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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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von spanischen Stierkämpfen

Bis er erkennt, daß es Zeit ist. Dann blitzt die blanke Extoque hervor unter
dem Tuche und mit raschem Druck taucht sie hinein in den massigen Körper
des Stiers. Selten gelingt es beim ersten Stoß, den Stier zu treffen. Ost
muß der Espada mehrere Degen gebrauchen, bis der Stier in die Knie
bricht und dann mit Pferden quer durch die Arena hinausgeschleift wird.

Es kommt auch vor, daß der Espada bleibt. Ich selbst habe gesehen, wie
ein Matador im Bogen durch die Lust flog, daß man glaubte, kein Knochen
wäre mehr heil. Er aber erhob sich und grüßte mit anmutiger Handbewegung
das Publikum, während seine Helfer, die Capeadores, den Stier mit ihren
bunten Mänteln beschäftigten. Ich habe auch erlebt, daß ein Matador, durch
einen mächtigen Stier am Schenkel verletzt, daß das ganze Beinkleid von Blut
troff, aus der Arena hinaushinkte, von zwei Männern gestützt, daß dann das
ganze Publikum in hohnvolles Pfeifen ausbrach, bis der wunde Matador noch
einmal die Arena betrat, mühsam hinkend dem Stier sich näherte und ihm den
Todesstoß versetzte, worauf die Menge tobend über die Schranken brach, den
wunven, kaum mehr sich haltenden Matador auf die Hände hob und ihn im
Triumph hinaustrug. So wechselt die Volksgunst im Süden. --

Was nun ist der Reiz dieser Vorführungen? Obwohl ich einen liebens¬
würdigen deutschen Ingenieur, der in Spanien wohnt, zur Seite hatte, um in
alle Feinheiten des Spiels eingeweiht zu werden, begann doch der Kampf mit
dem fünften und sechsten Stier mich zu ermüden, obwohl ich gestehen muß,
daß auch mir bei den ersten Kämpfen das Blut in die Wangen gestiegen war
und eine fieberhafte Erregung sich meiner bemächtigt hatte, eine Erregung, die
durch das grausame Hinmorden der Pferde, die man fast schmerzhaft miterlebte,
eher gesteigert als vermindert wurde. Eine deutsche Dame in der Nähe brach
ohnmächtig zusammen, weil die Nerven es nicht ertrugen.

Und trotzdem jubelt ein ganzes Volk, Millionen von Menschen nimmer¬
müde diesen Kämpfen zu. Jedem Stiergefecht widmen alle Zeitungen mindestens
eine ganze Seite Besprechung, während die interessanteste Theateraufführung
kaum ein Sechstel dieses Raumes bekommen würde. In allen Restaurants,
CafLhäusern und Klubs wird die Corrida besprochen und der Matador wird
mehr umschwärmt als der größte Heldentenor im übrigen Europa, und zieht
sich, falls ihm der Ruhm günstig ist, als Millionär auf seine Güter zurück.
Jeder Spanier weiß von solchen Leuten zu erzählen.

Aber die Frage bleibt, was begeistert an diesen Spielen, die vielen Fremden
als ein Schauspiel der Roheit und Brutalität, nichts weiter, erscheinen und
denen in Spanien vom König bis hinab zum Krüppel, der sich sein Eintritts¬
geld an den Kirchenpforten zusammenbettelt, alles jubelnden Beifall zollt?

Mir scheint, daß zwei der stärksten menschlichen Instinkte vor allem es sind,
die in diesen Vorführungen ihre Befriedigung finden, ein guter und ein hä߬
licher: einerseits der Heroenkult, die Bewunderung für Gewandtheit, Mut und
Kraft, und anderseits die Grausamkeit, eine wilde, tierische, im Unterbewußtsein


Grenzboten II 1914 24
von spanischen Stierkämpfen

Bis er erkennt, daß es Zeit ist. Dann blitzt die blanke Extoque hervor unter
dem Tuche und mit raschem Druck taucht sie hinein in den massigen Körper
des Stiers. Selten gelingt es beim ersten Stoß, den Stier zu treffen. Ost
muß der Espada mehrere Degen gebrauchen, bis der Stier in die Knie
bricht und dann mit Pferden quer durch die Arena hinausgeschleift wird.

Es kommt auch vor, daß der Espada bleibt. Ich selbst habe gesehen, wie
ein Matador im Bogen durch die Lust flog, daß man glaubte, kein Knochen
wäre mehr heil. Er aber erhob sich und grüßte mit anmutiger Handbewegung
das Publikum, während seine Helfer, die Capeadores, den Stier mit ihren
bunten Mänteln beschäftigten. Ich habe auch erlebt, daß ein Matador, durch
einen mächtigen Stier am Schenkel verletzt, daß das ganze Beinkleid von Blut
troff, aus der Arena hinaushinkte, von zwei Männern gestützt, daß dann das
ganze Publikum in hohnvolles Pfeifen ausbrach, bis der wunde Matador noch
einmal die Arena betrat, mühsam hinkend dem Stier sich näherte und ihm den
Todesstoß versetzte, worauf die Menge tobend über die Schranken brach, den
wunven, kaum mehr sich haltenden Matador auf die Hände hob und ihn im
Triumph hinaustrug. So wechselt die Volksgunst im Süden. —

Was nun ist der Reiz dieser Vorführungen? Obwohl ich einen liebens¬
würdigen deutschen Ingenieur, der in Spanien wohnt, zur Seite hatte, um in
alle Feinheiten des Spiels eingeweiht zu werden, begann doch der Kampf mit
dem fünften und sechsten Stier mich zu ermüden, obwohl ich gestehen muß,
daß auch mir bei den ersten Kämpfen das Blut in die Wangen gestiegen war
und eine fieberhafte Erregung sich meiner bemächtigt hatte, eine Erregung, die
durch das grausame Hinmorden der Pferde, die man fast schmerzhaft miterlebte,
eher gesteigert als vermindert wurde. Eine deutsche Dame in der Nähe brach
ohnmächtig zusammen, weil die Nerven es nicht ertrugen.

