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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Line sterbende Kunst

ergötzt, sondern mit einer klar ausgeprägten Kunst, von der zu wünschen
wäre, daß sie unsere Schriftsteller, soweit sie wirklich volkstümlich schreiben
wollen, auf das nachhaltigste beeinflussen möchte. Denn die heute beliebte,
ursprünglich für ganz andere Kreise berechnete, umständlich breite Schilderung,
ist alles andere als volkstümlich und der gegenwärtig überall eindringende Lyrismus
derTod aller Erzählerkunst, die wir doch auf die Dauer nicht werden entbehren wollen
und unter keinen Umständen entbehren können, wenn wir das Volk wirksam zur
Kunst erziehen wollen, sind doch die Werke unserer meisten volkstümlichen Schrift¬
steller nur solchen zugänglich, die bereits Bücher lesen können, die literarischen
Umgang gewohnt sind. Das gilt auch z. B. für I. H. Fehrs, dessen im
Verlag von A. Janssen, Hamburg, erschienene Werke in vier gut aus¬
gestatteten Bänden vorliegen. Da haben wir den typischen Volksschriftsteller
unserer Tage. Anspruchslos, schlicht, mit weichem Gemüt; der Stoffkreis: Er¬
eignisse aus dem Dorf oder der kleinen Stadt. Und ich kann mir sehr wohl
denken, daß dieser Dichter, den man übrigens mit Unrecht Reuter oder Brinck-
mann als ebenbürtig an die Seite stellen will, an traulichen Abenden im Familien¬
kreise vorgelesen, recht liebenswürdige Wirkungen hinterlassen wird. Aber ins
Volk eindringen, wirklich lebendig werden wird er nicht, weil er eben kein Er¬
zähler ist, sondern ein Literat, der literarische Stoffe, ohne daß ein zwingender
innerer Grund dafür vorhanden wäre, in unliterarischer, nämlich plattdeutscher
Sprache behandelt und einfachen Leuten Gedanken unterlegt, nach deren Inhalt
sie vielleicht unbewußt handeln, die sie jedoch so niemals äußern werden. Alles
recht poetisch, hier und da mit einer Feinheit, die an Storm erinnert, aber
alles andere als volkstümlich. Das Volk verlangt eine einfache Handlung in
einfacher klarer Darstellung ohne Sentiment, es setzt eine richtige Psychologie
voraus, will nicht alles umständlich vor sich ausgebreitet sehen. Die wahre
Volkskunst wird nicht aus der Anpassung von oben herunter geboren, sondern
von unten herauf, nicht für das Volk, sondern aus dem Volk, und nur die
Wiederbelebung der aussterbenden Erzählerkuust kann zu ihrer Ausbildung
helfen.




