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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

ist. Nach den Erfahrungen des Zollkrieges mit Kanada hat Deutschland indes
die Zollpolitik Südafrikas und Australiens wenn auch nicht grundsätzlich, so doch
tatsächlich anerkannt; ja, es gewährt den dortigen britischen Selbstverwaltungs¬
kolonien die Meistbegünstigung, obwohl es selbst keine Meistbegünstigung genießt.
Dieser Zustand ist zwar unerfreulich, aber nach der Lage der Dinge vorläufig
unabänderlich, da ein langwieriger Zollkrieg vermutlich keine günstigeren Be¬
dingungen erzielen würde, als sie in Kanada erzielt wurden.

Wie starr England selbst an seinen handelspolitischen Prinzipien festhält,
zeigt die Behandlung seiner Kronkolonien, in denen es die Macht besitzt. Auch
hier behält sich England keine Vorzugszölle vor; trotzdem kommt seine Handels¬
politik einseitig dem Mutterlande zugute, was meist die Hauptursache der
Unzufriedenheit dieser Kolonien ist. So dient in Indien die britische Handels¬
politik durch zollfreie Einfuhr von Rohstoffen ausschließlich der heimischen Volks¬
wirtschaft. Fördert doch England die Produktion dieser Rohstoffe im egoistischen
Interesse, während es Herstellung bzw. Versand von Fabrikaten zu verhindern
sucht, um deren Bezug aus England zu erzwingen. Den Aufschwung der
indischen Baumwollindustrie vermag es freilich auch durch diese Repressalien
nicht aufzuhalten.

Ebensowenig kennt England in Ägypten eine Vorzugsbehandlung, die
freilich auch der englisch-französische Vertrag über Ägypten und Marokko vom
8. April 1904 nicht gestatten würde. Während hier also alle Waren, ein¬
schließlich der englischen, gleicher Zollbehandlung unterliegen, versucht England
doch auch hier eine Unterdrückung aufkommender Industrien zugunsten der
heimischen, sowie eine Unterdrückung landwirtschaftlicher Produktion, deren
Objekte Ägypten aus England oder seinen Kolonien beziehen foll: "so ist es
gekommen, daß Ägypten, einst die Kornkammer Europas, jetzt ein Importland
für Nahrungsmittel geworden ist."

England treibt also in Indien und Ägypten eine merkantilistische Politik,
ohne daß sie im Zollsystem zum Ausdruck kommt. Frankreich aber treibt in
seinen meisten Kolonien eine ausgesprochen merkantilistische Zollpolitik. Jeden¬
falls hat es stets am Schutzzoll festgehalten und dementsprechend seinen Kolonien
seit 1884 koloniale Vorzugszölle gewährt. Wo irgendmöglich wurde daher in
Frankreichs Kolonien der Industrie des Mutterlandes und in diesem den
Kolonialprodukten der Absatz unter Vorzugsbedingungen gesichert. Die gegen¬
seitige Bevorzugung wurde allmählich immer mehr ausgedehnt, so daß grund¬
sätzlich den Produkten der Kolonien bereits Zollfreiheit gewährt wird, wenn auch
tatsächlich manche Kolonien vorläufig nur Zollvergünstigungen genießen, während
aus fiskalischen Gründen Zucker, Kaffee, Kakao. Schokolade, Tee und Gewürze aller
Kolonien einem Vorzugszoll unterworfen sind. So kommt es, daß die von Frankreich
erstrebte Zollunion in der Zukunft erreichbar erscheint: um so mehr, als Frank¬
reich keine Selbstverwaltungskolonien kennt und darum von Paris aus den
Zolltarif autonom festzusetzen vermag. Diese in Frankreich "Ä88imitation",


Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

ist. Nach den Erfahrungen des Zollkrieges mit Kanada hat Deutschland indes
die Zollpolitik Südafrikas und Australiens wenn auch nicht grundsätzlich, so doch
tatsächlich anerkannt; ja, es gewährt den dortigen britischen Selbstverwaltungs¬
kolonien die Meistbegünstigung, obwohl es selbst keine Meistbegünstigung genießt.
Dieser Zustand ist zwar unerfreulich, aber nach der Lage der Dinge vorläufig
unabänderlich, da ein langwieriger Zollkrieg vermutlich keine günstigeren Be¬
dingungen erzielen würde, als sie in Kanada erzielt wurden.

Wie starr England selbst an seinen handelspolitischen Prinzipien festhält,
zeigt die Behandlung seiner Kronkolonien, in denen es die Macht besitzt. Auch
hier behält sich England keine Vorzugszölle vor; trotzdem kommt seine Handels¬
politik einseitig dem Mutterlande zugute, was meist die Hauptursache der
Unzufriedenheit dieser Kolonien ist. So dient in Indien die britische Handels¬
politik durch zollfreie Einfuhr von Rohstoffen ausschließlich der heimischen Volks¬
wirtschaft. Fördert doch England die Produktion dieser Rohstoffe im egoistischen
Interesse, während es Herstellung bzw. Versand von Fabrikaten zu verhindern
sucht, um deren Bezug aus England zu erzwingen. Den Aufschwung der
indischen Baumwollindustrie vermag es freilich auch durch diese Repressalien
nicht aufzuhalten.

