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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

Was für Bach schon längst geschehen ist, daß er nämlich in unserem
Musikleben und in unserem musikalischen Empfinden zu einer lebendigen, macht¬
voll wirkenden Größe wurde, das wird jetzt für Gluck, den gewaltigen Musik¬
dramatiker, dessen zweihundertsten Geburtstag wir in diesem Jahre erleben,
angestrebt. Es ist nicht zu leugnen, daß wir mit den heute üblichen, ganz
vereinzelten Aufführungen seiner Hauptwerke, die sich meist vor halbleeren
Häusern abspielen, seiner Bedeutung nicht gerecht werden. Dem will die nach
Überwindung verschiedener Schwierigkeiten nunmehr endgültig organisierte
Gluckgesellschaft abhelfen, einerseits durch authentische Ausgaben der Werke
Glucks, anderseits durch das Gluckjahrbuch, welches das künstlerische und
geschichtliche Verständnis für den Meister vertiefen soll (Gluckjahrbuch, 1. Jahr¬
gang, 1913, im Auftrage der Gluckgesellschaft herausgegeben von Her¬
mann Abert, Leipzig, Breitkopf und Hürtel). Im Geleitwort betont der
Herausgeber mit Recht, daß die Entwicklung Glucks bis zu seiner ersten Reformoper,
dem "Orpheus", der 1762 entstand, noch stark im Dunkel liege, ja, daß uns
sogar der Sinn seiner berühmten Reform selbst und des vielbesprochenen
Streites zwischen den Gluckisten und den Piccinnisten noch nicht völlig klar sei.
Gerade gegenüber einem Meister wie Gluck, der, ein geborener Deutscher, seine
Ausbildung in Italien empfing und bis rund zu seinem sechzigsten Lebens¬
jahre italienische, dann aber französische Opern schrieb und seine nachhaltigsten
Erfolge in Paris erzielte, der ferner, bevor er sich dauernd in Wien niederließ,
London und Kopenhagen berührt hatte, ist internationale Zusammenarbeit
erforderlich. So bringt das Gluckjahrbuch erfreulicherweise zwei Beiträge fran¬
zösischer Autoren. I. Tiersot stellt zusammen, was sich aus den zehn ältesten
Opern Glucks in der Bibliothek des Pariser Konservatoriums vorfindet. Dabei
ergibt es sich, daß eine derselben, "Demofoonte", 1743 entstanden, vollständig
erhalten ist. Saint-Fox zeigt auf, wie weit sich in Glucks Werken, vor allem
in seinen ersten, der Einfluß seines Lehrers Sammartini erkennen läßt. Aus
den deutschen Beiträgen erwähne ich einen Artikel von R. Engländer über eine
Buffoper und ein Ballett von Gluck, die beide, einer damaligen Liehaberei
gemäß, in China spielen. Ferner teilt der Herausgeber nach einem Kupfer¬
stich eine sonst nicht erhaltene Arie aus Glucks "Jppolito" von 1745 mit.
Ein Aufsatz von Füller-Maitland. "Der Streit um die dramatische Wahrheit
in der Oper", wäre wohl besser nicht aufgenommen worden, da er nicht das
geringste Neue bringt und zum Teil auf veralteten Anschauungen beruht. Im
Ganzen aber kann man H. Abert sür die Zusammenstellung dieses ersten
Gluckjahrbuches, das auch kritische Referate über einschlägige Bücher und über
einzelne Aufführungen Gluckscher Werke enthält. nur dankbar sein, und für
die Zukunft ist von dem Unternehmen noch viel Ersprießliches zu erwarten.




