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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

vielfach auch "Penetration pacikiczus" genannte imperialistische Handelspolitik*)
wird durch eine in den Kolonien immer häufiger angewandte Einführung des
französischen Zolltarifs für ausländische Produkte bei Zollfreiheit der französischen
Waren wirksam vorbereitet. Wo die Assimilation indes undurchführbar ist,
behält sich Frankreich Vorzugszölle vor. Wo aber internationale Verträge, wie
die Kongoakte von 1885 (und 1890), der englisch-französische oder der deutsch¬
französische Marokkovertrag von 1904 und 1911, ihr entgegenstehen, ist ihm
jede Vorzugsstellung zugunsten der Gleichberechtigung aller kontrahierenden
Nationen im kommerziellen und industriellen Wettbewerb versagt. In den assi¬
milierten Kolonien aber steigt der französische Anteil am kolonialen Außenhandel:
eine Tatsache, die den besten Beweis für die Vorteile der französischen Zoll¬
politik liefert. Wenn der Anteil anderer Nationen am Handel mancher fran¬
zösischer Kolonien trotzdem noch immer bedeutend ist, so liegt das an Verhält¬
nissen, die sich der französischen Verantwortung entziehen: an der geographischen
Entfernung oder an einem Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei
Mutterland oder Kolonien.

Eine Sonderstellung nehmen im französischen Zollverhältnis Algier und
Tunis ein. Schon seit 1835 gewährt Algier französischen Waren zollfreie
Einfuhr und erhält dafür Vorzugszölle, seit 1843 sür Rohstoffe sogar Zollfreiheit.
Seit 1884 ist Algier wie eine Provinz dem Mutterlande zolltechnisch einverleibt.
Es unterliegen also nur noch fremde Produkte dem französischen Zolltarif und
einige Kolonialprodukte einem mäßigen Finanzzoll. Das Ergebnis dieser Zoll¬
politik ist, daß Frankreich 86 Prozent der Gesamteinfuhr und 78 Prozent der
Gesamtausfuhr in Algier bewirkt. Tunis dagegen genoß bis 1890 keine Be¬
vorzugung, eine Zeitlang sogar nicht einmal die Meistbegünstigung, von 1890
bis 1904 Vorzugszölle und seitdem Zollfreiheit für Getreide und Olivenöl, für
Vieh, Wild und Geflügel, dazu einen Vorzugszoll auf tunesische Weine. Aus
fiskalischen Gründen ließ sich freilich das französische Ziel einer Zollunion
zwischen beiden Ländern noch nicht erreichen. Doch wurde durch ausgedehnte
Vorzugsbehandlung französischer Waren dem Mutterlande der Wettbewerb in
Tunis außerordentlich erleichtert, so daß die Einfuhr aus Frankreich mit Einschluß
seiner algerischen Provinz zwei Drittel der Gesamteinfuhr in Tunis und die
Ausfuhr aus Mutter- und Nebenland hier mehr als die Hälfte der Gesamt¬
ausfuhr beträgt.

Die einzige Konzession, die Frankreich an die Freihandelsära gemacht hat,
ist die Aufhebung des Verbots eines Wettbewerbs in den französischen Kolonien
mit der französischen Flotte. Da jedoch die Einfuhr französischer Produkte nur
zollfrei ist, wenn sie durch französische Schiffahrt vermittelt wird, diese aber



*) Vgl. hierüber auch W. Treuherz, "Die zollpolitische Assimilationsgesetzgebung Frank¬
reichs und ihre Wirkung auf die Kolomen, nachgewiesen am Beispiel Jndochinas und.
Madagaskars", Jena 1913.
Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

vielfach auch „Penetration pacikiczus" genannte imperialistische Handelspolitik*)
wird durch eine in den Kolonien immer häufiger angewandte Einführung des
französischen Zolltarifs für ausländische Produkte bei Zollfreiheit der französischen
Waren wirksam vorbereitet. Wo die Assimilation indes undurchführbar ist,
behält sich Frankreich Vorzugszölle vor. Wo aber internationale Verträge, wie
die Kongoakte von 1885 (und 1890), der englisch-französische oder der deutsch¬
französische Marokkovertrag von 1904 und 1911, ihr entgegenstehen, ist ihm
jede Vorzugsstellung zugunsten der Gleichberechtigung aller kontrahierenden
Nationen im kommerziellen und industriellen Wettbewerb versagt. In den assi¬
milierten Kolonien aber steigt der französische Anteil am kolonialen Außenhandel:
eine Tatsache, die den besten Beweis für die Vorteile der französischen Zoll¬
politik liefert. Wenn der Anteil anderer Nationen am Handel mancher fran¬
zösischer Kolonien trotzdem noch immer bedeutend ist, so liegt das an Verhält¬
nissen, die sich der französischen Verantwortung entziehen: an der geographischen
Entfernung oder an einem Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei
Mutterland oder Kolonien.

