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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

Haupt zu sehr ins einzelne geht. So werden die verschiedenen Verwendungs-
arten des Chorals ausführlich aufgezeigt, aber doch bei weitem nicht mit der
Klarheit wie in PH. Spiitas großer Bach-Biographie.

Als Muster der populären Darstellung einer musikgeschichtlichen Perote
kann das Büchlein von C. Krebs über die Wiener Klassiker gelten (C. Krebs,
Handn, Mozart, Beethoven. Mit vier Bildnissen, 2. Auflage. Berlin
und Leipzig, B. G. Teubner). Hier wird nur das Wesentliche gesagt, und
das ist wissenschaftlich fundiert und leicht verständlich ausgedrückt. Vielleicht hätten
die seit dem Erscheinen der ersten Auflage (1906) veröffentlichten vierzig ersten
Sinfonien Haydns etwas mehr berücksichtigt werden können. Auch bemerke ich
nebenbei, daß die sogenannte Oxfordsinfonie nicht zu den Pariser Sinfonien
gehört, die bereits 1736 vollendet waren, sondern erst 1788 entstand.

Werfen wir einen Blick auf die wissenschaftliche Musikgeschichtsschreibung,
so zeigt sich, daß man zurzeit wenig Neigung hat, die Entwicklung der Ton¬
kunst innerhalb großer Perioden oder gar von den ältesten Zeiten an, aus
denen wir Überlieferungen besitzen, darzustellen. Man ist zu der Überzeugung
gelangt, daß das verfrüht wäre, da in unseren Kenntnissen noch bedeutende
Lücken klaffen, deren wenigstens teilweise Ausfüllung sich nach der erstaunlichen
Menge des in den letzten Jahrzehnten neu zutagegetretenen Materials erhoffen
läßt. So ist man gegenwärtig mit Einzeluntersuchungen aller Art und mit
der Geschichte der einzelnen Gattungen der Tonkunst beschäftigt. Trotzdem ist
von Zeit zu Zeit zum Zweck leichter Orientierung eine Zusammenfassung unseres
musikgeschichtlichen Wissens erforderlich. Eine solche, damals durchaus auf der
Höhe stehende Zusammenfassung hatte 1868 A. von Donner mit seinem Hand¬
buch der Musikgeschichte geboten. Aber dieses Werk war nur einmal, 1878,
und zwar nur mit geringen Abänderungen wieder ausgelegt worden. Jetzt
erscheint es in neuer Bearbeitung und nach Möglichkeit dem heutigen Stand
der Wissenschaft angepaßt (Handbuch der Musikgeschichte bis zum Aus¬
gang des achtzehnten Jahrhunderts, auf Grundlage des gleich¬
namigen Werkes von Arrey von Donner als dessen dritte
Auflage bearbeitet von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf
und Härtel). Naturgemäß waren eine Menge Änderungen und Er¬
gänzungen notwendig, die der Bearbeiter mit Recht in den Text einschmolz,
so daß wir wieder eine zusammenhängende und zwar eine angenehm
fließende Darstellung vor uns haben. Völlig unverändert blieben außer dem
kurzen Kapitel über die vorchristliche Tonkunst nur die Kapitel über die pro¬
testantischen Meister des sechzehnten Jahrhunderts und über die Hamburger
Opernbühne, bekanntlich die erste stehende in Deutschland. Der stärksten Ein¬
griffe in die frühere Darstellung bedürfte die Entwicklung der Mehrstimmigkeit
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Aber hier hätte Schering alles
das, was hinsichtlich der Mischung von Vokal- und Jnstrumentalstimmen noch
Hypothese, und zwar großen Teils seine eigene, auch anderwärts vertretene


Neue Bücher über Musik

Haupt zu sehr ins einzelne geht. So werden die verschiedenen Verwendungs-
arten des Chorals ausführlich aufgezeigt, aber doch bei weitem nicht mit der
Klarheit wie in PH. Spiitas großer Bach-Biographie.

Als Muster der populären Darstellung einer musikgeschichtlichen Perote
kann das Büchlein von C. Krebs über die Wiener Klassiker gelten (C. Krebs,
Handn, Mozart, Beethoven. Mit vier Bildnissen, 2. Auflage. Berlin
und Leipzig, B. G. Teubner). Hier wird nur das Wesentliche gesagt, und
das ist wissenschaftlich fundiert und leicht verständlich ausgedrückt. Vielleicht hätten
die seit dem Erscheinen der ersten Auflage (1906) veröffentlichten vierzig ersten
Sinfonien Haydns etwas mehr berücksichtigt werden können. Auch bemerke ich
nebenbei, daß die sogenannte Oxfordsinfonie nicht zu den Pariser Sinfonien
gehört, die bereits 1736 vollendet waren, sondern erst 1788 entstand.

