Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vererbung beim Menschen

kraushaarigen Frau mit einem schlichthaariger Mann (Bell). Das bleibt
natürlich eine praktisch unhaltbare Forderung, da beide Ehegatten noch in einer
Unzahl anderer Charaktere verschieden sein werden. Die Schwierigkeit wird --
begrifflich -- umgangen durch willkürliches Beiseitelassen und Nichtbeachten aller
übrigen Unterschiedlichkeiten. Man bezeichnet solche -- einmerkmalige -- Paarung
als Monohybride Kreuzung. Die Kinder eines solchen Paares heißen,
weil sie aus der Vereinigung von Erbzellen mit mindestens einem Paar
verschiedener Erbstücke hervorgehen, mischerbig oder heterozvgot in bezug auf
diese Erbeinheit. Der Ausdruck rührt von der wissenschaftlichen Bezeichnung
eines jeden Zeugungsproduktes zweier Keimzellen "Zygote" her: der Zusatz
"hetero" deutet die Andersartigkeit der beiden hier vererbten Partnererbstücke
an. Ein Geschöpf, dessen väterliches und mütterliches Erbstück für eine
bestimmte Eigenheit identisch sind, nennt die Erblehre im Gegensatz hierzu: homo-
zygot, reinerbig.

Bei den Mitgliedern der ersten, mischerbigen Generation vermag sich ihr
Heterozugotencharakter in recht verschiedener Weise zu äußern. Im allgemeinen
können sich -- je nach der Eigenart des Falles -- zwei Möglichkeiten verwirk¬
lichen. Entweder: die beiden verschiedenen Anlagen vereinen sich zu einem auch
äußerlich wahrnehmbaren Mischcharakter (Falls): in dem gegebenen Beispiele
könnte sich dieser etwa als eine abgeschwächte Kraushaarbildung darstellen. Oder
aber, die eine der beiden Eigentümlichkeiten wird von der anderen derart in den
Hintergrund gedrängt -- wie es in Wirklichkeit in jenem Beispiele der Fall
ist --, daß es erst bei eingehender Prüfung, in manchen Fällen heute auch noch
gar nicht gelingt, sich von ihrem Dasein zu überzeugen (Fall b). Alle Mög¬
lichkeiten der Abstufung zwischen diesen beiden Grenzfällen kommen vor. Von
der genauen Mittelbildung -- klein und groß gibt mittelgroß, dunkelbraun und
weiß gibt hellbraun -- bis zum starken oder zum ausschließlichen Vorwiegen
des einen Merkmals führt eine zusammenhängende Folge aller Übergangsgrade.
Vollkommenes, durch keine noch so eindringende Untersuchung mehr nachweisbares
Schwinden des einen Merkmals scheint indes ein recht seltener Fall zu sein,
wenn er überhaupt in Wahrheit jemals eintritt. Liegt doch die Vermutung
stets nahe: es reichten unsere trotz aller scharfen Bewaffnung immer noch
so stumpfen Sinne nicht hin, um das scheinbar verlorene Merkmal zu entdecken,
wenn auch in noch so abgeschwächtem Zustande. Erbtechnisch heißt der stark
vorherrschende Charakter dominant -- I) -- der verdrängte rezessiv -- l? --.
Einem mischerbigen Kinde käme die Formel l)l?, seinen reinerbigen Eltern die
Symbole vo und Ki? zu. Im gegebenen Beispiel würde Kraushaar als domi¬
nant gegen Schlichthaar sein.

Was in Wirklichkeit über Dominanz oder Rezession einer Eigentümlichkeit
entscheidet: darüber tappt die Erbforschung noch völlig im Dunkel.