Und trotzdem jubelt ein ganzes Volk, Millionen von Menschen nimmer¬
müde diesen Kämpfen zu. Jedem Stiergefecht widmen alle Zeitungen mindestens
eine ganze Seite Besprechung, während die interessanteste Theateraufführung
kaum ein Sechstel dieses Raumes bekommen würde. In allen Restaurants,
CafLhäusern und Klubs wird die Corrida besprochen und der Matador wird
mehr umschwärmt als der größte Heldentenor im übrigen Europa, und zieht
sich, falls ihm der Ruhm günstig ist, als Millionär auf seine Güter zurück.
Jeder Spanier weiß von solchen Leuten zu erzählen.

Aber die Frage bleibt, was begeistert an diesen Spielen, die vielen Fremden
als ein Schauspiel der Roheit und Brutalität, nichts weiter, erscheinen und
denen in Spanien vom König bis hinab zum Krüppel, der sich sein Eintritts¬
geld an den Kirchenpforten zusammenbettelt, alles jubelnden Beifall zollt?

Mir scheint, daß zwei der stärksten menschlichen Instinkte vor allem es sind,
die in diesen Vorführungen ihre Befriedigung finden, ein guter und ein hä߬
licher: einerseits der Heroenkult, die Bewunderung für Gewandtheit, Mut und
Kraft, und anderseits die Grausamkeit, eine wilde, tierische, im Unterbewußtsein


Grenzboten II 1914 24
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[0381] von spanischen Stierkämpfen Bis er erkennt, daß es Zeit ist. Dann blitzt die blanke Extoque hervor unter dem Tuche und mit raschem Druck taucht sie hinein in den massigen Körper des Stiers. Selten gelingt es beim ersten Stoß, den Stier zu treffen. Ost muß der Espada mehrere Degen gebrauchen, bis der Stier in die Knie bricht und dann mit Pferden quer durch die Arena hinausgeschleift wird. Es kommt auch vor, daß der Espada bleibt. Ich selbst habe gesehen, wie ein Matador im Bogen durch die Lust flog, daß man glaubte, kein Knochen wäre mehr heil. Er aber erhob sich und grüßte mit anmutiger Handbewegung das Publikum, während seine Helfer, die Capeadores, den Stier mit ihren bunten Mänteln beschäftigten. Ich habe auch erlebt, daß ein Matador, durch einen mächtigen Stier am Schenkel verletzt, daß das ganze Beinkleid von Blut troff, aus der Arena hinaushinkte, von zwei Männern gestützt, daß dann das ganze Publikum in hohnvolles Pfeifen ausbrach, bis der wunde Matador noch einmal die Arena betrat, mühsam hinkend dem Stier sich näherte und ihm den Todesstoß versetzte, worauf die Menge tobend über die Schranken brach, den wunven, kaum mehr sich haltenden Matador auf die Hände hob und ihn im Triumph hinaustrug. So wechselt die Volksgunst im Süden. — Was nun ist der Reiz dieser Vorführungen? Obwohl ich einen liebens¬ würdigen deutschen Ingenieur, der in Spanien wohnt, zur Seite hatte, um in alle Feinheiten des Spiels eingeweiht zu werden, begann doch der Kampf mit dem fünften und sechsten Stier mich zu ermüden, obwohl ich gestehen muß, daß auch mir bei den ersten Kämpfen das Blut in die Wangen gestiegen war und eine fieberhafte Erregung sich meiner bemächtigt hatte, eine Erregung, die durch das grausame Hinmorden der Pferde, die man fast schmerzhaft miterlebte, eher gesteigert als vermindert wurde. Eine deutsche Dame in der Nähe brach ohnmächtig zusammen, weil die Nerven es nicht ertrugen. Und trotzdem jubelt ein ganzes Volk, Millionen von Menschen nimmer¬ müde diesen Kämpfen zu. Jedem Stiergefecht widmen alle Zeitungen mindestens eine ganze Seite Besprechung, während die interessanteste Theateraufführung kaum ein Sechstel dieses Raumes bekommen würde. In allen Restaurants, CafLhäusern und Klubs wird die Corrida besprochen und der Matador wird mehr umschwärmt als der größte Heldentenor im übrigen Europa, und zieht sich, falls ihm der Ruhm günstig ist, als Millionär auf seine Güter zurück. Jeder Spanier weiß von solchen Leuten zu erzählen. Aber die Frage bleibt, was begeistert an diesen Spielen, die vielen Fremden als ein Schauspiel der Roheit und Brutalität, nichts weiter, erscheinen und denen in Spanien vom König bis hinab zum Krüppel, der sich sein Eintritts¬ geld an den Kirchenpforten zusammenbettelt, alles jubelnden Beifall zollt? Mir scheint, daß zwei der stärksten menschlichen Instinkte vor allem es sind, die in diesen Vorführungen ihre Befriedigung finden, ein guter und ein hä߬ licher: einerseits der Heroenkult, die Bewunderung für Gewandtheit, Mut und Kraft, und anderseits die Grausamkeit, eine wilde, tierische, im Unterbewußtsein Grenzboten II 1914 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/381>, abgerufen am 21.06.2024.