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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Kardinal Aopxs Bedeutung

Man muß sich zunächst genau die Konstellation vor Augen halten,
unter der er zum ersten Male und gleich an entscheidender Stelle in den großen
Gang der politischen Ereignisse eingegriffen hat. Der Kulturkampf hatte seinen
Höhepunkt überschritten. Er war ein Versuch des modernen Staates gewesen,
ein richtiges Verhältnis zur römischen Kirche zu finden; aber trotz mancher
Errungenschaften, die dauernd blieben und bleiben mußten, war es doch schon
gegen Ende der siebziger Jahre klar geworden, daß der Abbau der Kampf¬
gesetze erfolgen werde. Dahin drängte die ganze Bismarcksche Politik aus sehr
verschiedenen Gründen, zumal durch den Thronwechsel im Vatikan im Jahre 1878,
dem der Rücktritt des Kultusministers Falk in Preußen anderthalb Jahre später
folgte, das Eis gebrochen und auf beiden Seiten der Boden zu einem Ausgleich
geebnet war. Die damaligen Versöhnungsbestrebungen, die in der persönlichen
Zusammenkunft Bismarcks mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini zu Salzburg
gipfelten, scheiterten freilich schließlich doch an den hochgespannter Forderungen
der Kurie und dem geringen Entgegenkommen des Zentrums in den großen
Reichsfragen der damaligen Bismarckschen Politik; aber wenn es auch nicht
sofort zu gesetzgeberischen Resultaten kam, so schritt man doch beiderseits auf
dem eingeschlagenen Wege der Annäherung weiter. Das geeignetste Mittel
dazu war ohne Zweifel, für diplomatische Verbindungen zwischen Berlin und
dem Vatikan zu sorgen. Nach allem, was im vergangenen Jahrzehnt geschehen
war, und überhaupt schon seiner ganzen Staatsauffassung nach wollte und
konnte Bismarck einen Ausgleich niemals durch Paktieren mit der Zentrums¬
fraktion unternehmen; sondern seine Absicht war es gerade, über die Köpfe der
Zentrumsführer hinweg die diplomatischen Drähte nach Rom zu spannen. Denn
wenn auf diesem Wege einmal der Friede geschlossen war, dann durfte Bismarck
hoffen, daß auch die parlamentarische Vertretung des Klerikalismus in
ihrer ganzen Haltung alledem Rechnung tragen mußte, was die kirchlichen
Diplomaten und Würdenträger im päpstlichen Staatssekretariate beschlossen hatten.
Und auf der andern Seite konnte es auch der Kurie nur recht fein, wenn die
entscheidenden Verhandlungen von ihr und ihren Beauftragten allein geführt
wurden.

In Rom wie in Berlin war man also innerlich zur Wiederaufnahme der
diplomatischen Beziehungen geneigt, ohne daß man schon so weit gewesen wäre,
offiziell die Gesandtschaft wieder herzustellen, deren Aufhebung einst das Signal
zum Kulturkampfe gegeben hatte. Man brauchte daher einen geeigneten diplo¬
matischen Vermittler, der ohne selbst in seiner Person schon eine äußerliche und
förmliche Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu bedeuten, dennoch
fähig war. eine solche anzubahnen. Zur Übernahme einer derartigen, von der Kurie
wie der Regierung zugleich übertragenen Vertrauensstellung konnte nur ein
Vertreter des deutschen Episkopates in Betracht kommen, der in Rom als zuverlässig
und in Berlin als versöhnlich bekannt war. Unter den augenblicklichen In¬
habern der bischöflichen Gewalt in Deutschland war keiner dieser Art zu finden,


Kardinal Aopxs Bedeutung

Man muß sich zunächst genau die Konstellation vor Augen halten,
unter der er zum ersten Male und gleich an entscheidender Stelle in den großen
Gang der politischen Ereignisse eingegriffen hat. Der Kulturkampf hatte seinen
Höhepunkt überschritten. Er war ein Versuch des modernen Staates gewesen,
ein richtiges Verhältnis zur römischen Kirche zu finden; aber trotz mancher
Errungenschaften, die dauernd blieben und bleiben mußten, war es doch schon
gegen Ende der siebziger Jahre klar geworden, daß der Abbau der Kampf¬
gesetze erfolgen werde. Dahin drängte die ganze Bismarcksche Politik aus sehr
verschiedenen Gründen, zumal durch den Thronwechsel im Vatikan im Jahre 1878,
dem der Rücktritt des Kultusministers Falk in Preußen anderthalb Jahre später
folgte, das Eis gebrochen und auf beiden Seiten der Boden zu einem Ausgleich
geebnet war. Die damaligen Versöhnungsbestrebungen, die in der persönlichen
Zusammenkunft Bismarcks mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini zu Salzburg
gipfelten, scheiterten freilich schließlich doch an den hochgespannter Forderungen
der Kurie und dem geringen Entgegenkommen des Zentrums in den großen
Reichsfragen der damaligen Bismarckschen Politik; aber wenn es auch nicht
sofort zu gesetzgeberischen Resultaten kam, so schritt man doch beiderseits auf
dem eingeschlagenen Wege der Annäherung weiter. Das geeignetste Mittel
dazu war ohne Zweifel, für diplomatische Verbindungen zwischen Berlin und
dem Vatikan zu sorgen. Nach allem, was im vergangenen Jahrzehnt geschehen
war, und überhaupt schon seiner ganzen Staatsauffassung nach wollte und
konnte Bismarck einen Ausgleich niemals durch Paktieren mit der Zentrums¬
fraktion unternehmen; sondern seine Absicht war es gerade, über die Köpfe der
Zentrumsführer hinweg die diplomatischen Drähte nach Rom zu spannen. Denn
wenn auf diesem Wege einmal der Friede geschlossen war, dann durfte Bismarck
hoffen, daß auch die parlamentarische Vertretung des Klerikalismus in
ihrer ganzen Haltung alledem Rechnung tragen mußte, was die kirchlichen
Diplomaten und Würdenträger im päpstlichen Staatssekretariate beschlossen hatten.
Und auf der andern Seite konnte es auch der Kurie nur recht fein, wenn die
entscheidenden Verhandlungen von ihr und ihren Beauftragten allein geführt
wurden.

