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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Kardinal Aopps Bedeutung

Bestimmungen der Maigesetzgebung von 1873 zum Zweck hatte*). War durch
die Novellen von 1880 bis 1883, die den Anfang mit dem Abbau gemacht
hatten, doch nur das wieder gutzumachen versucht worden, was in der Diözesan-
verwaltung und der Seelsorge durch den Widerstand der Geistlichkeit gegen die
Maigesetze in Zerrüttung geraten war, so enthielt der jetzige Entwurf wirkliche
Konzessionen an die Forderungen der Kirche nach Bewegungsfreiheit: er hob
das Kulturexamen und den kirchlichen Gerichtshof auf und beschränkte in erheb¬
licher Weise den Einfluß des Staates auf die Heranbildung der Geistlichen in
Konvikten und Seminarien. Da die Unterhandlungen des preußischen Gesandten
von Schlözer mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini noch nicht abgeschlossen
waren, so konnte die Regierung für diesen großen Rückzug noch keine Gegen¬
konzessionen aufweisen. Sie versäumte es aber nicht, dem Hause ausdrücklich
zu bemerken, daß von einem Zugeständnis an das Zentrum gar keine Rede sein
könne. Die Gesetzentwürfe waren das vorläufige erste Ergebnis der Verhand¬
lungen mit dem Vatikan, und die Regierung wäre schon früher mit ihrem
Entwürfe hervorgetreten, wenn sie nicht den Schein gefürchtet hätte, als sei sie
durch die Drohungen und Angriffe des Zentrums in Reichstag und Landtag
zu Entschließungen geführt worden, welche sie freiwillig nie gefaßt haben würde.
Bismarck schob also die Schuld an der Verzögerung auf das Zentrum und
verband zugleich mit seinen Konzessionen an die katholische Kirche einen scharfen
Vorstoß gegen Windthorst; das beleuchtet deutlich die ganze Lage!

Die Regierungsvorlage wanderte in die Herrenhauskommission, deren
Sitzungen auch Bischof Kopp beiwohnte"*). Er brachte eine Reihe von Anträgen
ein, welche die Zugeständnisse des Entwurfes noch vermehren sollten; er wollte
die Bestimmung gestrichen haben, daß Seminarlehrer, welche dem Staate "minder
genehm" waren, nicht angestellt werden konnten, er wollte die Berufung an den
Staat gegen kirchliche Entscheidungen aufgehoben wissen, und die Beschränkung
der Amtshandlungen nicht rechtsgültig angestellter Priester auf die Notfalle
wollte er ebenfalls streichen. Lange debattierte die Kommission über diese An¬
träge; sie forderte Gegenkonzessionen der Kurie, und die Regierung, welche auf
solche sicher gerechnet hatte, verlangte jetzt in Rom endgültige Gewährung der
Anzeigepflicht bei Besetzung erledigter Pfarrstellen, worüber man seit langem
unterhandelte. Bischof Kopp erklärte in der Kommissionssitzung des 10. März,
daß er nicht in der Lage sei, die Bereitwilligkeit des Papstes zur Erfüllung der
Anzeigepflicht in Aussicht zu stellen; denn Jacobini wollte der Anzeigepflicht nur
für die Besetzung der damals erledigten Pfarreien nachkommen. Das konnte
weder der Regierung noch der Majorität des Herrenhauses genügen, und so
lehnte diese mit dreizehn gegen fünf Stimmen die Koppschen Anträge ab. Bischof




") Zur ersten Orientierung vgl. A, Böhtlingk, "Bismarck und das päpstliche Rom"'
Berlin 1911, S. 403 ff.; ich habe meine Stellung zu dem Buche in der Deutschen
Literaturzeitung 1912, Ur. 18, dargelegt.
*") Schultheß-Delbrück, Europäischer Geschichtskalender 1886. S, 59/61, 78/80.
Kardinal Aopps Bedeutung

Bestimmungen der Maigesetzgebung von 1873 zum Zweck hatte*). War durch
die Novellen von 1880 bis 1883, die den Anfang mit dem Abbau gemacht
hatten, doch nur das wieder gutzumachen versucht worden, was in der Diözesan-
verwaltung und der Seelsorge durch den Widerstand der Geistlichkeit gegen die
Maigesetze in Zerrüttung geraten war, so enthielt der jetzige Entwurf wirkliche
Konzessionen an die Forderungen der Kirche nach Bewegungsfreiheit: er hob
das Kulturexamen und den kirchlichen Gerichtshof auf und beschränkte in erheb¬
licher Weise den Einfluß des Staates auf die Heranbildung der Geistlichen in
Konvikten und Seminarien. Da die Unterhandlungen des preußischen Gesandten
von Schlözer mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini noch nicht abgeschlossen
waren, so konnte die Regierung für diesen großen Rückzug noch keine Gegen¬
konzessionen aufweisen. Sie versäumte es aber nicht, dem Hause ausdrücklich
zu bemerken, daß von einem Zugeständnis an das Zentrum gar keine Rede sein
könne. Die Gesetzentwürfe waren das vorläufige erste Ergebnis der Verhand¬
lungen mit dem Vatikan, und die Regierung wäre schon früher mit ihrem
Entwürfe hervorgetreten, wenn sie nicht den Schein gefürchtet hätte, als sei sie
durch die Drohungen und Angriffe des Zentrums in Reichstag und Landtag
zu Entschließungen geführt worden, welche sie freiwillig nie gefaßt haben würde.
Bismarck schob also die Schuld an der Verzögerung auf das Zentrum und
verband zugleich mit seinen Konzessionen an die katholische Kirche einen scharfen
Vorstoß gegen Windthorst; das beleuchtet deutlich die ganze Lage!

