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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

einige Reste verschwunden, und die Genovevaburg, die einst so stolz in das
Land sah, war rauchgeschwärzt und zusammengeschossen.

"Der Franzmann hat gut von Melac gelernt!" sagte der Herzog finster,
als die kleine Schar langsam in die in Schutt liegenden Gassen einritt.

Hier war es wie überall, wo die Welschen gehaust hatten. Leere Fenster¬
höhlen, eingestürzte Häuser, Berge von halbverbrannten Steinen.

Hier und dort versuchte ein mutiger Bürger, wieder sein Haus zu flicken
und den Schutt wegzuräumen. Andere saßen an den Ecken und bettelten. Was
sollten sie bauen oder arbeiten? Kam dann nicht wieder der Feind und nahm
ihnen alles, auch das Leben?

Am Marktplatz, vor dem verbrannten Rathaus, lag eine Herberge, die
mühsam zusammengeflickt war; hier stiegen die Reiter ab und stellten die Pferde
ein. Der Wirt war unfreundlich, wie alle, denen sie begegneten. Aber als
er merkte, daß die Reisenden wirklich bezahlten und nichts nehmen wollten,
wurde er umgänglicher. Als Frau Heilwig über den Marktplatz nach einigen
Kindern sah, die schmutzig und zerlumpt mit einigen Steinen spielten, zeigte er
auf einen Mann, der gerade um die Ecke kam und einen Napf mit Essen trug.

"Der kommt manchmal und gibt den Bälgern was zu essen. Nämlich,
wenn er was hat. Ist ein armer Schlucker, wie wir alle, und hat auch nie
was gehabt. Verkehrt ist er im Kopf, denn, was er hat, sollte er für sich
behalten. Seine Schwester sitzt bei ihm und zwei Kinder. Der ihr kranker
Mann ist von den Franzleuten totgeschlagen worden und ihr Hab und Gut ist
nit mehr da!"

Frau Heilwig ging über den Marktplatz, dorthin, wo der Mann seinen
vollen Napf hingestellt hatte und die schmutzigen Kinder mit einem Holzlöffel
speiste. Sie wußte, daß es Sebastian von Wiltberg war, und es wurde ihr
klar, daß sie niemals fest an seinen Tod geglaubt hatte und sich kaum wunderte,
ihn hier zu sehen. Er hatte sich wenig verändert. Seine schwarzen Haare
hatten wohl einige Silberstreifen und sein Gesicht war schärfer und müder ge¬
worden, aber, wie er stand und sich niederbeugte zu den Geringsten, so hatte
sie ihn sich immer gedacht. Sie ging auf ihn zu, nannte seinen Namen, und
er schien sich kaum zu verwundern. Es stieg wohl eine feine Röte ihm ins
Gesicht und einen Augenblick atmete er schwer, dann aber setzte er seinen leeren
Napf hin und reichte Heilwig die Hand.

"Es ist viel zu tun hier!" sagte er, "und meine Arbeit über die heilige
Frau liegt verstaubt. Aber die Franzen haben sie mir gelassen, was von dem
Allmächtigen eine große Gnade ist. Denn es ist mehr an ihr zu tun, als ich jemals
dachte, und die Arbeit vom Bruder Onofrius in Laach ist in Rauch aufgegangen!"

Herr Josias sah die zwei zusammenstehen und ruhig miteinander sprechen.
Gerade, als lägen nicht sechzehn Jahre zwischen dem Tag, da Sebastian von
Wiltberg die Hexe aus dem Turm rettete, sondern als wäre es gestern geschehen.
Und doch waren es andere Menschen, die hier standen. Frau Heilwig groß


Die Hexe von Mayen

einige Reste verschwunden, und die Genovevaburg, die einst so stolz in das
Land sah, war rauchgeschwärzt und zusammengeschossen.

„Der Franzmann hat gut von Melac gelernt!" sagte der Herzog finster,
als die kleine Schar langsam in die in Schutt liegenden Gassen einritt.

Hier war es wie überall, wo die Welschen gehaust hatten. Leere Fenster¬
höhlen, eingestürzte Häuser, Berge von halbverbrannten Steinen.