Auftreten von Mischbildung zwischen den beiden Elterncharakteren erleichtert
die Untersuchung in unschätzbarem Grade. Die Konstitution in Ansehung dieses


Vererbung beim Menschen

kraushaarigen Frau mit einem schlichthaariger Mann (Bell). Das bleibt
natürlich eine praktisch unhaltbare Forderung, da beide Ehegatten noch in einer
Unzahl anderer Charaktere verschieden sein werden. Die Schwierigkeit wird —
begrifflich — umgangen durch willkürliches Beiseitelassen und Nichtbeachten aller
übrigen Unterschiedlichkeiten. Man bezeichnet solche — einmerkmalige — Paarung
als Monohybride Kreuzung. Die Kinder eines solchen Paares heißen,
weil sie aus der Vereinigung von Erbzellen mit mindestens einem Paar
verschiedener Erbstücke hervorgehen, mischerbig oder heterozvgot in bezug auf
diese Erbeinheit. Der Ausdruck rührt von der wissenschaftlichen Bezeichnung
eines jeden Zeugungsproduktes zweier Keimzellen „Zygote" her: der Zusatz
„hetero" deutet die Andersartigkeit der beiden hier vererbten Partnererbstücke
an. Ein Geschöpf, dessen väterliches und mütterliches Erbstück für eine
bestimmte Eigenheit identisch sind, nennt die Erblehre im Gegensatz hierzu: homo-
zygot, reinerbig.

Bei den Mitgliedern der ersten, mischerbigen Generation vermag sich ihr
Heterozugotencharakter in recht verschiedener Weise zu äußern. Im allgemeinen
können sich — je nach der Eigenart des Falles — zwei Möglichkeiten verwirk¬
lichen. Entweder: die beiden verschiedenen Anlagen vereinen sich zu einem auch
äußerlich wahrnehmbaren Mischcharakter (Falls): in dem gegebenen Beispiele
könnte sich dieser etwa als eine abgeschwächte Kraushaarbildung darstellen. Oder
aber, die eine der beiden Eigentümlichkeiten wird von der anderen derart in den
Hintergrund gedrängt — wie es in Wirklichkeit in jenem Beispiele der Fall
ist —, daß es erst bei eingehender Prüfung, in manchen Fällen heute auch noch
gar nicht gelingt, sich von ihrem Dasein zu überzeugen (Fall b). Alle Mög¬
lichkeiten der Abstufung zwischen diesen beiden Grenzfällen kommen vor. Von
der genauen Mittelbildung — klein und groß gibt mittelgroß, dunkelbraun und
weiß gibt hellbraun — bis zum starken oder zum ausschließlichen Vorwiegen
des einen Merkmals führt eine zusammenhängende Folge aller Übergangsgrade.
Vollkommenes, durch keine noch so eindringende Untersuchung mehr nachweisbares
Schwinden des einen Merkmals scheint indes ein recht seltener Fall zu sein,
wenn er überhaupt in Wahrheit jemals eintritt. Liegt doch die Vermutung
stets nahe: es reichten unsere trotz aller scharfen Bewaffnung immer noch
so stumpfen Sinne nicht hin, um das scheinbar verlorene Merkmal zu entdecken,
wenn auch in noch so abgeschwächtem Zustande. Erbtechnisch heißt der stark
vorherrschende Charakter dominant — I) — der verdrängte rezessiv — l? —.
Einem mischerbigen Kinde käme die Formel l)l?, seinen reinerbigen Eltern die
Symbole vo und Ki? zu. Im gegebenen Beispiel würde Kraushaar als domi¬
nant gegen Schlichthaar sein.

Was in Wirklichkeit über Dominanz oder Rezession einer Eigentümlichkeit
entscheidet: darüber tappt die Erbforschung noch völlig im Dunkel.

