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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Kardinal Aopps Bedeutung

mit daran saß. Man muß sich dieses Hauptproblem des ganzen Zentrums¬
daseins immer wieder klar machen; denn daß neben den parlamentarischen
Verhandlungen zwischen Regierung und Zentrum noch die diplomatische zwischen
Regierung und Kurie herläuft und daß die letzte das entscheidende Wort spricht,
erklärt vieles und ist von besonderer Wichtigkeit auch bei der Koppschen Aktion
gewesen. Das Zentrum blieb nach wie vor für die Kurie unentbehrlich in
diesen Unterhandlungen als ein Machtfaktor, den sie zu ihren Gunsten jederzeit
in die Wagschale werfen konnte; aber die Entscheidung lag von dem Augenblick
an, wo die Unterhandlungen begannen, nicht mehr bei ihm. Es wurde vor
vollendete Tatsachen gestellt, vor Gesetzesvorlagen, wie sie vom Vatikan, Mini¬
sterium und Herrenhaus mühsam zurechtgezimmert worden waren, und mußte sie
schließlich annehmen, ganz gleich, ob es innerlich zustimmte oder lieber den
Kampf weiter fortgesetzt hätte. Wider seinen Willen und nicht ohne Kämpfe
ward der politische Katholizismus Deutschlands, der sich im Zentrum das Organ
seiner Äußerung geschaffen hatte, von Kopp in die Bahn eines friedlichen Ver¬
hältnisses von Staat und Kirche gezwungen.

Die ersten Etappen des großen Unternehmens sind in tiefes Dunkel gehüllt
und werden, wenn überhaupt jemals, so erst dann deutlich zu verfolgen sein,
wenn einmal die vatikanischen Archive über diese Jahre geöffnet sind -- d. h.,
nach dem heutigen Tempo berechnet, nach Jahrhunderten. Tatsache ist jedenfalls
das: gerade in dem Augenblick, wo die diplomatischen Vorverhandlungen be¬
endigt waren und man, noch ohne gegenseitig völlig miteinander ins reine
gekommen zu sein, doch an die gesetzgeberische Ausarbeitung des Versöhnungs¬
werkes herantreten wollte, wurde Bischof Kopp von Fulda zum Mitglied des
preußischen Herrenhauses ernannt. Diese Berufung war etwas in der Geschichte
des preußischen Staates ganz Ungewöhnliches. Unter anderen Umständen
und Zeitverhältnissen hätte man sie als große Konzession an das Zentrum an¬
sehen müssen; von Bismarck jedoch war sie eher als Schachzug gegen das
Zentrum gedacht. Er berief den Bischof der kleinen Diözese, weil dieser allein
öffentlich für eine Versöhnung gearbeitet hatte, und weil er durch seine sichere
Mitwirkung an den bevorstehenden Gesetzesberatungen im Herrenhaus die An-
erkennung des endgültigen Ausgleichs beim katholischen Volke verbürgen konnte.
Von seiner erprobten Klugheit konnte man erwarten, daß er niemals die
Grenzen überschreiten werde, an denen, wie ihm bekannt war, jede Versöhnung
scheitern mußte, und daß er daher mindestens an diesen Grenzen stets Halt
machen werde mit seinem Bestreben, im Sinne der Kurie mehr zu erlangen,
als was die Regierung vorerst einmal der Volksrevräsentation als Ergebnis
ihrer Ausgleichsverhandlungen vorzuschlagen wagte. Zu weiteren Zugeständnissen
innerhalb dieser Grenzen sollte die Regierung dann schon zu haben sein.

Mitte Januar 1886 war die Ernennung erfolgt. Bald darauf, schon am
14. Februar, ging dem Herrenhaus -- und nicht zuerst dem Abgeordnetenhaus
-- ein Gesetzentwurf zu. welcher die Aufhebung einer großen Anzahl von


Kardinal Aopps Bedeutung

mit daran saß. Man muß sich dieses Hauptproblem des ganzen Zentrums¬
daseins immer wieder klar machen; denn daß neben den parlamentarischen
Verhandlungen zwischen Regierung und Zentrum noch die diplomatische zwischen
Regierung und Kurie herläuft und daß die letzte das entscheidende Wort spricht,
erklärt vieles und ist von besonderer Wichtigkeit auch bei der Koppschen Aktion
gewesen. Das Zentrum blieb nach wie vor für die Kurie unentbehrlich in
diesen Unterhandlungen als ein Machtfaktor, den sie zu ihren Gunsten jederzeit
in die Wagschale werfen konnte; aber die Entscheidung lag von dem Augenblick
an, wo die Unterhandlungen begannen, nicht mehr bei ihm. Es wurde vor
vollendete Tatsachen gestellt, vor Gesetzesvorlagen, wie sie vom Vatikan, Mini¬
sterium und Herrenhaus mühsam zurechtgezimmert worden waren, und mußte sie
schließlich annehmen, ganz gleich, ob es innerlich zustimmte oder lieber den
Kampf weiter fortgesetzt hätte. Wider seinen Willen und nicht ohne Kämpfe
ward der politische Katholizismus Deutschlands, der sich im Zentrum das Organ
seiner Äußerung geschaffen hatte, von Kopp in die Bahn eines friedlichen Ver¬
hältnisses von Staat und Kirche gezwungen.

