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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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"Hreidcutsche Jugendknltnr

impft." Denn man macht dadurch die Jugend zum Lebenskampf untüchtig. . . .
Nicht wahr, es fehlt dieser jesuitischen Sophistik nur noch die Überschrift, die
einst Robert Reinick seinem altmodischen Gedicht gab:

So sehen manche der "Freunde" aus, die die Jugend zu führen sich unter¬
fangen -- muß solche Irreführung des seelischen Lebens und des moralischen
Urteils auf unreife Geister nicht geradezu verwüstend wirken? und sollte man
gegen solche Vergiftung der Jugend nicht nach Jugendschutz rufen, bis alle be¬
rufenen Stellen sich ermannt haben?

Gewiß werfen nicht alle Freunde und Führer der Jugend so leichten
Herzens und loser Hand Steine in das Meer, die in die Tiefen sinken und
allerlei aufrühren, was hernach unabsehbare Kreise an der Oberfläche zieht.
Die Schrift ist auch reich an treffenden Bemerkungen, weisen Ratschlägen und
wertvollen Hinweisen; Töne der Mystik, der Romantik, des Idealismus klingen
hier zusammen zu der Melodie von der neuen Kultur. Wir können uns in
der Beziehung Ria Claaßens Urteil in der Allgemeinen Rundschau vom
20. Dezember 1913 zu eigen machen: "Es soll nicht verkannt werden, daß auch
manches gute und kluge Wort in dem Büchlein steht: wie etwa das von
H. A. Krüger über die Gefahren unserer heutigen Massen- und Organisations¬
erziehung im Gegensatz zu der indimdualisierteren Erziehung der alten Kloster-,
Patronats-, Stiftungs- und Privatschulen; oder die Mahnung Grubers an die
Jugend, durch Streben nach Keuschheit und Gesundheit zu Metern des fort¬
dauernden Lebens unseres Volkes' zu werden; oder H. Delbrücks Definierung
der ,nationalen Aufgaben unserer Zeit'." "Aber die Grundtendenzen", so
fährt Ria Claaßen fort, "gehen doch so offenkundig auf anarchistische Auflösung
unentbehrlicher, unersetzlicher Werte, auf eine Art pädagogischen ^Futurismus'
aus, daß jedem erneuten Versuch zur Ausbreitung dieser großen, freien deutschen
Jugendbewegung nur mit höchstem Bedenken begegnet werden kann."


5. Die Zeitschrift der Jugend: "Der Anfang"

Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen -- hat schon die
Betrachtung der Festschrift an diese Weisheit der Gasse gemahnt, so wird sie



*) Es ist bezeichnend, daß selbst Wyneken, der in der Broschüre "Die neue Jugend"
auf diese Enquete eingeht, das Gravierendste der Antworten seinen Lesern vorenthält. Übrigens
hat das A. C. S. jüngstens in dem "Grünen Anker" eine "unentgeltliche Rat- und Hilfs¬
stelle für jugendliche Angelegenheiten" geschaffen, unter denen an erster und zweiter Stelle
"Konflikte im Elternhause, besonders religiöser und moralischer Art, "und "Konflikte in der Schule"
aufgeführt werden. Späterhin heißt es: "Ist materielle Hilfe rasch nötig, so wird solche in
besonders dringenden Fällen durch finanzielle Unterstützung, sonst aber durch Beschaffung von
Stellungen oderSicherstellung der Lebenshaltung während derZeitderBedrängtheitzuteilwerden."
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impft." Denn man macht dadurch die Jugend zum Lebenskampf untüchtig. . . .
Nicht wahr, es fehlt dieser jesuitischen Sophistik nur noch die Überschrift, die
einst Robert Reinick seinem altmodischen Gedicht gab:

So sehen manche der „Freunde" aus, die die Jugend zu führen sich unter¬
fangen — muß solche Irreführung des seelischen Lebens und des moralischen
Urteils auf unreife Geister nicht geradezu verwüstend wirken? und sollte man
gegen solche Vergiftung der Jugend nicht nach Jugendschutz rufen, bis alle be¬
rufenen Stellen sich ermannt haben?

Gewiß werfen nicht alle Freunde und Führer der Jugend so leichten
Herzens und loser Hand Steine in das Meer, die in die Tiefen sinken und
allerlei aufrühren, was hernach unabsehbare Kreise an der Oberfläche zieht.
Die Schrift ist auch reich an treffenden Bemerkungen, weisen Ratschlägen und
wertvollen Hinweisen; Töne der Mystik, der Romantik, des Idealismus klingen
hier zusammen zu der Melodie von der neuen Kultur. Wir können uns in
der Beziehung Ria Claaßens Urteil in der Allgemeinen Rundschau vom
20. Dezember 1913 zu eigen machen: „Es soll nicht verkannt werden, daß auch
manches gute und kluge Wort in dem Büchlein steht: wie etwa das von
H. A. Krüger über die Gefahren unserer heutigen Massen- und Organisations¬
erziehung im Gegensatz zu der indimdualisierteren Erziehung der alten Kloster-,
Patronats-, Stiftungs- und Privatschulen; oder die Mahnung Grubers an die
Jugend, durch Streben nach Keuschheit und Gesundheit zu Metern des fort¬
dauernden Lebens unseres Volkes' zu werden; oder H. Delbrücks Definierung
der ,nationalen Aufgaben unserer Zeit'." „Aber die Grundtendenzen", so
fährt Ria Claaßen fort, „gehen doch so offenkundig auf anarchistische Auflösung
unentbehrlicher, unersetzlicher Werte, auf eine Art pädagogischen ^Futurismus'
aus, daß jedem erneuten Versuch zur Ausbreitung dieser großen, freien deutschen
Jugendbewegung nur mit höchstem Bedenken begegnet werden kann."