Auftreten von Mischbildung zwischen den beiden Elterncharakteren erleichtert
die Untersuchung in unschätzbarem Grade. Die Konstitution in Ansehung dieses


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328362"/>
          <fw type="header" place="top"> Vererbung beim Menschen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1151" prev="#ID_1150"> kraushaarigen Frau mit einem schlichthaariger Mann (Bell). Das bleibt<lb/>
natürlich eine praktisch unhaltbare Forderung, da beide Ehegatten noch in einer<lb/>
Unzahl anderer Charaktere verschieden sein werden. Die Schwierigkeit wird &#x2014;<lb/>
begrifflich &#x2014; umgangen durch willkürliches Beiseitelassen und Nichtbeachten aller<lb/>
übrigen Unterschiedlichkeiten. Man bezeichnet solche &#x2014; einmerkmalige &#x2014; Paarung<lb/>
als Monohybride Kreuzung. Die Kinder eines solchen Paares heißen,<lb/>
weil sie aus der Vereinigung von Erbzellen mit mindestens einem Paar<lb/>
verschiedener Erbstücke hervorgehen, mischerbig oder heterozvgot in bezug auf<lb/>
diese Erbeinheit. Der Ausdruck rührt von der wissenschaftlichen Bezeichnung<lb/>
eines jeden Zeugungsproduktes zweier Keimzellen &#x201E;Zygote" her: der Zusatz<lb/>
&#x201E;hetero" deutet die Andersartigkeit der beiden hier vererbten Partnererbstücke<lb/>
an. Ein Geschöpf, dessen väterliches und mütterliches Erbstück für eine<lb/>
bestimmte Eigenheit identisch sind, nennt die Erblehre im Gegensatz hierzu: homo-<lb/>
zygot, reinerbig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1152"> Bei den Mitgliedern der ersten, mischerbigen Generation vermag sich ihr<lb/>
Heterozugotencharakter in recht verschiedener Weise zu äußern. Im allgemeinen<lb/>
können sich &#x2014; je nach der Eigenart des Falles &#x2014; zwei Möglichkeiten verwirk¬<lb/>
lichen. Entweder: die beiden verschiedenen Anlagen vereinen sich zu einem auch<lb/>
äußerlich wahrnehmbaren Mischcharakter (Falls): in dem gegebenen Beispiele<lb/>
könnte sich dieser etwa als eine abgeschwächte Kraushaarbildung darstellen. Oder<lb/>
aber, die eine der beiden Eigentümlichkeiten wird von der anderen derart in den<lb/>
Hintergrund gedrängt &#x2014; wie es in Wirklichkeit in jenem Beispiele der Fall<lb/>
ist &#x2014;, daß es erst bei eingehender Prüfung, in manchen Fällen heute auch noch<lb/>
gar nicht gelingt, sich von ihrem Dasein zu überzeugen (Fall b). Alle Mög¬<lb/>
lichkeiten der Abstufung zwischen diesen beiden Grenzfällen kommen vor. Von<lb/>
der genauen Mittelbildung &#x2014; klein und groß gibt mittelgroß, dunkelbraun und<lb/>
weiß gibt hellbraun &#x2014; bis zum starken oder zum ausschließlichen Vorwiegen<lb/>
des einen Merkmals führt eine zusammenhängende Folge aller Übergangsgrade.<lb/>
Vollkommenes, durch keine noch so eindringende Untersuchung mehr nachweisbares<lb/>
Schwinden des einen Merkmals scheint indes ein recht seltener Fall zu sein,<lb/>
wenn er überhaupt in Wahrheit jemals eintritt. Liegt doch die Vermutung<lb/>
stets nahe: es reichten unsere trotz aller scharfen Bewaffnung immer noch<lb/>
so stumpfen Sinne nicht hin, um das scheinbar verlorene Merkmal zu entdecken,<lb/>
wenn auch in noch so abgeschwächtem Zustande. Erbtechnisch heißt der stark<lb/>
vorherrschende Charakter dominant &#x2014; I) &#x2014; der verdrängte rezessiv &#x2014; l? &#x2014;.<lb/>
Einem mischerbigen Kinde käme die Formel l)l?, seinen reinerbigen Eltern die<lb/>
Symbole vo und Ki? zu. Im gegebenen Beispiel würde Kraushaar als domi¬<lb/>
nant gegen Schlichthaar sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1153"> Was in Wirklichkeit über Dominanz oder Rezession einer Eigentümlichkeit<lb/>
