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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Vererbung beim Menschen


Die gesunden mischerbigen Frauen sind hier die "Bazillenträger" der
Krankheitsvererbung. Ihre verhängnisvolle Rolle ist bereits lange bekannt: in
dem Bluterdorfe Terra in Graubünden tragen sie den Namen "Überleiter",
Konduktoren. Ihr verderbenbringendes Erbgut läßt den Krankheitskeim nie
verlöschen. Wie bei reiner Rezession sind auch bei der geschlechtsgekoppelten Ver¬
erbung die Verwandtenehen besonders vernichtend (3a): denn zahlenmäßig häuft
sich die Wahrscheinlichkeit, daß anomale 3-Gene sich im kindlichen Erbgute an¬
häufen; dabei können Vetter und Base selbst gewöhnlich völlig gesunde, normale
Menschen sein.

Für andere Anomalien und Krankheiten gelten sicherlich Modifikationen
dieses Erbtypus, so z. B. für die Bluterkrankheit eine andere als für die
geschlechtsbegrenzte Vererbung des Auftretens vielfacher Knochenauswüchse.

Die besonderen Erbbeziehungen, die nach der entwickelten Auffassung des
Geschlechtserbganges zwischen Mutter und Sohn herrschen, weisen aus die in
der Tat sehr häufige Beobachtung hin, daß in manchen besonders hervortreten¬
den Eigenschaften, Begabungen z. B., gerade der Sohn seiner Mutter besonders
ähnelt:


"Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren."

In dieses Problem spielen Entdeckungen auf dem Gebiete des feinsten
Kleingefüges der Zellen, besonders ihrer Kerne, zumal der Erbzellen, mithinein.
Bei vielen Tieren finden sich die Zellenkerne bei den männlichen und den weib¬
lichen Individuen in sehr beständiger Weise ganz verschieden mit Kernsegmenten
oder mit Chromosomen ausgestattet: es sind dies kleine sehr deutlich, besonders
bei der Zellenteilung darstellbare Kernbestandteile, die bei der gleichen Tierart
in jeder Zelle in gleicher Anzahl vertreten sind. Da väterliche und mütterliche
Erbzelle zusammen die Chromosoms des Kindes liefern, so würde der volle


Vererbung beim Menschen


Die gesunden mischerbigen Frauen sind hier die „Bazillenträger" der
Krankheitsvererbung. Ihre verhängnisvolle Rolle ist bereits lange bekannt: in
dem Bluterdorfe Terra in Graubünden tragen sie den Namen „Überleiter",
Konduktoren. Ihr verderbenbringendes Erbgut läßt den Krankheitskeim nie
verlöschen. Wie bei reiner Rezession sind auch bei der geschlechtsgekoppelten Ver¬
erbung die Verwandtenehen besonders vernichtend (3a): denn zahlenmäßig häuft
sich die Wahrscheinlichkeit, daß anomale 3-Gene sich im kindlichen Erbgute an¬
häufen; dabei können Vetter und Base selbst gewöhnlich völlig gesunde, normale
Menschen sein.

Für andere Anomalien und Krankheiten gelten sicherlich Modifikationen
dieses Erbtypus, so z. B. für die Bluterkrankheit eine andere als für die
geschlechtsbegrenzte Vererbung des Auftretens vielfacher Knochenauswüchse.

Die besonderen Erbbeziehungen, die nach der entwickelten Auffassung des
Geschlechtserbganges zwischen Mutter und Sohn herrschen, weisen aus die in
der Tat sehr häufige Beobachtung hin, daß in manchen besonders hervortreten¬
den Eigenschaften, Begabungen z. B., gerade der Sohn seiner Mutter besonders
ähnelt:


„Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren."

In dieses Problem spielen Entdeckungen auf dem Gebiete des feinsten
Kleingefüges der Zellen, besonders ihrer Kerne, zumal der Erbzellen, mithinein.
Bei vielen Tieren finden sich die Zellenkerne bei den männlichen und den weib¬
lichen Individuen in sehr beständiger Weise ganz verschieden mit Kernsegmenten
oder mit Chromosomen ausgestattet: es sind dies kleine sehr deutlich, besonders
bei der Zellenteilung darstellbare Kernbestandteile, die bei der gleichen Tierart
in jeder Zelle in gleicher Anzahl vertreten sind. Da väterliche und mütterliche
Erbzelle zusammen die Chromosoms des Kindes liefern, so würde der volle


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[0318] Vererbung beim Menschen [Abbildung] Die gesunden mischerbigen Frauen sind hier die „Bazillenträger" der Krankheitsvererbung. Ihre verhängnisvolle Rolle ist bereits lange bekannt: in dem Bluterdorfe Terra in Graubünden tragen sie den Namen „Überleiter", Konduktoren. Ihr verderbenbringendes Erbgut läßt den Krankheitskeim nie verlöschen. Wie bei reiner Rezession sind auch bei der geschlechtsgekoppelten Ver¬ erbung die Verwandtenehen besonders vernichtend (3a): denn zahlenmäßig häuft sich die Wahrscheinlichkeit, daß anomale 3-Gene sich im kindlichen Erbgute an¬ häufen; dabei können Vetter und Base selbst gewöhnlich völlig gesunde, normale Menschen sein. Für andere Anomalien und Krankheiten gelten sicherlich Modifikationen dieses Erbtypus, so z. B. für die Bluterkrankheit eine andere als für die geschlechtsbegrenzte Vererbung des Auftretens vielfacher Knochenauswüchse. Die besonderen Erbbeziehungen, die nach der entwickelten Auffassung des Geschlechtserbganges zwischen Mutter und Sohn herrschen, weisen aus die in der Tat sehr häufige Beobachtung hin, daß in manchen besonders hervortreten¬ den Eigenschaften, Begabungen z. B., gerade der Sohn seiner Mutter besonders ähnelt: „Vom Mütterchen die Frohnatur Und Lust zu fabulieren." In dieses Problem spielen Entdeckungen auf dem Gebiete des feinsten Kleingefüges der Zellen, besonders ihrer Kerne, zumal der Erbzellen, mithinein. Bei vielen Tieren finden sich die Zellenkerne bei den männlichen und den weib¬ lichen Individuen in sehr beständiger Weise ganz verschieden mit Kernsegmenten oder mit Chromosomen ausgestattet: es sind dies kleine sehr deutlich, besonders bei der Zellenteilung darstellbare Kernbestandteile, die bei der gleichen Tierart in jeder Zelle in gleicher Anzahl vertreten sind. Da väterliche und mütterliche Erbzelle zusammen die Chromosoms des Kindes liefern, so würde der volle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/318>, abgerufen am 27.06.2024.