Neue Bücher über Musik

Was für Bach schon längst geschehen ist, daß er nämlich in unserem
Musikleben und in unserem musikalischen Empfinden zu einer lebendigen, macht¬
voll wirkenden Größe wurde, das wird jetzt für Gluck, den gewaltigen Musik¬
dramatiker, dessen zweihundertsten Geburtstag wir in diesem Jahre erleben,
angestrebt. Es ist nicht zu leugnen, daß wir mit den heute üblichen, ganz
vereinzelten Aufführungen seiner Hauptwerke, die sich meist vor halbleeren
Häusern abspielen, seiner Bedeutung nicht gerecht werden. Dem will die nach
Überwindung verschiedener Schwierigkeiten nunmehr endgültig organisierte
Gluckgesellschaft abhelfen, einerseits durch authentische Ausgaben der Werke
Glucks, anderseits durch das Gluckjahrbuch, welches das künstlerische und
geschichtliche Verständnis für den Meister vertiefen soll (Gluckjahrbuch, 1. Jahr¬
gang, 1913, im Auftrage der Gluckgesellschaft herausgegeben von Her¬
mann Abert, Leipzig, Breitkopf und Hürtel). Im Geleitwort betont der
Herausgeber mit Recht, daß die Entwicklung Glucks bis zu seiner ersten Reformoper,
dem „Orpheus", der 1762 entstand, noch stark im Dunkel liege, ja, daß uns
sogar der Sinn seiner berühmten Reform selbst und des vielbesprochenen
Streites zwischen den Gluckisten und den Piccinnisten noch nicht völlig klar sei.
Gerade gegenüber einem Meister wie Gluck, der, ein geborener Deutscher, seine
Ausbildung in Italien empfing und bis rund zu seinem sechzigsten Lebens¬
jahre italienische, dann aber französische Opern schrieb und seine nachhaltigsten
Erfolge in Paris erzielte, der ferner, bevor er sich dauernd in Wien niederließ,
London und Kopenhagen berührt hatte, ist internationale Zusammenarbeit
erforderlich. So bringt das Gluckjahrbuch erfreulicherweise zwei Beiträge fran¬
zösischer Autoren. I. Tiersot stellt zusammen, was sich aus den zehn ältesten
Opern Glucks in der Bibliothek des Pariser Konservatoriums vorfindet. Dabei
ergibt es sich, daß eine derselben, „Demofoonte", 1743 entstanden, vollständig
erhalten ist. Saint-Fox zeigt auf, wie weit sich in Glucks Werken, vor allem
in seinen ersten, der Einfluß seines Lehrers Sammartini erkennen läßt. Aus
den deutschen Beiträgen erwähne ich einen Artikel von R. Engländer über eine
Buffoper und ein Ballett von Gluck, die beide, einer damaligen Liehaberei
gemäß, in China spielen. Ferner teilt der Herausgeber nach einem Kupfer¬
stich eine sonst nicht erhaltene Arie aus Glucks „Jppolito" von 1745 mit.
Ein Aufsatz von Füller-Maitland. „Der Streit um die dramatische Wahrheit
in der Oper", wäre wohl besser nicht aufgenommen worden, da er nicht das
geringste Neue bringt und zum Teil auf veralteten Anschauungen beruht. Im
Ganzen aber kann man H. Abert sür die Zusammenstellung dieses ersten
Gluckjahrbuches, das auch kritische Referate über einschlägige Bücher und über
einzelne Aufführungen Gluckscher Werke enthält. nur dankbar sein, und für
die Zukunft ist von dem Unternehmen noch viel Ersprießliches zu erwarten.




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[0389] Neue Bücher über Musik Was für Bach schon längst geschehen ist, daß er nämlich in unserem Musikleben und in unserem musikalischen Empfinden zu einer lebendigen, macht¬ voll wirkenden Größe wurde, das wird jetzt für Gluck, den gewaltigen Musik¬ dramatiker, dessen zweihundertsten Geburtstag wir in diesem Jahre erleben, angestrebt. Es ist nicht zu leugnen, daß wir mit den heute üblichen, ganz vereinzelten Aufführungen seiner Hauptwerke, die sich meist vor halbleeren Häusern abspielen, seiner Bedeutung nicht gerecht werden. Dem will die nach Überwindung verschiedener Schwierigkeiten nunmehr endgültig organisierte Gluckgesellschaft abhelfen, einerseits durch authentische Ausgaben der Werke Glucks, anderseits durch das Gluckjahrbuch, welches das künstlerische und geschichtliche Verständnis für den Meister vertiefen soll (Gluckjahrbuch, 1. Jahr¬ gang, 1913, im Auftrage der Gluckgesellschaft herausgegeben von Her¬ mann Abert, Leipzig, Breitkopf und Hürtel). Im Geleitwort betont der Herausgeber mit Recht, daß die Entwicklung Glucks bis zu seiner ersten Reformoper, dem „Orpheus", der 1762 entstand, noch stark im Dunkel liege, ja, daß uns sogar der Sinn seiner berühmten Reform selbst und des vielbesprochenen Streites zwischen den Gluckisten und den Piccinnisten noch nicht völlig klar sei. Gerade gegenüber einem Meister wie Gluck, der, ein geborener Deutscher, seine Ausbildung in Italien empfing und bis rund zu seinem sechzigsten Lebens¬ jahre italienische, dann aber französische Opern schrieb und seine nachhaltigsten Erfolge in Paris erzielte, der ferner, bevor er sich dauernd in Wien niederließ, London und Kopenhagen berührt hatte, ist internationale Zusammenarbeit erforderlich. So bringt das Gluckjahrbuch erfreulicherweise zwei Beiträge fran¬ zösischer Autoren. I. Tiersot stellt zusammen, was sich aus den zehn ältesten Opern Glucks in der Bibliothek des Pariser Konservatoriums vorfindet. Dabei ergibt es sich, daß eine derselben, „Demofoonte", 1743 entstanden, vollständig erhalten ist. Saint-Fox zeigt auf, wie weit sich in Glucks Werken, vor allem in seinen ersten, der Einfluß seines Lehrers Sammartini erkennen läßt. Aus den deutschen Beiträgen erwähne ich einen Artikel von R. Engländer über eine Buffoper und ein Ballett von Gluck, die beide, einer damaligen Liehaberei gemäß, in China spielen. Ferner teilt der Herausgeber nach einem Kupfer¬ stich eine sonst nicht erhaltene Arie aus Glucks „Jppolito" von 1745 mit. Ein Aufsatz von Füller-Maitland. „Der Streit um die dramatische Wahrheit in der Oper", wäre wohl besser nicht aufgenommen worden, da er nicht das geringste Neue bringt und zum Teil auf veralteten Anschauungen beruht. Im Ganzen aber kann man H. Abert sür die Zusammenstellung dieses ersten Gluckjahrbuches, das auch kritische Referate über einschlägige Bücher und über einzelne Aufführungen Gluckscher Werke enthält. nur dankbar sein, und für die Zukunft ist von dem Unternehmen noch viel Ersprießliches zu erwarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/389>, abgerufen am 21.06.2024.