entscheidet: darüber tappt die Erbforschung noch völlig im Dunkel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1154" next="#ID_1155"> Auftreten von Mischbildung zwischen den beiden Elterncharakteren erleichtert<lb/>
die Untersuchung in unschätzbarem Grade. Die Konstitution in Ansehung dieses</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Vererbung beim Menschen kraushaarigen Frau mit einem schlichthaariger Mann (Bell). Das bleibt natürlich eine praktisch unhaltbare Forderung, da beide Ehegatten noch in einer Unzahl anderer Charaktere verschieden sein werden. Die Schwierigkeit wird — begrifflich — umgangen durch willkürliches Beiseitelassen und Nichtbeachten aller übrigen Unterschiedlichkeiten. Man bezeichnet solche — einmerkmalige — Paarung als Monohybride Kreuzung. Die Kinder eines solchen Paares heißen, weil sie aus der Vereinigung von Erbzellen mit mindestens einem Paar verschiedener Erbstücke hervorgehen, mischerbig oder heterozvgot in bezug auf diese Erbeinheit. Der Ausdruck rührt von der wissenschaftlichen Bezeichnung eines jeden Zeugungsproduktes zweier Keimzellen „Zygote" her: der Zusatz „hetero" deutet die Andersartigkeit der beiden hier vererbten Partnererbstücke an. Ein Geschöpf, dessen väterliches und mütterliches Erbstück für eine bestimmte Eigenheit identisch sind, nennt die Erblehre im Gegensatz hierzu: homo- zygot, reinerbig. Bei den Mitgliedern der ersten, mischerbigen Generation vermag sich ihr Heterozugotencharakter in recht verschiedener Weise zu äußern. Im allgemeinen können sich — je nach der Eigenart des Falles — zwei Möglichkeiten verwirk¬ lichen. Entweder: die beiden verschiedenen Anlagen vereinen sich zu einem auch äußerlich wahrnehmbaren Mischcharakter (Falls): in dem gegebenen Beispiele könnte sich dieser etwa als eine abgeschwächte Kraushaarbildung darstellen. Oder aber, die eine der beiden Eigentümlichkeiten wird von der anderen derart in den Hintergrund gedrängt — wie es in Wirklichkeit in jenem Beispiele der Fall ist —, daß es erst bei eingehender Prüfung, in manchen Fällen heute auch noch gar nicht gelingt, sich von ihrem Dasein zu überzeugen (Fall b). Alle Mög¬ lichkeiten der Abstufung zwischen diesen beiden Grenzfällen kommen vor. Von der genauen Mittelbildung — klein und groß gibt mittelgroß, dunkelbraun und weiß gibt hellbraun — bis zum starken oder zum ausschließlichen Vorwiegen des einen Merkmals führt eine zusammenhängende Folge aller Übergangsgrade. Vollkommenes, durch keine noch so eindringende Untersuchung mehr nachweisbares Schwinden des einen Merkmals scheint indes ein recht seltener Fall zu sein, wenn er überhaupt in Wahrheit jemals eintritt. Liegt doch die Vermutung stets nahe: es reichten unsere trotz aller scharfen Bewaffnung immer noch so stumpfen Sinne nicht hin, um das scheinbar verlorene Merkmal zu entdecken, wenn auch in noch so abgeschwächtem Zustande. Erbtechnisch heißt der stark vorherrschende Charakter dominant — I) — der verdrängte rezessiv — l? —. Einem mischerbigen Kinde käme die Formel l)l?, seinen reinerbigen Eltern die Symbole vo und Ki? zu. Im gegebenen Beispiel würde Kraushaar als domi¬ nant gegen Schlichthaar sein. Was in Wirklichkeit über Dominanz oder Rezession einer Eigentümlichkeit entscheidet: darüber tappt die Erbforschung noch völlig im Dunkel. Auftreten von Mischbildung zwischen den beiden Elterncharakteren erleichtert die Untersuchung in unschätzbarem Grade. Die Konstitution in Ansehung dieses

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/262>, abgerufen am 21.06.2024.