Die Regierungsvorlage wanderte in die Herrenhauskommission, deren
Sitzungen auch Bischof Kopp beiwohnte"*). Er brachte eine Reihe von Anträgen
ein, welche die Zugeständnisse des Entwurfes noch vermehren sollten; er wollte
die Bestimmung gestrichen haben, daß Seminarlehrer, welche dem Staate „minder
genehm" waren, nicht angestellt werden konnten, er wollte die Berufung an den
Staat gegen kirchliche Entscheidungen aufgehoben wissen, und die Beschränkung
der Amtshandlungen nicht rechtsgültig angestellter Priester auf die Notfalle
wollte er ebenfalls streichen. Lange debattierte die Kommission über diese An¬
träge; sie forderte Gegenkonzessionen der Kurie, und die Regierung, welche auf
solche sicher gerechnet hatte, verlangte jetzt in Rom endgültige Gewährung der
Anzeigepflicht bei Besetzung erledigter Pfarrstellen, worüber man seit langem
unterhandelte. Bischof Kopp erklärte in der Kommissionssitzung des 10. März,
daß er nicht in der Lage sei, die Bereitwilligkeit des Papstes zur Erfüllung der
Anzeigepflicht in Aussicht zu stellen; denn Jacobini wollte der Anzeigepflicht nur
für die Besetzung der damals erledigten Pfarreien nachkommen. Das konnte
weder der Regierung noch der Majorität des Herrenhauses genügen, und so
lehnte diese mit dreizehn gegen fünf Stimmen die Koppschen Anträge ab. Bischof




") Zur ersten Orientierung vgl. A, Böhtlingk, „Bismarck und das päpstliche Rom"'
Berlin 1911, S. 403 ff.; ich habe meine Stellung zu dem Buche in der Deutschen
Literaturzeitung 1912, Ur. 18, dargelegt.
*") Schultheß-Delbrück, Europäischer Geschichtskalender 1886. S, 59/61, 78/80.
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[0278] Kardinal Aopps Bedeutung Bestimmungen der Maigesetzgebung von 1873 zum Zweck hatte*). War durch die Novellen von 1880 bis 1883, die den Anfang mit dem Abbau gemacht hatten, doch nur das wieder gutzumachen versucht worden, was in der Diözesan- verwaltung und der Seelsorge durch den Widerstand der Geistlichkeit gegen die Maigesetze in Zerrüttung geraten war, so enthielt der jetzige Entwurf wirkliche Konzessionen an die Forderungen der Kirche nach Bewegungsfreiheit: er hob das Kulturexamen und den kirchlichen Gerichtshof auf und beschränkte in erheb¬ licher Weise den Einfluß des Staates auf die Heranbildung der Geistlichen in Konvikten und Seminarien. Da die Unterhandlungen des preußischen Gesandten von Schlözer mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini noch nicht abgeschlossen waren, so konnte die Regierung für diesen großen Rückzug noch keine Gegen¬ konzessionen aufweisen. Sie versäumte es aber nicht, dem Hause ausdrücklich zu bemerken, daß von einem Zugeständnis an das Zentrum gar keine Rede sein könne. Die Gesetzentwürfe waren das vorläufige erste Ergebnis der Verhand¬ lungen mit dem Vatikan, und die Regierung wäre schon früher mit ihrem Entwürfe hervorgetreten, wenn sie nicht den Schein gefürchtet hätte, als sei sie durch die Drohungen und Angriffe des Zentrums in Reichstag und Landtag zu Entschließungen geführt worden, welche sie freiwillig nie gefaßt haben würde. Bismarck schob also die Schuld an der Verzögerung auf das Zentrum und verband zugleich mit seinen Konzessionen an die katholische Kirche einen scharfen Vorstoß gegen Windthorst; das beleuchtet deutlich die ganze Lage! Die Regierungsvorlage wanderte in die Herrenhauskommission, deren Sitzungen auch Bischof Kopp beiwohnte"*). Er brachte eine Reihe von Anträgen ein, welche die Zugeständnisse des Entwurfes noch vermehren sollten; er wollte die Bestimmung gestrichen haben, daß Seminarlehrer, welche dem Staate „minder genehm" waren, nicht angestellt werden konnten, er wollte die Berufung an den Staat gegen kirchliche Entscheidungen aufgehoben wissen, und die Beschränkung der Amtshandlungen nicht rechtsgültig angestellter Priester auf die Notfalle wollte er ebenfalls streichen. Lange debattierte die Kommission über diese An¬ träge; sie forderte Gegenkonzessionen der Kurie, und die Regierung, welche auf solche sicher gerechnet hatte, verlangte jetzt in Rom endgültige Gewährung der Anzeigepflicht bei Besetzung erledigter Pfarrstellen, worüber man seit langem unterhandelte. Bischof Kopp erklärte in der Kommissionssitzung des 10. März, daß er nicht in der Lage sei, die Bereitwilligkeit des Papstes zur Erfüllung der Anzeigepflicht in Aussicht zu stellen; denn Jacobini wollte der Anzeigepflicht nur für die Besetzung der damals erledigten Pfarreien nachkommen. Das konnte weder der Regierung noch der Majorität des Herrenhauses genügen, und so lehnte diese mit dreizehn gegen fünf Stimmen die Koppschen Anträge ab. Bischof ") Zur ersten Orientierung vgl. A, Böhtlingk, „Bismarck und das päpstliche Rom"' Berlin 1911, S. 403 ff.; ich habe meine Stellung zu dem Buche in der Deutschen Literaturzeitung 1912, Ur. 18, dargelegt. *") Schultheß-Delbrück, Europäischer Geschichtskalender 1886. S, 59/61, 78/80.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/278>, abgerufen am 21.06.2024.