Eine Sonderstellung nehmen im französischen Zollverhältnis Algier und
Tunis ein. Schon seit 1835 gewährt Algier französischen Waren zollfreie
Einfuhr und erhält dafür Vorzugszölle, seit 1843 sür Rohstoffe sogar Zollfreiheit.
Seit 1884 ist Algier wie eine Provinz dem Mutterlande zolltechnisch einverleibt.
Es unterliegen also nur noch fremde Produkte dem französischen Zolltarif und
einige Kolonialprodukte einem mäßigen Finanzzoll. Das Ergebnis dieser Zoll¬
politik ist, daß Frankreich 86 Prozent der Gesamteinfuhr und 78 Prozent der
Gesamtausfuhr in Algier bewirkt. Tunis dagegen genoß bis 1890 keine Be¬
vorzugung, eine Zeitlang sogar nicht einmal die Meistbegünstigung, von 1890
bis 1904 Vorzugszölle und seitdem Zollfreiheit für Getreide und Olivenöl, für
Vieh, Wild und Geflügel, dazu einen Vorzugszoll auf tunesische Weine. Aus
fiskalischen Gründen ließ sich freilich das französische Ziel einer Zollunion
zwischen beiden Ländern noch nicht erreichen. Doch wurde durch ausgedehnte
Vorzugsbehandlung französischer Waren dem Mutterlande der Wettbewerb in
Tunis außerordentlich erleichtert, so daß die Einfuhr aus Frankreich mit Einschluß
seiner algerischen Provinz zwei Drittel der Gesamteinfuhr in Tunis und die
Ausfuhr aus Mutter- und Nebenland hier mehr als die Hälfte der Gesamt¬
ausfuhr beträgt.

Die einzige Konzession, die Frankreich an die Freihandelsära gemacht hat,
ist die Aufhebung des Verbots eines Wettbewerbs in den französischen Kolonien
mit der französischen Flotte. Da jedoch die Einfuhr französischer Produkte nur
zollfrei ist, wenn sie durch französische Schiffahrt vermittelt wird, diese aber



*) Vgl. hierüber auch W. Treuherz, „Die zollpolitische Assimilationsgesetzgebung Frank¬
reichs und ihre Wirkung auf die Kolomen, nachgewiesen am Beispiel Jndochinas und.
Madagaskars", Jena 1913.
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[0373] Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte vielfach auch „Penetration pacikiczus" genannte imperialistische Handelspolitik*) wird durch eine in den Kolonien immer häufiger angewandte Einführung des französischen Zolltarifs für ausländische Produkte bei Zollfreiheit der französischen Waren wirksam vorbereitet. Wo die Assimilation indes undurchführbar ist, behält sich Frankreich Vorzugszölle vor. Wo aber internationale Verträge, wie die Kongoakte von 1885 (und 1890), der englisch-französische oder der deutsch¬ französische Marokkovertrag von 1904 und 1911, ihr entgegenstehen, ist ihm jede Vorzugsstellung zugunsten der Gleichberechtigung aller kontrahierenden Nationen im kommerziellen und industriellen Wettbewerb versagt. In den assi¬ milierten Kolonien aber steigt der französische Anteil am kolonialen Außenhandel: eine Tatsache, die den besten Beweis für die Vorteile der französischen Zoll¬ politik liefert. Wenn der Anteil anderer Nationen am Handel mancher fran¬ zösischer Kolonien trotzdem noch immer bedeutend ist, so liegt das an Verhält¬ nissen, die sich der französischen Verantwortung entziehen: an der geographischen Entfernung oder an einem Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bei Mutterland oder Kolonien. Eine Sonderstellung nehmen im französischen Zollverhältnis Algier und Tunis ein. Schon seit 1835 gewährt Algier französischen Waren zollfreie Einfuhr und erhält dafür Vorzugszölle, seit 1843 sür Rohstoffe sogar Zollfreiheit. Seit 1884 ist Algier wie eine Provinz dem Mutterlande zolltechnisch einverleibt. Es unterliegen also nur noch fremde Produkte dem französischen Zolltarif und einige Kolonialprodukte einem mäßigen Finanzzoll. Das Ergebnis dieser Zoll¬ politik ist, daß Frankreich 86 Prozent der Gesamteinfuhr und 78 Prozent der Gesamtausfuhr in Algier bewirkt. Tunis dagegen genoß bis 1890 keine Be¬ vorzugung, eine Zeitlang sogar nicht einmal die Meistbegünstigung, von 1890 bis 1904 Vorzugszölle und seitdem Zollfreiheit für Getreide und Olivenöl, für Vieh, Wild und Geflügel, dazu einen Vorzugszoll auf tunesische Weine. Aus fiskalischen Gründen ließ sich freilich das französische Ziel einer Zollunion zwischen beiden Ländern noch nicht erreichen. Doch wurde durch ausgedehnte Vorzugsbehandlung französischer Waren dem Mutterlande der Wettbewerb in Tunis außerordentlich erleichtert, so daß die Einfuhr aus Frankreich mit Einschluß seiner algerischen Provinz zwei Drittel der Gesamteinfuhr in Tunis und die Ausfuhr aus Mutter- und Nebenland hier mehr als die Hälfte der Gesamt¬ ausfuhr beträgt. Die einzige Konzession, die Frankreich an die Freihandelsära gemacht hat, ist die Aufhebung des Verbots eines Wettbewerbs in den französischen Kolonien mit der französischen Flotte. Da jedoch die Einfuhr französischer Produkte nur zollfrei ist, wenn sie durch französische Schiffahrt vermittelt wird, diese aber *) Vgl. hierüber auch W. Treuherz, „Die zollpolitische Assimilationsgesetzgebung Frank¬ reichs und ihre Wirkung auf die Kolomen, nachgewiesen am Beispiel Jndochinas und. Madagaskars", Jena 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/373>, abgerufen am 21.06.2024.