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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Von spanischen Stierkämpfen

und Ohren verstopft hat, die Hörner recht tief ins Gekröse zu rennen. Das
geschieht denn auch und bald wälzen sich der gepolsterte und von den anderen
Stierkämpfern geschützte Reiter und die Märe im Staube, während der Stier
mit seinen Hörnern herumbohrt in den Weichen des gefallenen Tieres und ihm
die Eingeweide weit aus der aufgerissenen Bauchhöhle herauszerrt. Ein Bild
scheußlichster Grausamkeit, das man erschauernd erlebt. Aber damit ist es nicht
zu Ende. Mit wilden Schlägen peitschen sie drunten das Pferd wieder empor,
aufs neue steigt der Reiter auf die zitternde Märe, und obwohl diesem die Ein¬
geweide in plumpen Knollen aus dem Leibe hängen, muß es noch einmal
gegen den gereizten Stier, bis es nochmals zusammenbricht und dann endlich
den Gnadenstoß empfängt. Das wiederholt sich mehrere Male. Ich habe einen
Stier sechs Pferde auf diese Weise verstümmeln sehen. Und das Publikum
folgt atemlos diesem Kampf, der kein Kampf, sondern ein widerliches Schächten ist.

Der zweite Akt, die "Luerte as banäsrilleas", setzt dem Toro schon
schlimmer zu. Hier gilt es, dem schon etwas ermüdeten Tiere sechs bunte,
umflitterte. mit scharfen Eisenhaien versehene Stäbe, die "Banderillas", in den
Nacken zu bohren. Hier setzen die Kämpfer selber ihr Leben ein, aber immer
fast gelingt es ihnen, ihre Marterpfeile dem Stier in den Nacken zu bohren,
der nun mit diesem lächerlichen Zierrat versehen und oft in Strömen blutend
durch die Arena tobt. Dabei ist zu bemerken, daß der ganze Kampf nur darum
möglich ist, weil der Stier sich recht dumm benimmt. Denn er verfolgt niemals
konsequent, sondern läßt sich durch jeden vorgehaltenen Mantel ablenken.
Wäre das nicht der Fall, ginge der Stier konsequent auf seine Gegner los,
wie es etwa ein Löwe tun würde, so würden diese sich hüten, ihm entgegen¬
zutreten.

Ist der Stier mit seinen Banderillas versehen, so beginnt der dritte Akt,
die "Luertö cle Natar". Der Matador tritt auf. Hat man ihn einmal ge¬
sehen in stolzer, kühler Haltung auftreten, die Arena durchschreiten und vor
dem Präsidenten sich verneigen, dann begreift man, daß der Name Matador
zur Gattungsbezeichnung des stolzen, stegreichen Helden überhaupt hat werden
können. Es liegt viel Kultur in dieser Haltung, welche die spanische Grandezza
in reinster Form zeigt, eine eigentümlich stolze Kopfhaltung und ein Gang mit
festem und doch leichtem Durchdrücken der Knie (nebenbei gesagt, ist die Würde
des Spaniers überhaupt keineswegs jene starre Steifheit, die man in Nord¬
deutschland unter jenem Begriff sich denkt, sondern sie ist bei aller Gehaltenheit
durch Anmut und große Verbindlichkeit gekennzeichnet).

In der Hand trägt der Matador das blutrote Tuch, die Muleta, das
den tötenden Degen verbirgt. Indessen nicht sofort vollzieht sich die Exekution.
Noch muß der Toro mehr ermüdet werden. Der Matador spielt zunächst mit
dem schweren Tier, wie man mit jungen Hunden spielt. Unter jauchzendem
Zuruf der Masse neckt er ihn, weicht mit anmutigen Sprung seinen wütenden
Stößen aus, ja er setzt gar mit kühnem Satz über den tobenden Toro hinweg.


Von spanischen Stierkämpfen

und Ohren verstopft hat, die Hörner recht tief ins Gekröse zu rennen. Das
geschieht denn auch und bald wälzen sich der gepolsterte und von den anderen
Stierkämpfern geschützte Reiter und die Märe im Staube, während der Stier
mit seinen Hörnern herumbohrt in den Weichen des gefallenen Tieres und ihm
die Eingeweide weit aus der aufgerissenen Bauchhöhle herauszerrt. Ein Bild
scheußlichster Grausamkeit, das man erschauernd erlebt. Aber damit ist es nicht
zu Ende. Mit wilden Schlägen peitschen sie drunten das Pferd wieder empor,
aufs neue steigt der Reiter auf die zitternde Märe, und obwohl diesem die Ein¬
geweide in plumpen Knollen aus dem Leibe hängen, muß es noch einmal
gegen den gereizten Stier, bis es nochmals zusammenbricht und dann endlich
den Gnadenstoß empfängt. Das wiederholt sich mehrere Male. Ich habe einen
Stier sechs Pferde auf diese Weise verstümmeln sehen. Und das Publikum
folgt atemlos diesem Kampf, der kein Kampf, sondern ein widerliches Schächten ist.

Der zweite Akt, die „Luerte as banäsrilleas", setzt dem Toro schon
schlimmer zu. Hier gilt es, dem schon etwas ermüdeten Tiere sechs bunte,
umflitterte. mit scharfen Eisenhaien versehene Stäbe, die „Banderillas", in den
Nacken zu bohren. Hier setzen die Kämpfer selber ihr Leben ein, aber immer
fast gelingt es ihnen, ihre Marterpfeile dem Stier in den Nacken zu bohren,
der nun mit diesem lächerlichen Zierrat versehen und oft in Strömen blutend
durch die Arena tobt. Dabei ist zu bemerken, daß der ganze Kampf nur darum
möglich ist, weil der Stier sich recht dumm benimmt. Denn er verfolgt niemals
konsequent, sondern läßt sich durch jeden vorgehaltenen Mantel ablenken.
Wäre das nicht der Fall, ginge der Stier konsequent auf seine Gegner los,
wie es etwa ein Löwe tun würde, so würden diese sich hüten, ihm entgegen¬
zutreten.

Ist der Stier mit seinen Banderillas versehen, so beginnt der dritte Akt,
die „Luertö cle Natar". Der Matador tritt auf. Hat man ihn einmal ge¬
sehen in stolzer, kühler Haltung auftreten, die Arena durchschreiten und vor
dem Präsidenten sich verneigen, dann begreift man, daß der Name Matador
zur Gattungsbezeichnung des stolzen, stegreichen Helden überhaupt hat werden
können. Es liegt viel Kultur in dieser Haltung, welche die spanische Grandezza
in reinster Form zeigt, eine eigentümlich stolze Kopfhaltung und ein Gang mit
festem und doch leichtem Durchdrücken der Knie (nebenbei gesagt, ist die Würde
des Spaniers überhaupt keineswegs jene starre Steifheit, die man in Nord¬
deutschland unter jenem Begriff sich denkt, sondern sie ist bei aller Gehaltenheit
durch Anmut und große Verbindlichkeit gekennzeichnet).

In der Hand trägt der Matador das blutrote Tuch, die Muleta, das
den tötenden Degen verbirgt. Indessen nicht sofort vollzieht sich die Exekution.
Noch muß der Toro mehr ermüdet werden. Der Matador spielt zunächst mit
dem schweren Tier, wie man mit jungen Hunden spielt. Unter jauchzendem
Zuruf der Masse neckt er ihn, weicht mit anmutigen Sprung seinen wütenden
Stößen aus, ja er setzt gar mit kühnem Satz über den tobenden Toro hinweg.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/380>, abgerufen am 21.06.2024.