Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von spanischen Stierkämpfen

beschrieben worden. Nur die Wirkungen auf die Zuschauer wollen wir ana¬
lysieren, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen.

Wie bei den meisten südländischen Schaustellungen beginnt das Theater
schon lange vor dem offiziellen Anfang, und für manchen nordischen Zuschauer
ist dies Theater, welches das Publikum sich selbst und anderen ohne irgend¬
welche Vergütung gibt, das interessantere, zumal es auch während der eigent¬
lichen Vorstellung beständig andauert und bald mehr, bald weniger bemerkbar
in diese hineinspielt. Man tut aus mehreren Gründen gut, schon eine Stunde
vor Beginn im Theater zu sein. Es hat seinen Reiz zu sehen, wie sich der
riesenhafte amphitheatralische Raum immer dichter mit Menschen füllt, wie die
gewaltige Runde dunkler und dunkler sich färbt, wie das Brausen, Lachen,
Schreien der tausendköpfigen erregten Masse wächst, bis endlich alle Reihen bis
auf den letzten Platz gefüllt sind. Man stelle sich vor, daß viele dieser Stier¬
theater fünfzehntausend, das in Murcia über zwanzigtausend Menschen fassen,
während unsere größten Operntheater kaum dreitausend aufnehmen, wobei zum
Unterschied von vielen Berliner Theatern noch zu bemerken ist, daß Zuschauer
auch wirklich kommen. -- Aber ist nun alles besetzt, fo herrscht keineswegs
Ruhe, sondern wie ein bewegtes Meer, in dem zuweilen eine jähe Windsbraut
wilde Wellen aufwirft, beginnt es irgendwo gewaltig aufzubrausen, Bewegung
entsteht, Geschrei, Hohngelächter, bis sich alles, plötzlich wie es gekommen, wieder
legt und an anderer Stelle ebenso unerklärlich für den Fremden dasselbe
Schauspiel beginnt. Die Schutzleute halten sich ängstlich fern, denn der Spanier
ist kein Preuße und stets geneigt, die Vertreter der Obrigkeit auszulachen. Es
ist ein herrliches Bild, dies in runde Reihen gepferchte Leben, und man begreift,
daß es seit Goya und Manet unzählige Künstler gereizt hat, das im Bilde fest¬
zuhalten.

Und es reißt einen mit, diese allgemeine gespannte Erwartung. Man
geht auf in diese ungeheuere Masse, unterliegt der Suggestion der Tausende,
und immer gespannter, immer leidenschaftlicher wenden sich die Augen nach
jenem dunklen Tore, durch das die bunte, farbenglitzernde Quadrilla der Stier¬
kämpfer ihren Einzug halten soll.

Der Kampf selber zerfällt bekanntlich in drei Akte. Der erste, die "Luerte
cis pnLar", ist der widerlichste. Nachdem die Helden des Tages voll Würde
und spanischer Anmut ihren Umzug in der Arena vollendet, öffnet sich ein
zweites Tor und der Stier kommt mit ungelenken Sprüngen herein, durch
Hunger und Dunkelheit aufs höchste gereizt. Bald ist der Kampf im Gange.
Mit graziösen Sprüngen reizen und necken mantelschwingende Capeadores den
plumpen Gesellen, bis er einen der auf elenden Kleppern haltenden Reiter an¬
greift. Man denke nun nicht an ritterliches Kämpfen! Ein Schlachten in des
Wortes gräßlichster Bedeutung ist keine Schlacht zu nennen. Denn daß der
auf dem Pferde sitzende Picador mit seiner stumpfen Lanze den Stier anrennt, hat
für diesen keine Gefahr, soll ihn nur reizen, dem armen Gaul, dem man Augen


von spanischen Stierkämpfen

beschrieben worden. Nur die Wirkungen auf die Zuschauer wollen wir ana¬
lysieren, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen.

Wie bei den meisten südländischen Schaustellungen beginnt das Theater
schon lange vor dem offiziellen Anfang, und für manchen nordischen Zuschauer
ist dies Theater, welches das Publikum sich selbst und anderen ohne irgend¬
welche Vergütung gibt, das interessantere, zumal es auch während der eigent¬
lichen Vorstellung beständig andauert und bald mehr, bald weniger bemerkbar
in diese hineinspielt. Man tut aus mehreren Gründen gut, schon eine Stunde
vor Beginn im Theater zu sein. Es hat seinen Reiz zu sehen, wie sich der
riesenhafte amphitheatralische Raum immer dichter mit Menschen füllt, wie die
gewaltige Runde dunkler und dunkler sich färbt, wie das Brausen, Lachen,
Schreien der tausendköpfigen erregten Masse wächst, bis endlich alle Reihen bis
auf den letzten Platz gefüllt sind. Man stelle sich vor, daß viele dieser Stier¬
theater fünfzehntausend, das in Murcia über zwanzigtausend Menschen fassen,
während unsere größten Operntheater kaum dreitausend aufnehmen, wobei zum
Unterschied von vielen Berliner Theatern noch zu bemerken ist, daß Zuschauer
auch wirklich kommen. — Aber ist nun alles besetzt, fo herrscht keineswegs
Ruhe, sondern wie ein bewegtes Meer, in dem zuweilen eine jähe Windsbraut
wilde Wellen aufwirft, beginnt es irgendwo gewaltig aufzubrausen, Bewegung
entsteht, Geschrei, Hohngelächter, bis sich alles, plötzlich wie es gekommen, wieder
legt und an anderer Stelle ebenso unerklärlich für den Fremden dasselbe
Schauspiel beginnt. Die Schutzleute halten sich ängstlich fern, denn der Spanier
ist kein Preuße und stets geneigt, die Vertreter der Obrigkeit auszulachen. Es
ist ein herrliches Bild, dies in runde Reihen gepferchte Leben, und man begreift,
daß es seit Goya und Manet unzählige Künstler gereizt hat, das im Bilde fest¬
zuhalten.

