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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Regierung und Parlament

Tisch zu machen und alte Sünden, alte Verranntheit einmal abzustoßen und
auf dem gesäuberten Plan die aufbauende Arbeit ohne die Hemmungen zu
beginnen, die schließlich doch in den Debatten und Beschlüssen früherer Kom¬
missionssitzungen liegen. Vom Standpunkt der Rechtsfrage aus ist gegen die
Schließung des Reichstages an Stelle einer neuerlichen Vertagung gar nichts ein¬
zuwenden. Nach der Verfassung soll die Reichstagssession in der Regel einen
Winter hindurch währen. In der Praxis hat sich diese zur Verfügung gestellte
Zeit als zu kurz zur Bewältigung der gesetzgeberischen Arbeiten erwiesen;
besonders die großen, in ihren Wirkungen weitreichenden Gesetze erforderten
mehrjährige zusammenhängende Tätigkeit in den Kommissionen, sollte nicht die
Arbeit vieler Wochen und Monate immer wieder unter den Tisch fallen. Hieraus
hat sich die Gewohnheit herausgebildet, die Legislaturperiode nicht viermal, sondern
nur zweimal oder gar nur einmal zu unterbrechen, sofern der Reichstag nicht der
Auflösung verfiel. Nach dem Stande der Gesetzgebungsarbeit des heutigen Reichs¬
tages liegt nun die Notwendigkeit einer besonderen Rücksichtnahme gegen keinen
der schwebenden Gesetzentwürfe vor. Von zweien, die bereits viel Arbeit verursacht
haben, meint die norddeutsche Allgemeine Zeitung, daß über sie "eine als-
baldige Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstag
nicht zu erwarten war." Gemeine sind die Gesetzentwürfe betreffend die Er¬
richtung eines Kolonialgerichtshofes und des Verkehrs mit Leuchtöl, alias
das Petroleummonopol. Durch Schließung der Session hat die Regierung die
Ablehnung der Gesetze durch den Reichstag verhindert und kann nun, ohne auf
Empfindlichkeit bei der Parlamentsmehrheit zu stoßen, mit neuen Entwürfen vor
den Reichstag treten, wenn die Stimmung dafür günstiger ist. Auf andere
Vorlagen, wie z. B. auf das Luftverkehrsgesetz, das Gesetz gegen die Gefährdung
der Jugend durch Zurschaustellung von Schriften, das Rennwettgesetz, das Gesetz
zur Abänderung der Vorschriften" der Gewerbeordnung über Schankwesen und
Kinematographen hat der Reichstag noch keine nennenswerte Arbeit verwendet;
auch diese können ohne Schaden neu eingebracht werden. Von einer weiteren
Vorlagengruppe schreibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung, sie sei schon so
weit gediehen, daß ein bei "späterer Gelegenheit verwertbarer Kommissionsbericht"
vorliegt. Also auch die auf sie verwendete Arbeit will die Regierung nicht unter
den Tisch fallen lassen, sondern sich lediglich ihnen gegenüber den Zeitpunkt zur
erneuten Einbringung vorbehalten. Daß der Reichskanzler durch die Schließung
der Session keine Brüskierung des Reichstages im Auge hatte, geht schließlich
auch aus seiner durch die Presse verkündeten Absicht hervor, daß er bei Beginn
der neuen Tagung mit dem Seniorenkonvent des Reichstages gemeinsam einen
Arbeitsplan für die nächste Session vereinbaren will.

So darf man auch mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Reichstags fest¬
stellen, daß der Kanzler auch für die Zukunft bemüht ist, unnötige Reibungen
zwischen den gesetzgebenden Faktoren des Reichs zu vermeiden und alle Kräfte
im Dienst der großen Aufgaben zu vereinigen, die diesem Reichstage noch bevor-


Regierung und Parlament

Tisch zu machen und alte Sünden, alte Verranntheit einmal abzustoßen und
auf dem gesäuberten Plan die aufbauende Arbeit ohne die Hemmungen zu
beginnen, die schließlich doch in den Debatten und Beschlüssen früherer Kom¬
missionssitzungen liegen. Vom Standpunkt der Rechtsfrage aus ist gegen die
Schließung des Reichstages an Stelle einer neuerlichen Vertagung gar nichts ein¬
zuwenden. Nach der Verfassung soll die Reichstagssession in der Regel einen
Winter hindurch währen. In der Praxis hat sich diese zur Verfügung gestellte
Zeit als zu kurz zur Bewältigung der gesetzgeberischen Arbeiten erwiesen;
besonders die großen, in ihren Wirkungen weitreichenden Gesetze erforderten
mehrjährige zusammenhängende Tätigkeit in den Kommissionen, sollte nicht die
Arbeit vieler Wochen und Monate immer wieder unter den Tisch fallen. Hieraus
hat sich die Gewohnheit herausgebildet, die Legislaturperiode nicht viermal, sondern
nur zweimal oder gar nur einmal zu unterbrechen, sofern der Reichstag nicht der
Auflösung verfiel. Nach dem Stande der Gesetzgebungsarbeit des heutigen Reichs¬
tages liegt nun die Notwendigkeit einer besonderen Rücksichtnahme gegen keinen
der schwebenden Gesetzentwürfe vor. Von zweien, die bereits viel Arbeit verursacht
haben, meint die norddeutsche Allgemeine Zeitung, daß über sie „eine als-
baldige Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstag
nicht zu erwarten war." Gemeine sind die Gesetzentwürfe betreffend die Er¬
richtung eines Kolonialgerichtshofes und des Verkehrs mit Leuchtöl, alias
das Petroleummonopol. Durch Schließung der Session hat die Regierung die
Ablehnung der Gesetze durch den Reichstag verhindert und kann nun, ohne auf
Empfindlichkeit bei der Parlamentsmehrheit zu stoßen, mit neuen Entwürfen vor
den Reichstag treten, wenn die Stimmung dafür günstiger ist. Auf andere
Vorlagen, wie z. B. auf das Luftverkehrsgesetz, das Gesetz gegen die Gefährdung
der Jugend durch Zurschaustellung von Schriften, das Rennwettgesetz, das Gesetz
zur Abänderung der Vorschriften" der Gewerbeordnung über Schankwesen und
Kinematographen hat der Reichstag noch keine nennenswerte Arbeit verwendet;
auch diese können ohne Schaden neu eingebracht werden. Von einer weiteren
Vorlagengruppe schreibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung, sie sei schon so
weit gediehen, daß ein bei „späterer Gelegenheit verwertbarer Kommissionsbericht"
vorliegt. Also auch die auf sie verwendete Arbeit will die Regierung nicht unter
den Tisch fallen lassen, sondern sich lediglich ihnen gegenüber den Zeitpunkt zur
erneuten Einbringung vorbehalten. Daß der Reichskanzler durch die Schließung
der Session keine Brüskierung des Reichstages im Auge hatte, geht schließlich
auch aus seiner durch die Presse verkündeten Absicht hervor, daß er bei Beginn
der neuen Tagung mit dem Seniorenkonvent des Reichstages gemeinsam einen
Arbeitsplan für die nächste Session vereinbaren will.