5. Die Zeitschrift der Jugend: „Der Anfang"

Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen — hat schon die
Betrachtung der Festschrift an diese Weisheit der Gasse gemahnt, so wird sie



*) Es ist bezeichnend, daß selbst Wyneken, der in der Broschüre „Die neue Jugend"
auf diese Enquete eingeht, das Gravierendste der Antworten seinen Lesern vorenthält. Übrigens
hat das A. C. S. jüngstens in dem „Grünen Anker" eine „unentgeltliche Rat- und Hilfs¬
stelle für jugendliche Angelegenheiten" geschaffen, unter denen an erster und zweiter Stelle
„Konflikte im Elternhause, besonders religiöser und moralischer Art, "und „Konflikte in der Schule"
aufgeführt werden. Späterhin heißt es: „Ist materielle Hilfe rasch nötig, so wird solche in
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Stellungen oderSicherstellung der Lebenshaltung während derZeitderBedrängtheitzuteilwerden."
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[0366] „Hreidcutsche Jugendknltnr impft." Denn man macht dadurch die Jugend zum Lebenskampf untüchtig. . . . Nicht wahr, es fehlt dieser jesuitischen Sophistik nur noch die Überschrift, die einst Robert Reinick seinem altmodischen Gedicht gab: So sehen manche der „Freunde" aus, die die Jugend zu führen sich unter¬ fangen — muß solche Irreführung des seelischen Lebens und des moralischen Urteils auf unreife Geister nicht geradezu verwüstend wirken? und sollte man gegen solche Vergiftung der Jugend nicht nach Jugendschutz rufen, bis alle be¬ rufenen Stellen sich ermannt haben? Gewiß werfen nicht alle Freunde und Führer der Jugend so leichten Herzens und loser Hand Steine in das Meer, die in die Tiefen sinken und allerlei aufrühren, was hernach unabsehbare Kreise an der Oberfläche zieht. Die Schrift ist auch reich an treffenden Bemerkungen, weisen Ratschlägen und wertvollen Hinweisen; Töne der Mystik, der Romantik, des Idealismus klingen hier zusammen zu der Melodie von der neuen Kultur. Wir können uns in der Beziehung Ria Claaßens Urteil in der Allgemeinen Rundschau vom 20. Dezember 1913 zu eigen machen: „Es soll nicht verkannt werden, daß auch manches gute und kluge Wort in dem Büchlein steht: wie etwa das von H. A. Krüger über die Gefahren unserer heutigen Massen- und Organisations¬ erziehung im Gegensatz zu der indimdualisierteren Erziehung der alten Kloster-, Patronats-, Stiftungs- und Privatschulen; oder die Mahnung Grubers an die Jugend, durch Streben nach Keuschheit und Gesundheit zu Metern des fort¬ dauernden Lebens unseres Volkes' zu werden; oder H. Delbrücks Definierung der ,nationalen Aufgaben unserer Zeit'." „Aber die Grundtendenzen", so fährt Ria Claaßen fort, „gehen doch so offenkundig auf anarchistische Auflösung unentbehrlicher, unersetzlicher Werte, auf eine Art pädagogischen ^Futurismus' aus, daß jedem erneuten Versuch zur Ausbreitung dieser großen, freien deutschen Jugendbewegung nur mit höchstem Bedenken begegnet werden kann." 5. Die Zeitschrift der Jugend: „Der Anfang" Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen — hat schon die Betrachtung der Festschrift an diese Weisheit der Gasse gemahnt, so wird sie *) Es ist bezeichnend, daß selbst Wyneken, der in der Broschüre „Die neue Jugend" auf diese Enquete eingeht, das Gravierendste der Antworten seinen Lesern vorenthält. Übrigens hat das A. C. S. jüngstens in dem „Grünen Anker" eine „unentgeltliche Rat- und Hilfs¬ stelle für jugendliche Angelegenheiten" geschaffen, unter denen an erster und zweiter Stelle „Konflikte im Elternhause, besonders religiöser und moralischer Art, "und „Konflikte in der Schule" aufgeführt werden. Späterhin heißt es: „Ist materielle Hilfe rasch nötig, so wird solche in besonders dringenden Fällen durch finanzielle Unterstützung, sonst aber durch Beschaffung von Stellungen oderSicherstellung der Lebenshaltung während derZeitderBedrängtheitzuteilwerden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/366>, abgerufen am 21.06.2024.