Werfen wir einen Blick auf die wissenschaftliche Musikgeschichtsschreibung,
so zeigt sich, daß man zurzeit wenig Neigung hat, die Entwicklung der Ton¬
kunst innerhalb großer Perioden oder gar von den ältesten Zeiten an, aus
denen wir Überlieferungen besitzen, darzustellen. Man ist zu der Überzeugung
gelangt, daß das verfrüht wäre, da in unseren Kenntnissen noch bedeutende
Lücken klaffen, deren wenigstens teilweise Ausfüllung sich nach der erstaunlichen
Menge des in den letzten Jahrzehnten neu zutagegetretenen Materials erhoffen
läßt. So ist man gegenwärtig mit Einzeluntersuchungen aller Art und mit
der Geschichte der einzelnen Gattungen der Tonkunst beschäftigt. Trotzdem ist
von Zeit zu Zeit zum Zweck leichter Orientierung eine Zusammenfassung unseres
musikgeschichtlichen Wissens erforderlich. Eine solche, damals durchaus auf der
Höhe stehende Zusammenfassung hatte 1868 A. von Donner mit seinem Hand¬
buch der Musikgeschichte geboten. Aber dieses Werk war nur einmal, 1878,
und zwar nur mit geringen Abänderungen wieder ausgelegt worden. Jetzt
erscheint es in neuer Bearbeitung und nach Möglichkeit dem heutigen Stand
der Wissenschaft angepaßt (Handbuch der Musikgeschichte bis zum Aus¬
gang des achtzehnten Jahrhunderts, auf Grundlage des gleich¬
namigen Werkes von Arrey von Donner als dessen dritte
Auflage bearbeitet von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf
und Härtel). Naturgemäß waren eine Menge Änderungen und Er¬
gänzungen notwendig, die der Bearbeiter mit Recht in den Text einschmolz,
so daß wir wieder eine zusammenhängende und zwar eine angenehm
fließende Darstellung vor uns haben. Völlig unverändert blieben außer dem
kurzen Kapitel über die vorchristliche Tonkunst nur die Kapitel über die pro¬
testantischen Meister des sechzehnten Jahrhunderts und über die Hamburger
Opernbühne, bekanntlich die erste stehende in Deutschland. Der stärksten Ein¬
griffe in die frühere Darstellung bedürfte die Entwicklung der Mehrstimmigkeit
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Aber hier hätte Schering alles
das, was hinsichtlich der Mischung von Vokal- und Jnstrumentalstimmen noch
Hypothese, und zwar großen Teils seine eigene, auch anderwärts vertretene


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[0387] Neue Bücher über Musik Haupt zu sehr ins einzelne geht. So werden die verschiedenen Verwendungs- arten des Chorals ausführlich aufgezeigt, aber doch bei weitem nicht mit der Klarheit wie in PH. Spiitas großer Bach-Biographie. Als Muster der populären Darstellung einer musikgeschichtlichen Perote kann das Büchlein von C. Krebs über die Wiener Klassiker gelten (C. Krebs, Handn, Mozart, Beethoven. Mit vier Bildnissen, 2. Auflage. Berlin und Leipzig, B. G. Teubner). Hier wird nur das Wesentliche gesagt, und das ist wissenschaftlich fundiert und leicht verständlich ausgedrückt. Vielleicht hätten die seit dem Erscheinen der ersten Auflage (1906) veröffentlichten vierzig ersten Sinfonien Haydns etwas mehr berücksichtigt werden können. Auch bemerke ich nebenbei, daß die sogenannte Oxfordsinfonie nicht zu den Pariser Sinfonien gehört, die bereits 1736 vollendet waren, sondern erst 1788 entstand. Werfen wir einen Blick auf die wissenschaftliche Musikgeschichtsschreibung, so zeigt sich, daß man zurzeit wenig Neigung hat, die Entwicklung der Ton¬ kunst innerhalb großer Perioden oder gar von den ältesten Zeiten an, aus denen wir Überlieferungen besitzen, darzustellen. Man ist zu der Überzeugung gelangt, daß das verfrüht wäre, da in unseren Kenntnissen noch bedeutende Lücken klaffen, deren wenigstens teilweise Ausfüllung sich nach der erstaunlichen Menge des in den letzten Jahrzehnten neu zutagegetretenen Materials erhoffen läßt. So ist man gegenwärtig mit Einzeluntersuchungen aller Art und mit der Geschichte der einzelnen Gattungen der Tonkunst beschäftigt. Trotzdem ist von Zeit zu Zeit zum Zweck leichter Orientierung eine Zusammenfassung unseres musikgeschichtlichen Wissens erforderlich. Eine solche, damals durchaus auf der Höhe stehende Zusammenfassung hatte 1868 A. von Donner mit seinem Hand¬ buch der Musikgeschichte geboten. Aber dieses Werk war nur einmal, 1878, und zwar nur mit geringen Abänderungen wieder ausgelegt worden. Jetzt erscheint es in neuer Bearbeitung und nach Möglichkeit dem heutigen Stand der Wissenschaft angepaßt (Handbuch der Musikgeschichte bis zum Aus¬ gang des achtzehnten Jahrhunderts, auf Grundlage des gleich¬ namigen Werkes von Arrey von Donner als dessen dritte Auflage bearbeitet von Arnold Schering, Leipzig, Breitkopf und Härtel). Naturgemäß waren eine Menge Änderungen und Er¬ gänzungen notwendig, die der Bearbeiter mit Recht in den Text einschmolz, so daß wir wieder eine zusammenhängende und zwar eine angenehm fließende Darstellung vor uns haben. Völlig unverändert blieben außer dem kurzen Kapitel über die vorchristliche Tonkunst nur die Kapitel über die pro¬ testantischen Meister des sechzehnten Jahrhunderts und über die Hamburger Opernbühne, bekanntlich die erste stehende in Deutschland. Der stärksten Ein¬ griffe in die frühere Darstellung bedürfte die Entwicklung der Mehrstimmigkeit im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Aber hier hätte Schering alles das, was hinsichtlich der Mischung von Vokal- und Jnstrumentalstimmen noch Hypothese, und zwar großen Teils seine eigene, auch anderwärts vertretene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/387>, abgerufen am 21.06.2024.