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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Line sterbende Kunst

der Schilderung in Handlung, das finden wir genau wieder in der Technik
der Primitiven.

Eine weitere Notwendigkeit für den Erzähler ist es, der Erzählung den
Anschein des Willkürlichen, Einmaligen. spontanen zu nehmen. Das echte
volkstümliche Märchen ist alles andere als eine Improvisation, es geht vielmehr
durchaus auf Festigkeit der Form aus und ist bei aller scheinbaren Kunstlosigkeit
doch besser in sich geschlossen als beispielsweise die Kunstmärchen der Romantiker.
Diese Festigkeit wird erreicht durch sorgfältige Vorbereitung, Aneinanderreihung
und Wiederholung. Da sucht etwa Hans den Vogel Ferns (Phönix) und fragt
eine alte Frau, wo er ihn finden kann. Nun wird der Bescheid nicht geradezu
erteilt, sondern in zwei Stationen, und so, daß wir den Weg, den der Held
geht, deutlich verfolgen können. "Geh nur in die Stadt", antwortet die Alte.
Und nun wird angeknüpft. "Und dann geh so weit, bis du vor das alte
Schloß kommst." Wieder wird verknüpft: "Vor dem Schloß steht eine Schild¬
wache, die frage nur aus. Die kann dir näher Bescheid sagen." Nun die
zweite Station: "Als Hans vor das Schloß kommt, ja, sagt die Schildwache.
der Vogel Ferns ist hier..... Erst kommst du in eine Stube, da steht ein
Esel. Und in der zweiten Stube steht ein Tisch, da liegt ein Brot drauf und
ein Schwert. Und in der dritten Stube steht ein Bett. Da liegt eine Prinzessin
drin, die ist verwünscht und schläft, sie schläft schon tausend Jahr. Und da in
der dritten Stube, da ist auch der Vogel Ferns. Der sitzt in einem Bauer,
und das Bauer hängt unter der Decke." -- Man beachte das stetige Vorwärts¬
schreiten und die große Klarheit der Schilderung, die bis in die Wortstellung
hinein fühlbar wird, zugleich bemerke man, wie das Überraschende (die schlafende
Prinzessin) vorbereitet wird, und wie die Erzählung so vieler anscheinend neben¬
sächlicher Dinge die Erwartung aufs höchste spannt. Aber dieser Weg muß
noch besser eingeprägt werden. Deshalb wird, wenn Hans nun ins Schloß
kommt, alles noch einmal erzählt. Mit Recht sind diese Wiederholungen meistens
wörtlich und formelhaft gehalten, sie dienen dazu, einen Vorgang in mehrere
anschauliche Stücke zu zerlegen und einzuprägen, oft ist die Wiederholung ein
Mittel, den Schlnßeffekt spannend hinauszuschieben. Bewundernswert ist auch,
wie alle Dinge und Vorgänge auf die einfachste, aber anschaulichste Art be¬
handelt werden: die Dinge nie ruhend, sondern wirkend, die Vorgänge stets als
lebhaft Geschehendes. Dazu die treffende Charakteristik der Personen durch Keine
gesprochene Sätze, die mit der Erzählung, wo es nötig ist, durch jenen echt
volkstümlichen unvermittelter Übergang aus direkter in indirekte Rede aufs
engste verwoben werden und dem ruhigen Erzählerton einen frischeren Einsatz
erlauben.

Diese notgedrungen kurzen Hinweise, die sich leicht vervollständigen ließen,
werden doch genügen, um dem Leser begreiflich zu machen, daß wir es
hier nicht mit irgend etwas Vagen. Volkskunst genannt, zu tun haben,
mit etwas ungeschlacht Primitiven, das lediglich durch seine Frische


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der Schilderung in Handlung, das finden wir genau wieder in der Technik
der Primitiven.

Eine weitere Notwendigkeit für den Erzähler ist es, der Erzählung den
Anschein des Willkürlichen, Einmaligen. spontanen zu nehmen. Das echte
volkstümliche Märchen ist alles andere als eine Improvisation, es geht vielmehr
durchaus auf Festigkeit der Form aus und ist bei aller scheinbaren Kunstlosigkeit
doch besser in sich geschlossen als beispielsweise die Kunstmärchen der Romantiker.
Diese Festigkeit wird erreicht durch sorgfältige Vorbereitung, Aneinanderreihung
und Wiederholung. Da sucht etwa Hans den Vogel Ferns (Phönix) und fragt
eine alte Frau, wo er ihn finden kann. Nun wird der Bescheid nicht geradezu
erteilt, sondern in zwei Stationen, und so, daß wir den Weg, den der Held
geht, deutlich verfolgen können. „Geh nur in die Stadt", antwortet die Alte.
Und nun wird angeknüpft. „Und dann geh so weit, bis du vor das alte
Schloß kommst." Wieder wird verknüpft: „Vor dem Schloß steht eine Schild¬
wache, die frage nur aus. Die kann dir näher Bescheid sagen." Nun die
zweite Station: „Als Hans vor das Schloß kommt, ja, sagt die Schildwache.
der Vogel Ferns ist hier..... Erst kommst du in eine Stube, da steht ein
Esel. Und in der zweiten Stube steht ein Tisch, da liegt ein Brot drauf und
ein Schwert. Und in der dritten Stube steht ein Bett. Da liegt eine Prinzessin
drin, die ist verwünscht und schläft, sie schläft schon tausend Jahr. Und da in
der dritten Stube, da ist auch der Vogel Ferns. Der sitzt in einem Bauer,
und das Bauer hängt unter der Decke." — Man beachte das stetige Vorwärts¬
schreiten und die große Klarheit der Schilderung, die bis in die Wortstellung
hinein fühlbar wird, zugleich bemerke man, wie das Überraschende (die schlafende
Prinzessin) vorbereitet wird, und wie die Erzählung so vieler anscheinend neben¬
sächlicher Dinge die Erwartung aufs höchste spannt. Aber dieser Weg muß
noch besser eingeprägt werden. Deshalb wird, wenn Hans nun ins Schloß
kommt, alles noch einmal erzählt. Mit Recht sind diese Wiederholungen meistens
wörtlich und formelhaft gehalten, sie dienen dazu, einen Vorgang in mehrere
anschauliche Stücke zu zerlegen und einzuprägen, oft ist die Wiederholung ein
Mittel, den Schlnßeffekt spannend hinauszuschieben. Bewundernswert ist auch,
wie alle Dinge und Vorgänge auf die einfachste, aber anschaulichste Art be¬
handelt werden: die Dinge nie ruhend, sondern wirkend, die Vorgänge stets als
lebhaft Geschehendes. Dazu die treffende Charakteristik der Personen durch Keine
gesprochene Sätze, die mit der Erzählung, wo es nötig ist, durch jenen echt
volkstümlichen unvermittelter Übergang aus direkter in indirekte Rede aufs
engste verwoben werden und dem ruhigen Erzählerton einen frischeren Einsatz
erlauben.

