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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

lonien im Mutterlande unterworfen waren, tritt die Meistbegünstigung, die zuerst die
Niederlande 1865 nachahmten, während Frankreich, das klassische Land des
Protektionssnstems, 1861 wenigstens die Vorzugszölle in seinen Kolonien
aufhob. Es schien, als ob die Kolonien dem Weltmarkt geöffnet werden sollten.
Aber dieser Umschwung hatte mit Ausnahme der Niederlande keinen Bestand
in der Handelspolitik der damaligen Kolonialmächte.

England zwar hält am Freihandel fest; es läßt sich aber von den Selbst¬
verwaltungskolonien, die die eigentlichen Träger des Imperialismus geworden
sind, also von Kanada, Australien, Südafrika und Neuseeland, Vorzugszölle auf
englische Waren gefallen, während die Produkte anderer Länder in diesen
Kolonien einem vielfach differenzierten Zollsystem unterliegen. Diese Kolonien
versuchten also von sich aus die Verwirklichung der Chamberlainschen Greater-
Britain-Ideen, die auf eine Zollunion aller englischen Besitzungen abzielten, in
der Absicht, innerhalb dieses "Empire" den Freihandel zu pflegen und nach
außen, gegen nichtenglische Produzenten, Zollmauern zu errichten. Die
"liberale" Regierung des Mutterlandes, die seit 1906 die Majorität behalten
hat, hat sich indessen nicht entschlossen, diese "konservative" Handelspolitik
durchzuführen. England gewährt daher seinen Kolonien keine Vergünstigungen,
da es als Freihandelsstaat außer wenigen für Balancierung des Etats not¬
wendigen Finanzzöllen keine Schutzzölle kennt, also auch keine Vorzugszölle ge¬
währen kann.

Natürlich hat England von der Vorzugsbehandlung seiner Waren in den
Selbstverwaltungskolonien großen Vorteil. Trotzdem haben auch diese Kolonien
ohne direkte Gegenleistungen großen Nutzen von der Vorzugsbehandlung des
Mutterlandes. Denn dieses sichert ihnen, wenn auch ihre Spekulation auf den
Sieg der Chamberlainschen Tendenzen in England bisher unerfüllt geblieben
ist, vor allem dreierlei: einen intimen Geschäftsverkehr mit dem Mutterland,
namentlich in bezug auf eine erhöhte Abnahme kolonialer Rohstoffe, eine rege
englische Kapitalinvestition in ihren Ländern, endlich den erforderlichen Schutz
durch die britische Flotte. Der Sinn aller politischen und geschäftlichen Praxis,
das "6o ut c!e8", hat sich also für diese Kolonien durchaus nicht als ein
Rechenfehler erwiesen. Für die nichtbeteiligten Länder ist freilich die Zollpolitik
der englischen Selbstverwaltungskolonien eine Quelle schwerer Belästigungen.
Bei seiner Welthandelsstellung hat namentlich Deutschland schwer darunter zu
leiden gehabt: Ein siebenjähriger Zollkrieg mit Kanada, in dem es außer Italien
keinen Bundesgenossen fand, weil die meisten Länder ihre Kolonien heute selbst
bevorzugen, brachte jedoch nicht einmal den mittleren Tarif, den Italien.
Frankreich, Holland und Belgien in diesem Lande genießen, sondern nur den
Generaltarif, dem freilich auch die Waren der Vereinigten Staaten unterworfen
sind; doch können diese trotzdem auf dem kanadischen Markte wegen der durch
die geographische Entfernung bedingten Frachtdifferenz mit den europäischen
Waren weit erfolgreicher konkurrieren, als das für Deutschland heute möglich


Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte

lonien im Mutterlande unterworfen waren, tritt die Meistbegünstigung, die zuerst die
Niederlande 1865 nachahmten, während Frankreich, das klassische Land des
Protektionssnstems, 1861 wenigstens die Vorzugszölle in seinen Kolonien
aufhob. Es schien, als ob die Kolonien dem Weltmarkt geöffnet werden sollten.
Aber dieser Umschwung hatte mit Ausnahme der Niederlande keinen Bestand
in der Handelspolitik der damaligen Kolonialmächte.

England zwar hält am Freihandel fest; es läßt sich aber von den Selbst¬
verwaltungskolonien, die die eigentlichen Träger des Imperialismus geworden
sind, also von Kanada, Australien, Südafrika und Neuseeland, Vorzugszölle auf
englische Waren gefallen, während die Produkte anderer Länder in diesen
Kolonien einem vielfach differenzierten Zollsystem unterliegen. Diese Kolonien
versuchten also von sich aus die Verwirklichung der Chamberlainschen Greater-
Britain-Ideen, die auf eine Zollunion aller englischen Besitzungen abzielten, in
der Absicht, innerhalb dieses „Empire" den Freihandel zu pflegen und nach
außen, gegen nichtenglische Produzenten, Zollmauern zu errichten. Die
„liberale" Regierung des Mutterlandes, die seit 1906 die Majorität behalten
hat, hat sich indessen nicht entschlossen, diese „konservative" Handelspolitik
durchzuführen. England gewährt daher seinen Kolonien keine Vergünstigungen,
da es als Freihandelsstaat außer wenigen für Balancierung des Etats not¬
wendigen Finanzzöllen keine Schutzzölle kennt, also auch keine Vorzugszölle ge¬
währen kann.