So darf man auch mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Reichstags fest¬
stellen, daß der Kanzler auch für die Zukunft bemüht ist, unnötige Reibungen
zwischen den gesetzgebenden Faktoren des Reichs zu vermeiden und alle Kräfte
im Dienst der großen Aufgaben zu vereinigen, die diesem Reichstage noch bevor-


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[0353] Regierung und Parlament Tisch zu machen und alte Sünden, alte Verranntheit einmal abzustoßen und auf dem gesäuberten Plan die aufbauende Arbeit ohne die Hemmungen zu beginnen, die schließlich doch in den Debatten und Beschlüssen früherer Kom¬ missionssitzungen liegen. Vom Standpunkt der Rechtsfrage aus ist gegen die Schließung des Reichstages an Stelle einer neuerlichen Vertagung gar nichts ein¬ zuwenden. Nach der Verfassung soll die Reichstagssession in der Regel einen Winter hindurch währen. In der Praxis hat sich diese zur Verfügung gestellte Zeit als zu kurz zur Bewältigung der gesetzgeberischen Arbeiten erwiesen; besonders die großen, in ihren Wirkungen weitreichenden Gesetze erforderten mehrjährige zusammenhängende Tätigkeit in den Kommissionen, sollte nicht die Arbeit vieler Wochen und Monate immer wieder unter den Tisch fallen. Hieraus hat sich die Gewohnheit herausgebildet, die Legislaturperiode nicht viermal, sondern nur zweimal oder gar nur einmal zu unterbrechen, sofern der Reichstag nicht der Auflösung verfiel. Nach dem Stande der Gesetzgebungsarbeit des heutigen Reichs¬ tages liegt nun die Notwendigkeit einer besonderen Rücksichtnahme gegen keinen der schwebenden Gesetzentwürfe vor. Von zweien, die bereits viel Arbeit verursacht haben, meint die norddeutsche Allgemeine Zeitung, daß über sie „eine als- baldige Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstag nicht zu erwarten war." Gemeine sind die Gesetzentwürfe betreffend die Er¬ richtung eines Kolonialgerichtshofes und des Verkehrs mit Leuchtöl, alias das Petroleummonopol. Durch Schließung der Session hat die Regierung die Ablehnung der Gesetze durch den Reichstag verhindert und kann nun, ohne auf Empfindlichkeit bei der Parlamentsmehrheit zu stoßen, mit neuen Entwürfen vor den Reichstag treten, wenn die Stimmung dafür günstiger ist. Auf andere Vorlagen, wie z. B. auf das Luftverkehrsgesetz, das Gesetz gegen die Gefährdung der Jugend durch Zurschaustellung von Schriften, das Rennwettgesetz, das Gesetz zur Abänderung der Vorschriften" der Gewerbeordnung über Schankwesen und Kinematographen hat der Reichstag noch keine nennenswerte Arbeit verwendet; auch diese können ohne Schaden neu eingebracht werden. Von einer weiteren Vorlagengruppe schreibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung, sie sei schon so weit gediehen, daß ein bei „späterer Gelegenheit verwertbarer Kommissionsbericht" vorliegt. Also auch die auf sie verwendete Arbeit will die Regierung nicht unter den Tisch fallen lassen, sondern sich lediglich ihnen gegenüber den Zeitpunkt zur erneuten Einbringung vorbehalten. Daß der Reichskanzler durch die Schließung der Session keine Brüskierung des Reichstages im Auge hatte, geht schließlich auch aus seiner durch die Presse verkündeten Absicht hervor, daß er bei Beginn der neuen Tagung mit dem Seniorenkonvent des Reichstages gemeinsam einen Arbeitsplan für die nächste Session vereinbaren will. So darf man auch mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Reichstags fest¬ stellen, daß der Kanzler auch für die Zukunft bemüht ist, unnötige Reibungen zwischen den gesetzgebenden Faktoren des Reichs zu vermeiden und alle Kräfte im Dienst der großen Aufgaben zu vereinigen, die diesem Reichstage noch bevor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/353>, abgerufen am 21.06.2024.