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ergötzt, sondern mit einer klar ausgeprägten Kunst, von der zu wünschen
wäre, daß sie unsere Schriftsteller, soweit sie wirklich volkstümlich schreiben
wollen, auf das nachhaltigste beeinflussen möchte. Denn die heute beliebte,
ursprünglich für ganz andere Kreise berechnete, umständlich breite Schilderung,
ist alles andere als volkstümlich und der gegenwärtig überall eindringende Lyrismus
derTod aller Erzählerkunst, die wir doch auf die Dauer nicht werden entbehren wollen
und unter keinen Umständen entbehren können, wenn wir das Volk wirksam zur
Kunst erziehen wollen, sind doch die Werke unserer meisten volkstümlichen Schrift¬
steller nur solchen zugänglich, die bereits Bücher lesen können, die literarischen
Umgang gewohnt sind. Das gilt auch z. B. für I. H. Fehrs, dessen im
Verlag von A. Janssen, Hamburg, erschienene Werke in vier gut aus¬
gestatteten Bänden vorliegen. Da haben wir den typischen Volksschriftsteller
unserer Tage. Anspruchslos, schlicht, mit weichem Gemüt; der Stoffkreis: Er¬
eignisse aus dem Dorf oder der kleinen Stadt. Und ich kann mir sehr wohl
denken, daß dieser Dichter, den man übrigens mit Unrecht Reuter oder Brinck-
mann als ebenbürtig an die Seite stellen will, an traulichen Abenden im Familien¬
kreise vorgelesen, recht liebenswürdige Wirkungen hinterlassen wird. Aber ins
Volk eindringen, wirklich lebendig werden wird er nicht, weil er eben kein Er¬
zähler ist, sondern ein Literat, der literarische Stoffe, ohne daß ein zwingender
innerer Grund dafür vorhanden wäre, in unliterarischer, nämlich plattdeutscher
Sprache behandelt und einfachen Leuten Gedanken unterlegt, nach deren Inhalt
sie vielleicht unbewußt handeln, die sie jedoch so niemals äußern werden. Alles
recht poetisch, hier und da mit einer Feinheit, die an Storm erinnert, aber
alles andere als volkstümlich. Das Volk verlangt eine einfache Handlung in
einfacher klarer Darstellung ohne Sentiment, es setzt eine richtige Psychologie
voraus, will nicht alles umständlich vor sich ausgebreitet sehen. Die wahre
Volkskunst wird nicht aus der Anpassung von oben herunter geboren, sondern
von unten herauf, nicht für das Volk, sondern aus dem Volk, und nur die
Wiederbelebung der aussterbenden Erzählerkuust kann zu ihrer Ausbildung
helfen.




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[0296] Line sterbende Kunst ergötzt, sondern mit einer klar ausgeprägten Kunst, von der zu wünschen wäre, daß sie unsere Schriftsteller, soweit sie wirklich volkstümlich schreiben wollen, auf das nachhaltigste beeinflussen möchte. Denn die heute beliebte, ursprünglich für ganz andere Kreise berechnete, umständlich breite Schilderung, ist alles andere als volkstümlich und der gegenwärtig überall eindringende Lyrismus derTod aller Erzählerkunst, die wir doch auf die Dauer nicht werden entbehren wollen und unter keinen Umständen entbehren können, wenn wir das Volk wirksam zur Kunst erziehen wollen, sind doch die Werke unserer meisten volkstümlichen Schrift¬ steller nur solchen zugänglich, die bereits Bücher lesen können, die literarischen Umgang gewohnt sind. Das gilt auch z. B. für I. H. Fehrs, dessen im Verlag von A. Janssen, Hamburg, erschienene Werke in vier gut aus¬ gestatteten Bänden vorliegen. Da haben wir den typischen Volksschriftsteller unserer Tage. Anspruchslos, schlicht, mit weichem Gemüt; der Stoffkreis: Er¬ eignisse aus dem Dorf oder der kleinen Stadt. Und ich kann mir sehr wohl denken, daß dieser Dichter, den man übrigens mit Unrecht Reuter oder Brinck- mann als ebenbürtig an die Seite stellen will, an traulichen Abenden im Familien¬ kreise vorgelesen, recht liebenswürdige Wirkungen hinterlassen wird. Aber ins Volk eindringen, wirklich lebendig werden wird er nicht, weil er eben kein Er¬ zähler ist, sondern ein Literat, der literarische Stoffe, ohne daß ein zwingender innerer Grund dafür vorhanden wäre, in unliterarischer, nämlich plattdeutscher Sprache behandelt und einfachen Leuten Gedanken unterlegt, nach deren Inhalt sie vielleicht unbewußt handeln, die sie jedoch so niemals äußern werden. Alles recht poetisch, hier und da mit einer Feinheit, die an Storm erinnert, aber alles andere als volkstümlich. Das Volk verlangt eine einfache Handlung in einfacher klarer Darstellung ohne Sentiment, es setzt eine richtige Psychologie voraus, will nicht alles umständlich vor sich ausgebreitet sehen. Die wahre Volkskunst wird nicht aus der Anpassung von oben herunter geboren, sondern von unten herauf, nicht für das Volk, sondern aus dem Volk, und nur die Wiederbelebung der aussterbenden Erzählerkuust kann zu ihrer Ausbildung helfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/296>, abgerufen am 21.06.2024.