Natürlich hat England von der Vorzugsbehandlung seiner Waren in den
Selbstverwaltungskolonien großen Vorteil. Trotzdem haben auch diese Kolonien
ohne direkte Gegenleistungen großen Nutzen von der Vorzugsbehandlung des
Mutterlandes. Denn dieses sichert ihnen, wenn auch ihre Spekulation auf den
Sieg der Chamberlainschen Tendenzen in England bisher unerfüllt geblieben
ist, vor allem dreierlei: einen intimen Geschäftsverkehr mit dem Mutterland,
namentlich in bezug auf eine erhöhte Abnahme kolonialer Rohstoffe, eine rege
englische Kapitalinvestition in ihren Ländern, endlich den erforderlichen Schutz
durch die britische Flotte. Der Sinn aller politischen und geschäftlichen Praxis,
das „6o ut c!e8", hat sich also für diese Kolonien durchaus nicht als ein
Rechenfehler erwiesen. Für die nichtbeteiligten Länder ist freilich die Zollpolitik
der englischen Selbstverwaltungskolonien eine Quelle schwerer Belästigungen.
Bei seiner Welthandelsstellung hat namentlich Deutschland schwer darunter zu
leiden gehabt: Ein siebenjähriger Zollkrieg mit Kanada, in dem es außer Italien
keinen Bundesgenossen fand, weil die meisten Länder ihre Kolonien heute selbst
bevorzugen, brachte jedoch nicht einmal den mittleren Tarif, den Italien.
Frankreich, Holland und Belgien in diesem Lande genießen, sondern nur den
Generaltarif, dem freilich auch die Waren der Vereinigten Staaten unterworfen
sind; doch können diese trotzdem auf dem kanadischen Markte wegen der durch
die geographische Entfernung bedingten Frachtdifferenz mit den europäischen
Waren weit erfolgreicher konkurrieren, als das für Deutschland heute möglich


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[0371] Die koloniale Handelspolitik der Weltmächte lonien im Mutterlande unterworfen waren, tritt die Meistbegünstigung, die zuerst die Niederlande 1865 nachahmten, während Frankreich, das klassische Land des Protektionssnstems, 1861 wenigstens die Vorzugszölle in seinen Kolonien aufhob. Es schien, als ob die Kolonien dem Weltmarkt geöffnet werden sollten. Aber dieser Umschwung hatte mit Ausnahme der Niederlande keinen Bestand in der Handelspolitik der damaligen Kolonialmächte. England zwar hält am Freihandel fest; es läßt sich aber von den Selbst¬ verwaltungskolonien, die die eigentlichen Träger des Imperialismus geworden sind, also von Kanada, Australien, Südafrika und Neuseeland, Vorzugszölle auf englische Waren gefallen, während die Produkte anderer Länder in diesen Kolonien einem vielfach differenzierten Zollsystem unterliegen. Diese Kolonien versuchten also von sich aus die Verwirklichung der Chamberlainschen Greater- Britain-Ideen, die auf eine Zollunion aller englischen Besitzungen abzielten, in der Absicht, innerhalb dieses „Empire" den Freihandel zu pflegen und nach außen, gegen nichtenglische Produzenten, Zollmauern zu errichten. Die „liberale" Regierung des Mutterlandes, die seit 1906 die Majorität behalten hat, hat sich indessen nicht entschlossen, diese „konservative" Handelspolitik durchzuführen. England gewährt daher seinen Kolonien keine Vergünstigungen, da es als Freihandelsstaat außer wenigen für Balancierung des Etats not¬ wendigen Finanzzöllen keine Schutzzölle kennt, also auch keine Vorzugszölle ge¬ währen kann. Natürlich hat England von der Vorzugsbehandlung seiner Waren in den Selbstverwaltungskolonien großen Vorteil. Trotzdem haben auch diese Kolonien ohne direkte Gegenleistungen großen Nutzen von der Vorzugsbehandlung des Mutterlandes. Denn dieses sichert ihnen, wenn auch ihre Spekulation auf den Sieg der Chamberlainschen Tendenzen in England bisher unerfüllt geblieben ist, vor allem dreierlei: einen intimen Geschäftsverkehr mit dem Mutterland, namentlich in bezug auf eine erhöhte Abnahme kolonialer Rohstoffe, eine rege englische Kapitalinvestition in ihren Ländern, endlich den erforderlichen Schutz durch die britische Flotte. Der Sinn aller politischen und geschäftlichen Praxis, das „6o ut c!e8", hat sich also für diese Kolonien durchaus nicht als ein Rechenfehler erwiesen. Für die nichtbeteiligten Länder ist freilich die Zollpolitik der englischen Selbstverwaltungskolonien eine Quelle schwerer Belästigungen. Bei seiner Welthandelsstellung hat namentlich Deutschland schwer darunter zu leiden gehabt: Ein siebenjähriger Zollkrieg mit Kanada, in dem es außer Italien keinen Bundesgenossen fand, weil die meisten Länder ihre Kolonien heute selbst bevorzugen, brachte jedoch nicht einmal den mittleren Tarif, den Italien. Frankreich, Holland und Belgien in diesem Lande genießen, sondern nur den Generaltarif, dem freilich auch die Waren der Vereinigten Staaten unterworfen sind; doch können diese trotzdem auf dem kanadischen Markte wegen der durch die geographische Entfernung bedingten Frachtdifferenz mit den europäischen Waren weit erfolgreicher konkurrieren, als das für Deutschland heute möglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/371>, abgerufen am 24.07.2024.