbeitungen fremder Werke zusammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/388>, abgerufen am 21.06.2024.