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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Vererbung beim Menschen

vom Individuum vererbbar ist. Auch hier brauchen keineswegs die Über-
und Unterordnung so natürlich durchsichtig zu sein, wie im angeführten Falle.

Endlich gehört in diese Reihe der inneren Ordnung der Erbeinheiten das
Verhalten von Gener, deren Leistungen in Veränderung oder Umstimmung anderer
Erbstücke besteht, in Steigerung und Minderung, Erregung und Hemmung,
qualitativer Umänderung in der einen oder anderen Richtung. Auch sie sind
gewissermaßen in ihrem Wirken angewiesen auf das Vorhandensein der Grund¬
erbstücke als Stoffe für ihre Beeinflussung: deren Dasein bildet die conditio
sine qua non für ihre Eigenwirkung.

Als letzte Abart des Verhältnisses zweier Erbeinheiten darf endlich eine
besondere Art der Steigerung eines Gens durch ein zweites gelten: zu ihrem
Verständnis greift man am besten auf das Beispiel der schon höchst belasteten
Wage zurück. Bewirke bereits eine Erbeinheit Erscheinen eines Merkmales in
nicht steigerungsfähigem Grade, so kann das Dasein einer zweiten in gleicher Richtung
wirkenden Anlage nicht an den Besitzern bemerkt werden. Und doch kann sie sogar
in mehrfacher Anzahl im Erbgute vorhanden sein. Nur an der Verschiebung der
Mendel-Proportion tritt ihr Dasein in Erscheinung: von den sechzehn Nach¬
kommen einer solchen Paarung tragen ja fünfzehn mindestens eines der beiden
Gene, nur einem unter ihnen fehlen beide. Mithin unterscheidet sich nur eines
von ihnen äußerlich von seinen Geschwistern. Alle anderen sind phänotypisch
gleich trotz ihrer genotypischen Verschiedenheit. Gerade das Walten solcher
mehrfachen Erbeinheiten, die gleichsinnig gerichtet sind, ist für die Auffassung
menschlicher Erbvorgänge z. B. bei der Vererbung der Mulattenfarbe wichtig
geworden.

Mit Hilfe dieser Arbeitsmethoden hat sich bereits eine große Anzahl erb¬
licher Eigentümlichkeiten beim Menschen in ihrem Erbgange verfolgen lassen.

Im Tier- und Pflanzenreich sind es wesentlich die Nassenmischlinge gewesen,
die geradezu den idealen Arbeitsstoff für die Entdeckung und den Ausbau der
Erblehre geliefert haben. Weit seltener untersuchte man Abweichungen von mehr
individuellem Werte. Beim Menschen treten erst in der letzten Zeit die Er¬
gebnisse von Rassekreuzungen in den Vordergrund der Beachtung. Besonders
die verdienstvollen Untersuchungen von Eugen Fischer haben die Kenntnisse
bestätigt und erweitert, die zuvor an Nachkommen gleichrassiger, aber individuell
stark verschiedener Ehegatten gewonnen waren. Die Auffassung der Haarform
wurde bereits als Beispiel verwandt (S. 250). Wie sie, so gehorcht auch die
Haarfarbe der Mendel-Regel in befriedigender Übereinstimmung mit der Theorie.
Die Grundlage der Färbung bilden zwei Farbstoffe, ein fein verteilter rot¬
gelber und ein körniger brauner. Die mannigfachen Zwischenformen, die sich
im einzelnen doch stets auf eine nicht allzugroße Zahl ganz bestimmter Ab¬
tönungen zurückführen lassen, deutet Plate durch Annahme mehrerer Steigerungs¬
erbeinheiten, deren Zusammenwirken die einzelnen Abstufungen erzeuge. Blond
scheint rezessiv, bedingt durch Fehlen von dunkelfärbenden Gener zu sein.


Vererbung beim Menschen

vom Individuum vererbbar ist. Auch hier brauchen keineswegs die Über-
und Unterordnung so natürlich durchsichtig zu sein, wie im angeführten Falle.

Endlich gehört in diese Reihe der inneren Ordnung der Erbeinheiten das
Verhalten von Gener, deren Leistungen in Veränderung oder Umstimmung anderer
Erbstücke besteht, in Steigerung und Minderung, Erregung und Hemmung,
qualitativer Umänderung in der einen oder anderen Richtung. Auch sie sind
gewissermaßen in ihrem Wirken angewiesen auf das Vorhandensein der Grund¬
erbstücke als Stoffe für ihre Beeinflussung: deren Dasein bildet die conditio
sine qua non für ihre Eigenwirkung.

Als letzte Abart des Verhältnisses zweier Erbeinheiten darf endlich eine
besondere Art der Steigerung eines Gens durch ein zweites gelten: zu ihrem
Verständnis greift man am besten auf das Beispiel der schon höchst belasteten
Wage zurück. Bewirke bereits eine Erbeinheit Erscheinen eines Merkmales in
nicht steigerungsfähigem Grade, so kann das Dasein einer zweiten in gleicher Richtung
wirkenden Anlage nicht an den Besitzern bemerkt werden. Und doch kann sie sogar
in mehrfacher Anzahl im Erbgute vorhanden sein. Nur an der Verschiebung der
Mendel-Proportion tritt ihr Dasein in Erscheinung: von den sechzehn Nach¬
kommen einer solchen Paarung tragen ja fünfzehn mindestens eines der beiden
Gene, nur einem unter ihnen fehlen beide. Mithin unterscheidet sich nur eines
von ihnen äußerlich von seinen Geschwistern. Alle anderen sind phänotypisch
gleich trotz ihrer genotypischen Verschiedenheit. Gerade das Walten solcher
mehrfachen Erbeinheiten, die gleichsinnig gerichtet sind, ist für die Auffassung
menschlicher Erbvorgänge z. B. bei der Vererbung der Mulattenfarbe wichtig
geworden.