Und es reißt einen mit, diese allgemeine gespannte Erwartung. Man
geht auf in diese ungeheuere Masse, unterliegt der Suggestion der Tausende,
und immer gespannter, immer leidenschaftlicher wenden sich die Augen nach
jenem dunklen Tore, durch das die bunte, farbenglitzernde Quadrilla der Stier¬
kämpfer ihren Einzug halten soll.

Der Kampf selber zerfällt bekanntlich in drei Akte. Der erste, die „Luerte
cis pnLar", ist der widerlichste. Nachdem die Helden des Tages voll Würde
und spanischer Anmut ihren Umzug in der Arena vollendet, öffnet sich ein
zweites Tor und der Stier kommt mit ungelenken Sprüngen herein, durch
Hunger und Dunkelheit aufs höchste gereizt. Bald ist der Kampf im Gange.
Mit graziösen Sprüngen reizen und necken mantelschwingende Capeadores den
plumpen Gesellen, bis er einen der auf elenden Kleppern haltenden Reiter an¬
greift. Man denke nun nicht an ritterliches Kämpfen! Ein Schlachten in des
Wortes gräßlichster Bedeutung ist keine Schlacht zu nennen. Denn daß der
auf dem Pferde sitzende Picador mit seiner stumpfen Lanze den Stier anrennt, hat
für diesen keine Gefahr, soll ihn nur reizen, dem armen Gaul, dem man Augen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328479"/>
          <fw type="header" place="top"> von spanischen Stierkämpfen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1535" prev="#ID_1534"> beschrieben worden. Nur die Wirkungen auf die Zuschauer wollen wir ana¬<lb/>
lysieren, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536"> Wie bei den meisten südländischen Schaustellungen beginnt das Theater<lb/>
schon lange vor dem offiziellen Anfang, und für manchen nordischen Zuschauer<lb/>
ist dies Theater, welches das Publikum sich selbst und anderen ohne irgend¬<lb/>
welche Vergütung gibt, das interessantere, zumal es auch während der eigent¬<lb/>
lichen Vorstellung beständig andauert und bald mehr, bald weniger bemerkbar<lb/>
in diese hineinspielt. Man tut aus mehreren Gründen gut, schon eine Stunde<lb/>
vor Beginn im Theater zu sein. Es hat seinen Reiz zu sehen, wie sich der<lb/>
riesenhafte amphitheatralische Raum immer dichter mit Menschen füllt, wie die<lb/>
gewaltige Runde dunkler und dunkler sich färbt, wie das Brausen, Lachen,<lb/>
Schreien der tausendköpfigen erregten Masse wächst, bis endlich alle Reihen bis<lb/>
auf den letzten Platz gefüllt sind. Man stelle sich vor, daß viele dieser Stier¬<lb/>
theater fünfzehntausend, das in Murcia über zwanzigtausend Menschen fassen,<lb/>
während unsere größten Operntheater kaum dreitausend aufnehmen, wobei zum<lb/>
Unterschied von vielen Berliner Theatern noch zu bemerken ist, daß Zuschauer<lb/>
auch wirklich kommen. &#x2014; Aber ist nun alles besetzt, fo herrscht keineswegs<lb/>
Ruhe, sondern wie ein bewegtes Meer, in dem zuweilen eine jähe Windsbraut<lb/>
wilde Wellen aufwirft, beginnt es irgendwo gewaltig aufzubrausen, Bewegung<lb/>
entsteht, Geschrei, Hohngelächter, bis sich alles, plötzlich wie es gekommen, wieder<lb/>
legt und an anderer Stelle ebenso unerklärlich für den Fremden dasselbe<lb/>
Schauspiel beginnt. Die Schutzleute halten sich ängstlich fern, denn der Spanier<lb/>
ist kein Preuße und stets geneigt, die Vertreter der Obrigkeit auszulachen. Es<lb/>
ist ein herrliches Bild, dies in runde Reihen gepferchte Leben, und man begreift,<lb/>
daß es seit Goya und Manet unzählige Künstler gereizt hat, das im Bilde fest¬<lb/>
zuhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> Und es reißt einen mit, diese allgemeine gespannte Erwartung. Man<lb/>
geht auf in diese ungeheuere Masse, unterliegt der Suggestion der Tausende,<lb/>
und immer gespannter, immer leidenschaftlicher wenden sich die Augen nach<lb/>
jenem dunklen Tore, durch das die bunte, farbenglitzernde Quadrilla der Stier¬<lb/>
kämpfer ihren Einzug halten soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538" next="#ID_1539"> Der Kampf selber zerfällt bekanntlich in drei Akte. Der erste, die &#x201E;Luerte<lb/>