Diese notgedrungen kurzen Hinweise, die sich leicht vervollständigen ließen,
werden doch genügen, um dem Leser begreiflich zu machen, daß wir es
hier nicht mit irgend etwas Vagen. Volkskunst genannt, zu tun haben,
mit etwas ungeschlacht Primitiven, das lediglich durch seine Frische


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[0295] Line sterbende Kunst der Schilderung in Handlung, das finden wir genau wieder in der Technik der Primitiven. Eine weitere Notwendigkeit für den Erzähler ist es, der Erzählung den Anschein des Willkürlichen, Einmaligen. spontanen zu nehmen. Das echte volkstümliche Märchen ist alles andere als eine Improvisation, es geht vielmehr durchaus auf Festigkeit der Form aus und ist bei aller scheinbaren Kunstlosigkeit doch besser in sich geschlossen als beispielsweise die Kunstmärchen der Romantiker. Diese Festigkeit wird erreicht durch sorgfältige Vorbereitung, Aneinanderreihung und Wiederholung. Da sucht etwa Hans den Vogel Ferns (Phönix) und fragt eine alte Frau, wo er ihn finden kann. Nun wird der Bescheid nicht geradezu erteilt, sondern in zwei Stationen, und so, daß wir den Weg, den der Held geht, deutlich verfolgen können. „Geh nur in die Stadt", antwortet die Alte. Und nun wird angeknüpft. „Und dann geh so weit, bis du vor das alte Schloß kommst." Wieder wird verknüpft: „Vor dem Schloß steht eine Schild¬ wache, die frage nur aus. Die kann dir näher Bescheid sagen." Nun die zweite Station: „Als Hans vor das Schloß kommt, ja, sagt die Schildwache. der Vogel Ferns ist hier..... Erst kommst du in eine Stube, da steht ein Esel. Und in der zweiten Stube steht ein Tisch, da liegt ein Brot drauf und ein Schwert. Und in der dritten Stube steht ein Bett. Da liegt eine Prinzessin drin, die ist verwünscht und schläft, sie schläft schon tausend Jahr. Und da in der dritten Stube, da ist auch der Vogel Ferns. Der sitzt in einem Bauer, und das Bauer hängt unter der Decke." — Man beachte das stetige Vorwärts¬ schreiten und die große Klarheit der Schilderung, die bis in die Wortstellung hinein fühlbar wird, zugleich bemerke man, wie das Überraschende (die schlafende Prinzessin) vorbereitet wird, und wie die Erzählung so vieler anscheinend neben¬ sächlicher Dinge die Erwartung aufs höchste spannt. Aber dieser Weg muß noch besser eingeprägt werden. Deshalb wird, wenn Hans nun ins Schloß kommt, alles noch einmal erzählt. Mit Recht sind diese Wiederholungen meistens wörtlich und formelhaft gehalten, sie dienen dazu, einen Vorgang in mehrere anschauliche Stücke zu zerlegen und einzuprägen, oft ist die Wiederholung ein Mittel, den Schlnßeffekt spannend hinauszuschieben. Bewundernswert ist auch, wie alle Dinge und Vorgänge auf die einfachste, aber anschaulichste Art be¬ handelt werden: die Dinge nie ruhend, sondern wirkend, die Vorgänge stets als lebhaft Geschehendes. Dazu die treffende Charakteristik der Personen durch Keine gesprochene Sätze, die mit der Erzählung, wo es nötig ist, durch jenen echt volkstümlichen unvermittelter Übergang aus direkter in indirekte Rede aufs engste verwoben werden und dem ruhigen Erzählerton einen frischeren Einsatz erlauben. Diese notgedrungen kurzen Hinweise, die sich leicht vervollständigen ließen, werden doch genügen, um dem Leser begreiflich zu machen, daß wir es hier nicht mit irgend etwas Vagen. Volkskunst genannt, zu tun haben, mit etwas ungeschlacht Primitiven, das lediglich durch seine Frische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/295>, abgerufen am 21.06.2024.