Mit Hilfe dieser Arbeitsmethoden hat sich bereits eine große Anzahl erb¬
licher Eigentümlichkeiten beim Menschen in ihrem Erbgange verfolgen lassen.

Im Tier- und Pflanzenreich sind es wesentlich die Nassenmischlinge gewesen,
die geradezu den idealen Arbeitsstoff für die Entdeckung und den Ausbau der
Erblehre geliefert haben. Weit seltener untersuchte man Abweichungen von mehr
individuellem Werte. Beim Menschen treten erst in der letzten Zeit die Er¬
gebnisse von Rassekreuzungen in den Vordergrund der Beachtung. Besonders
die verdienstvollen Untersuchungen von Eugen Fischer haben die Kenntnisse
bestätigt und erweitert, die zuvor an Nachkommen gleichrassiger, aber individuell
stark verschiedener Ehegatten gewonnen waren. Die Auffassung der Haarform
wurde bereits als Beispiel verwandt (S. 250). Wie sie, so gehorcht auch die
Haarfarbe der Mendel-Regel in befriedigender Übereinstimmung mit der Theorie.
Die Grundlage der Färbung bilden zwei Farbstoffe, ein fein verteilter rot¬
gelber und ein körniger brauner. Die mannigfachen Zwischenformen, die sich
im einzelnen doch stets auf eine nicht allzugroße Zahl ganz bestimmter Ab¬
tönungen zurückführen lassen, deutet Plate durch Annahme mehrerer Steigerungs¬
erbeinheiten, deren Zusammenwirken die einzelnen Abstufungen erzeuge. Blond
scheint rezessiv, bedingt durch Fehlen von dunkelfärbenden Gener zu sein.


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[0309] Vererbung beim Menschen vom Individuum vererbbar ist. Auch hier brauchen keineswegs die Über- und Unterordnung so natürlich durchsichtig zu sein, wie im angeführten Falle. Endlich gehört in diese Reihe der inneren Ordnung der Erbeinheiten das Verhalten von Gener, deren Leistungen in Veränderung oder Umstimmung anderer Erbstücke besteht, in Steigerung und Minderung, Erregung und Hemmung, qualitativer Umänderung in der einen oder anderen Richtung. Auch sie sind gewissermaßen in ihrem Wirken angewiesen auf das Vorhandensein der Grund¬ erbstücke als Stoffe für ihre Beeinflussung: deren Dasein bildet die conditio sine qua non für ihre Eigenwirkung. Als letzte Abart des Verhältnisses zweier Erbeinheiten darf endlich eine besondere Art der Steigerung eines Gens durch ein zweites gelten: zu ihrem Verständnis greift man am besten auf das Beispiel der schon höchst belasteten Wage zurück. Bewirke bereits eine Erbeinheit Erscheinen eines Merkmales in nicht steigerungsfähigem Grade, so kann das Dasein einer zweiten in gleicher Richtung wirkenden Anlage nicht an den Besitzern bemerkt werden. Und doch kann sie sogar in mehrfacher Anzahl im Erbgute vorhanden sein. Nur an der Verschiebung der Mendel-Proportion tritt ihr Dasein in Erscheinung: von den sechzehn Nach¬ kommen einer solchen Paarung tragen ja fünfzehn mindestens eines der beiden Gene, nur einem unter ihnen fehlen beide. Mithin unterscheidet sich nur eines von ihnen äußerlich von seinen Geschwistern. Alle anderen sind phänotypisch gleich trotz ihrer genotypischen Verschiedenheit. Gerade das Walten solcher mehrfachen Erbeinheiten, die gleichsinnig gerichtet sind, ist für die Auffassung menschlicher Erbvorgänge z. B. bei der Vererbung der Mulattenfarbe wichtig geworden. Mit Hilfe dieser Arbeitsmethoden hat sich bereits eine große Anzahl erb¬ licher Eigentümlichkeiten beim Menschen in ihrem Erbgange verfolgen lassen. Im Tier- und Pflanzenreich sind es wesentlich die Nassenmischlinge gewesen, die geradezu den idealen Arbeitsstoff für die Entdeckung und den Ausbau der Erblehre geliefert haben. Weit seltener untersuchte man Abweichungen von mehr individuellem Werte. Beim Menschen treten erst in der letzten Zeit die Er¬ gebnisse von Rassekreuzungen in den Vordergrund der Beachtung. Besonders die verdienstvollen Untersuchungen von Eugen Fischer haben die Kenntnisse bestätigt und erweitert, die zuvor an Nachkommen gleichrassiger, aber individuell stark verschiedener Ehegatten gewonnen waren. Die Auffassung der Haarform wurde bereits als Beispiel verwandt (S. 250). Wie sie, so gehorcht auch die Haarfarbe der Mendel-Regel in befriedigender Übereinstimmung mit der Theorie. Die Grundlage der Färbung bilden zwei Farbstoffe, ein fein verteilter rot¬ gelber und ein körniger brauner. Die mannigfachen Zwischenformen, die sich im einzelnen doch stets auf eine nicht allzugroße Zahl ganz bestimmter Ab¬ tönungen zurückführen lassen, deutet Plate durch Annahme mehrerer Steigerungs¬ erbeinheiten, deren Zusammenwirken die einzelnen Abstufungen erzeuge. Blond scheint rezessiv, bedingt durch Fehlen von dunkelfärbenden Gener zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/309>, abgerufen am 25.07.2024.