Die ersten Etappen des großen Unternehmens sind in tiefes Dunkel gehüllt
und werden, wenn überhaupt jemals, so erst dann deutlich zu verfolgen sein,
wenn einmal die vatikanischen Archive über diese Jahre geöffnet sind — d. h.,
nach dem heutigen Tempo berechnet, nach Jahrhunderten. Tatsache ist jedenfalls
das: gerade in dem Augenblick, wo die diplomatischen Vorverhandlungen be¬
endigt waren und man, noch ohne gegenseitig völlig miteinander ins reine
gekommen zu sein, doch an die gesetzgeberische Ausarbeitung des Versöhnungs¬
werkes herantreten wollte, wurde Bischof Kopp von Fulda zum Mitglied des
preußischen Herrenhauses ernannt. Diese Berufung war etwas in der Geschichte
des preußischen Staates ganz Ungewöhnliches. Unter anderen Umständen
und Zeitverhältnissen hätte man sie als große Konzession an das Zentrum an¬
sehen müssen; von Bismarck jedoch war sie eher als Schachzug gegen das
Zentrum gedacht. Er berief den Bischof der kleinen Diözese, weil dieser allein
öffentlich für eine Versöhnung gearbeitet hatte, und weil er durch seine sichere
Mitwirkung an den bevorstehenden Gesetzesberatungen im Herrenhaus die An-
erkennung des endgültigen Ausgleichs beim katholischen Volke verbürgen konnte.
Von seiner erprobten Klugheit konnte man erwarten, daß er niemals die
Grenzen überschreiten werde, an denen, wie ihm bekannt war, jede Versöhnung
scheitern mußte, und daß er daher mindestens an diesen Grenzen stets Halt
machen werde mit seinem Bestreben, im Sinne der Kurie mehr zu erlangen,
als was die Regierung vorerst einmal der Volksrevräsentation als Ergebnis
ihrer Ausgleichsverhandlungen vorzuschlagen wagte. Zu weiteren Zugeständnissen
innerhalb dieser Grenzen sollte die Regierung dann schon zu haben sein.

Mitte Januar 1886 war die Ernennung erfolgt. Bald darauf, schon am
14. Februar, ging dem Herrenhaus — und nicht zuerst dem Abgeordnetenhaus
— ein Gesetzentwurf zu. welcher die Aufhebung einer großen Anzahl von


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[0277] Kardinal Aopps Bedeutung mit daran saß. Man muß sich dieses Hauptproblem des ganzen Zentrums¬ daseins immer wieder klar machen; denn daß neben den parlamentarischen Verhandlungen zwischen Regierung und Zentrum noch die diplomatische zwischen Regierung und Kurie herläuft und daß die letzte das entscheidende Wort spricht, erklärt vieles und ist von besonderer Wichtigkeit auch bei der Koppschen Aktion gewesen. Das Zentrum blieb nach wie vor für die Kurie unentbehrlich in diesen Unterhandlungen als ein Machtfaktor, den sie zu ihren Gunsten jederzeit in die Wagschale werfen konnte; aber die Entscheidung lag von dem Augenblick an, wo die Unterhandlungen begannen, nicht mehr bei ihm. Es wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, vor Gesetzesvorlagen, wie sie vom Vatikan, Mini¬ sterium und Herrenhaus mühsam zurechtgezimmert worden waren, und mußte sie schließlich annehmen, ganz gleich, ob es innerlich zustimmte oder lieber den Kampf weiter fortgesetzt hätte. Wider seinen Willen und nicht ohne Kämpfe ward der politische Katholizismus Deutschlands, der sich im Zentrum das Organ seiner Äußerung geschaffen hatte, von Kopp in die Bahn eines friedlichen Ver¬ hältnisses von Staat und Kirche gezwungen. Die ersten Etappen des großen Unternehmens sind in tiefes Dunkel gehüllt und werden, wenn überhaupt jemals, so erst dann deutlich zu verfolgen sein, wenn einmal die vatikanischen Archive über diese Jahre geöffnet sind — d. h., nach dem heutigen Tempo berechnet, nach Jahrhunderten. Tatsache ist jedenfalls das: gerade in dem Augenblick, wo die diplomatischen Vorverhandlungen be¬ endigt waren und man, noch ohne gegenseitig völlig miteinander ins reine gekommen zu sein, doch an die gesetzgeberische Ausarbeitung des Versöhnungs¬ werkes herantreten wollte, wurde Bischof Kopp von Fulda zum Mitglied des preußischen Herrenhauses ernannt. Diese Berufung war etwas in der Geschichte des preußischen Staates ganz Ungewöhnliches. Unter anderen Umständen und Zeitverhältnissen hätte man sie als große Konzession an das Zentrum an¬ sehen müssen; von Bismarck jedoch war sie eher als Schachzug gegen das Zentrum gedacht. Er berief den Bischof der kleinen Diözese, weil dieser allein öffentlich für eine Versöhnung gearbeitet hatte, und weil er durch seine sichere Mitwirkung an den bevorstehenden Gesetzesberatungen im Herrenhaus die An- erkennung des endgültigen Ausgleichs beim katholischen Volke verbürgen konnte. Von seiner erprobten Klugheit konnte man erwarten, daß er niemals die Grenzen überschreiten werde, an denen, wie ihm bekannt war, jede Versöhnung scheitern mußte, und daß er daher mindestens an diesen Grenzen stets Halt machen werde mit seinem Bestreben, im Sinne der Kurie mehr zu erlangen, als was die Regierung vorerst einmal der Volksrevräsentation als Ergebnis ihrer Ausgleichsverhandlungen vorzuschlagen wagte. Zu weiteren Zugeständnissen innerhalb dieser Grenzen sollte die Regierung dann schon zu haben sein. Mitte Januar 1886 war die Ernennung erfolgt. Bald darauf, schon am 14. Februar, ging dem Herrenhaus — und nicht zuerst dem Abgeordnetenhaus — ein Gesetzentwurf zu. welcher die Aufhebung einer großen Anzahl von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/277>, abgerufen am 21.06.2024.