cis pnLar", ist der widerlichste. Nachdem die Helden des Tages voll Würde<lb/>
und spanischer Anmut ihren Umzug in der Arena vollendet, öffnet sich ein<lb/>
zweites Tor und der Stier kommt mit ungelenken Sprüngen herein, durch<lb/>
Hunger und Dunkelheit aufs höchste gereizt. Bald ist der Kampf im Gange.<lb/>
Mit graziösen Sprüngen reizen und necken mantelschwingende Capeadores den<lb/>
plumpen Gesellen, bis er einen der auf elenden Kleppern haltenden Reiter an¬<lb/>
greift. Man denke nun nicht an ritterliches Kämpfen! Ein Schlachten in des<lb/>
Wortes gräßlichster Bedeutung ist keine Schlacht zu nennen. Denn daß der<lb/>
auf dem Pferde sitzende Picador mit seiner stumpfen Lanze den Stier anrennt, hat<lb/>
für diesen keine Gefahr, soll ihn nur reizen, dem armen Gaul, dem man Augen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] von spanischen Stierkämpfen beschrieben worden. Nur die Wirkungen auf die Zuschauer wollen wir ana¬ lysieren, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen. Wie bei den meisten südländischen Schaustellungen beginnt das Theater schon lange vor dem offiziellen Anfang, und für manchen nordischen Zuschauer ist dies Theater, welches das Publikum sich selbst und anderen ohne irgend¬ welche Vergütung gibt, das interessantere, zumal es auch während der eigent¬ lichen Vorstellung beständig andauert und bald mehr, bald weniger bemerkbar in diese hineinspielt. Man tut aus mehreren Gründen gut, schon eine Stunde vor Beginn im Theater zu sein. Es hat seinen Reiz zu sehen, wie sich der riesenhafte amphitheatralische Raum immer dichter mit Menschen füllt, wie die gewaltige Runde dunkler und dunkler sich färbt, wie das Brausen, Lachen, Schreien der tausendköpfigen erregten Masse wächst, bis endlich alle Reihen bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Man stelle sich vor, daß viele dieser Stier¬ theater fünfzehntausend, das in Murcia über zwanzigtausend Menschen fassen, während unsere größten Operntheater kaum dreitausend aufnehmen, wobei zum Unterschied von vielen Berliner Theatern noch zu bemerken ist, daß Zuschauer auch wirklich kommen. — Aber ist nun alles besetzt, fo herrscht keineswegs Ruhe, sondern wie ein bewegtes Meer, in dem zuweilen eine jähe Windsbraut wilde Wellen aufwirft, beginnt es irgendwo gewaltig aufzubrausen, Bewegung entsteht, Geschrei, Hohngelächter, bis sich alles, plötzlich wie es gekommen, wieder legt und an anderer Stelle ebenso unerklärlich für den Fremden dasselbe Schauspiel beginnt. Die Schutzleute halten sich ängstlich fern, denn der Spanier ist kein Preuße und stets geneigt, die Vertreter der Obrigkeit auszulachen. Es ist ein herrliches Bild, dies in runde Reihen gepferchte Leben, und man begreift, daß es seit Goya und Manet unzählige Künstler gereizt hat, das im Bilde fest¬ zuhalten. Und es reißt einen mit, diese allgemeine gespannte Erwartung. Man geht auf in diese ungeheuere Masse, unterliegt der Suggestion der Tausende, und immer gespannter, immer leidenschaftlicher wenden sich die Augen nach jenem dunklen Tore, durch das die bunte, farbenglitzernde Quadrilla der Stier¬ kämpfer ihren Einzug halten soll. Der Kampf selber zerfällt bekanntlich in drei Akte. Der erste, die „Luerte cis pnLar", ist der widerlichste. Nachdem die Helden des Tages voll Würde und spanischer Anmut ihren Umzug in der Arena vollendet, öffnet sich ein zweites Tor und der Stier kommt mit ungelenken Sprüngen herein, durch Hunger und Dunkelheit aufs höchste gereizt. Bald ist der Kampf im Gange. Mit graziösen Sprüngen reizen und necken mantelschwingende Capeadores den plumpen Gesellen, bis er einen der auf elenden Kleppern haltenden Reiter an¬ greift. Man denke nun nicht an ritterliches Kämpfen! Ein Schlachten in des Wortes gräßlichster Bedeutung ist keine Schlacht zu nennen. Denn daß der auf dem Pferde sitzende Picador mit seiner stumpfen Lanze den Stier anrennt, hat für diesen keine Gefahr, soll ihn nur reizen, dem armen Gaul, dem man Augen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/379>, abgerufen am 21.06.2024.