Ebensowenig kennt England in Ägypten eine Vorzugsbehandlung, die
freilich auch der englisch-französische Vertrag über Ägypten und Marokko vom
8. April 1904 nicht gestatten würde. Während hier also alle Waren, ein¬
schließlich der englischen, gleicher Zollbehandlung unterliegen, versucht England
doch auch hier eine Unterdrückung aufkommender Industrien zugunsten der
heimischen, sowie eine Unterdrückung landwirtschaftlicher Produktion, deren
Objekte Ägypten aus England oder seinen Kolonien beziehen foll: „so ist es
gekommen, daß Ägypten, einst die Kornkammer Europas, jetzt ein Importland
für Nahrungsmittel geworden ist."

England treibt also in Indien und Ägypten eine merkantilistische Politik,
ohne daß sie im Zollsystem zum Ausdruck kommt. Frankreich aber treibt in
seinen meisten Kolonien eine ausgesprochen merkantilistische Zollpolitik. Jeden¬
falls hat es stets am Schutzzoll festgehalten und dementsprechend seinen Kolonien
seit 1884 koloniale Vorzugszölle gewährt. Wo irgendmöglich wurde daher in
Frankreichs Kolonien der Industrie des Mutterlandes und in diesem den
Kolonialprodukten der Absatz unter Vorzugsbedingungen gesichert. Die gegen¬
seitige Bevorzugung wurde allmählich immer mehr ausgedehnt, so daß grund¬
sätzlich den Produkten der Kolonien bereits Zollfreiheit gewährt wird, wenn auch
tatsächlich manche Kolonien vorläufig nur Zollvergünstigungen genießen, während
aus fiskalischen Gründen Zucker, Kaffee, Kakao. Schokolade, Tee und Gewürze aller
Kolonien einem Vorzugszoll unterworfen sind. So kommt es, daß die von Frankreich
erstrebte Zollunion in der Zukunft erreichbar erscheint: um so mehr, als Frank¬
reich keine Selbstverwaltungskolonien kennt und darum von Paris aus den
Zolltarif autonom festzusetzen vermag. Diese in Frankreich „Ä88imitation",


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[0372] Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte ist. Nach den Erfahrungen des Zollkrieges mit Kanada hat Deutschland indes die Zollpolitik Südafrikas und Australiens wenn auch nicht grundsätzlich, so doch tatsächlich anerkannt; ja, es gewährt den dortigen britischen Selbstverwaltungs¬ kolonien die Meistbegünstigung, obwohl es selbst keine Meistbegünstigung genießt. Dieser Zustand ist zwar unerfreulich, aber nach der Lage der Dinge vorläufig unabänderlich, da ein langwieriger Zollkrieg vermutlich keine günstigeren Be¬ dingungen erzielen würde, als sie in Kanada erzielt wurden. Wie starr England selbst an seinen handelspolitischen Prinzipien festhält, zeigt die Behandlung seiner Kronkolonien, in denen es die Macht besitzt. Auch hier behält sich England keine Vorzugszölle vor; trotzdem kommt seine Handels¬ politik einseitig dem Mutterlande zugute, was meist die Hauptursache der Unzufriedenheit dieser Kolonien ist. So dient in Indien die britische Handels¬ politik durch zollfreie Einfuhr von Rohstoffen ausschließlich der heimischen Volks¬ wirtschaft. Fördert doch England die Produktion dieser Rohstoffe im egoistischen Interesse, während es Herstellung bzw. Versand von Fabrikaten zu verhindern sucht, um deren Bezug aus England zu erzwingen. Den Aufschwung der indischen Baumwollindustrie vermag es freilich auch durch diese Repressalien nicht aufzuhalten. Ebensowenig kennt England in Ägypten eine Vorzugsbehandlung, die freilich auch der englisch-französische Vertrag über Ägypten und Marokko vom 8. April 1904 nicht gestatten würde. Während hier also alle Waren, ein¬ schließlich der englischen, gleicher Zollbehandlung unterliegen, versucht England doch auch hier eine Unterdrückung aufkommender Industrien zugunsten der heimischen, sowie eine Unterdrückung landwirtschaftlicher Produktion, deren Objekte Ägypten aus England oder seinen Kolonien beziehen foll: „so ist es gekommen, daß Ägypten, einst die Kornkammer Europas, jetzt ein Importland für Nahrungsmittel geworden ist." England treibt also in Indien und Ägypten eine merkantilistische Politik, ohne daß sie im Zollsystem zum Ausdruck kommt. Frankreich aber treibt in seinen meisten Kolonien eine ausgesprochen merkantilistische Zollpolitik. Jeden¬ falls hat es stets am Schutzzoll festgehalten und dementsprechend seinen Kolonien seit 1884 koloniale Vorzugszölle gewährt. Wo irgendmöglich wurde daher in Frankreichs Kolonien der Industrie des Mutterlandes und in diesem den Kolonialprodukten der Absatz unter Vorzugsbedingungen gesichert. Die gegen¬ seitige Bevorzugung wurde allmählich immer mehr ausgedehnt, so daß grund¬ sätzlich den Produkten der Kolonien bereits Zollfreiheit gewährt wird, wenn auch tatsächlich manche Kolonien vorläufig nur Zollvergünstigungen genießen, während aus fiskalischen Gründen Zucker, Kaffee, Kakao. Schokolade, Tee und Gewürze aller Kolonien einem Vorzugszoll unterworfen sind. So kommt es, daß die von Frankreich erstrebte Zollunion in der Zukunft erreichbar erscheint: um so mehr, als Frank¬ reich keine Selbstverwaltungskolonien kennt und darum von Paris aus den Zolltarif autonom festzusetzen vermag. Diese in Frankreich „Ä88imitation",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/372>, abgerufen am 21.06.2024.