In Rom wie in Berlin war man also innerlich zur Wiederaufnahme der
diplomatischen Beziehungen geneigt, ohne daß man schon so weit gewesen wäre,
offiziell die Gesandtschaft wieder herzustellen, deren Aufhebung einst das Signal
zum Kulturkampfe gegeben hatte. Man brauchte daher einen geeigneten diplo¬
matischen Vermittler, der ohne selbst in seiner Person schon eine äußerliche und
förmliche Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu bedeuten, dennoch
fähig war. eine solche anzubahnen. Zur Übernahme einer derartigen, von der Kurie
wie der Regierung zugleich übertragenen Vertrauensstellung konnte nur ein
Vertreter des deutschen Episkopates in Betracht kommen, der in Rom als zuverlässig
und in Berlin als versöhnlich bekannt war. Unter den augenblicklichen In¬
habern der bischöflichen Gewalt in Deutschland war keiner dieser Art zu finden,


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[0274] Kardinal Aopxs Bedeutung Man muß sich zunächst genau die Konstellation vor Augen halten, unter der er zum ersten Male und gleich an entscheidender Stelle in den großen Gang der politischen Ereignisse eingegriffen hat. Der Kulturkampf hatte seinen Höhepunkt überschritten. Er war ein Versuch des modernen Staates gewesen, ein richtiges Verhältnis zur römischen Kirche zu finden; aber trotz mancher Errungenschaften, die dauernd blieben und bleiben mußten, war es doch schon gegen Ende der siebziger Jahre klar geworden, daß der Abbau der Kampf¬ gesetze erfolgen werde. Dahin drängte die ganze Bismarcksche Politik aus sehr verschiedenen Gründen, zumal durch den Thronwechsel im Vatikan im Jahre 1878, dem der Rücktritt des Kultusministers Falk in Preußen anderthalb Jahre später folgte, das Eis gebrochen und auf beiden Seiten der Boden zu einem Ausgleich geebnet war. Die damaligen Versöhnungsbestrebungen, die in der persönlichen Zusammenkunft Bismarcks mit dem Kardinalstaatssekretär Jacobini zu Salzburg gipfelten, scheiterten freilich schließlich doch an den hochgespannter Forderungen der Kurie und dem geringen Entgegenkommen des Zentrums in den großen Reichsfragen der damaligen Bismarckschen Politik; aber wenn es auch nicht sofort zu gesetzgeberischen Resultaten kam, so schritt man doch beiderseits auf dem eingeschlagenen Wege der Annäherung weiter. Das geeignetste Mittel dazu war ohne Zweifel, für diplomatische Verbindungen zwischen Berlin und dem Vatikan zu sorgen. Nach allem, was im vergangenen Jahrzehnt geschehen war, und überhaupt schon seiner ganzen Staatsauffassung nach wollte und konnte Bismarck einen Ausgleich niemals durch Paktieren mit der Zentrums¬ fraktion unternehmen; sondern seine Absicht war es gerade, über die Köpfe der Zentrumsführer hinweg die diplomatischen Drähte nach Rom zu spannen. Denn wenn auf diesem Wege einmal der Friede geschlossen war, dann durfte Bismarck hoffen, daß auch die parlamentarische Vertretung des Klerikalismus in ihrer ganzen Haltung alledem Rechnung tragen mußte, was die kirchlichen Diplomaten und Würdenträger im päpstlichen Staatssekretariate beschlossen hatten. Und auf der andern Seite konnte es auch der Kurie nur recht fein, wenn die entscheidenden Verhandlungen von ihr und ihren Beauftragten allein geführt wurden. In Rom wie in Berlin war man also innerlich zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen geneigt, ohne daß man schon so weit gewesen wäre, offiziell die Gesandtschaft wieder herzustellen, deren Aufhebung einst das Signal zum Kulturkampfe gegeben hatte. Man brauchte daher einen geeigneten diplo¬ matischen Vermittler, der ohne selbst in seiner Person schon eine äußerliche und förmliche Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu bedeuten, dennoch fähig war. eine solche anzubahnen. Zur Übernahme einer derartigen, von der Kurie wie der Regierung zugleich übertragenen Vertrauensstellung konnte nur ein Vertreter des deutschen Episkopates in Betracht kommen, der in Rom als zuverlässig und in Berlin als versöhnlich bekannt war. Unter den augenblicklichen In¬ habern der bischöflichen Gewalt in Deutschland war keiner dieser Art zu finden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/274>, abgerufen am 21.06.2024.