Hier und dort versuchte ein mutiger Bürger, wieder sein Haus zu flicken
und den Schutt wegzuräumen. Andere saßen an den Ecken und bettelten. Was
sollten sie bauen oder arbeiten? Kam dann nicht wieder der Feind und nahm
ihnen alles, auch das Leben?

Am Marktplatz, vor dem verbrannten Rathaus, lag eine Herberge, die
mühsam zusammengeflickt war; hier stiegen die Reiter ab und stellten die Pferde
ein. Der Wirt war unfreundlich, wie alle, denen sie begegneten. Aber als
er merkte, daß die Reisenden wirklich bezahlten und nichts nehmen wollten,
wurde er umgänglicher. Als Frau Heilwig über den Marktplatz nach einigen
Kindern sah, die schmutzig und zerlumpt mit einigen Steinen spielten, zeigte er
auf einen Mann, der gerade um die Ecke kam und einen Napf mit Essen trug.

„Der kommt manchmal und gibt den Bälgern was zu essen. Nämlich,
wenn er was hat. Ist ein armer Schlucker, wie wir alle, und hat auch nie
was gehabt. Verkehrt ist er im Kopf, denn, was er hat, sollte er für sich
behalten. Seine Schwester sitzt bei ihm und zwei Kinder. Der ihr kranker
Mann ist von den Franzleuten totgeschlagen worden und ihr Hab und Gut ist
nit mehr da!"

Frau Heilwig ging über den Marktplatz, dorthin, wo der Mann seinen
vollen Napf hingestellt hatte und die schmutzigen Kinder mit einem Holzlöffel
speiste. Sie wußte, daß es Sebastian von Wiltberg war, und es wurde ihr
klar, daß sie niemals fest an seinen Tod geglaubt hatte und sich kaum wunderte,
ihn hier zu sehen. Er hatte sich wenig verändert. Seine schwarzen Haare
hatten wohl einige Silberstreifen und sein Gesicht war schärfer und müder ge¬
worden, aber, wie er stand und sich niederbeugte zu den Geringsten, so hatte
sie ihn sich immer gedacht. Sie ging auf ihn zu, nannte seinen Namen, und
er schien sich kaum zu verwundern. Es stieg wohl eine feine Röte ihm ins
Gesicht und einen Augenblick atmete er schwer, dann aber setzte er seinen leeren
Napf hin und reichte Heilwig die Hand.

„Es ist viel zu tun hier!" sagte er, „und meine Arbeit über die heilige
Frau liegt verstaubt. Aber die Franzen haben sie mir gelassen, was von dem
Allmächtigen eine große Gnade ist. Denn es ist mehr an ihr zu tun, als ich jemals
dachte, und die Arbeit vom Bruder Onofrius in Laach ist in Rauch aufgegangen!"

Herr Josias sah die zwei zusammenstehen und ruhig miteinander sprechen.
Gerade, als lägen nicht sechzehn Jahre zwischen dem Tag, da Sebastian von
Wiltberg die Hexe aus dem Turm rettete, sondern als wäre es gestern geschehen.
Und doch waren es andere Menschen, die hier standen. Frau Heilwig groß


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[0241] Die Hexe von Mayen einige Reste verschwunden, und die Genovevaburg, die einst so stolz in das Land sah, war rauchgeschwärzt und zusammengeschossen. „Der Franzmann hat gut von Melac gelernt!" sagte der Herzog finster, als die kleine Schar langsam in die in Schutt liegenden Gassen einritt. Hier war es wie überall, wo die Welschen gehaust hatten. Leere Fenster¬ höhlen, eingestürzte Häuser, Berge von halbverbrannten Steinen. Hier und dort versuchte ein mutiger Bürger, wieder sein Haus zu flicken und den Schutt wegzuräumen. Andere saßen an den Ecken und bettelten. Was sollten sie bauen oder arbeiten? Kam dann nicht wieder der Feind und nahm ihnen alles, auch das Leben? Am Marktplatz, vor dem verbrannten Rathaus, lag eine Herberge, die mühsam zusammengeflickt war; hier stiegen die Reiter ab und stellten die Pferde ein. Der Wirt war unfreundlich, wie alle, denen sie begegneten. Aber als er merkte, daß die Reisenden wirklich bezahlten und nichts nehmen wollten, wurde er umgänglicher. Als Frau Heilwig über den Marktplatz nach einigen Kindern sah, die schmutzig und zerlumpt mit einigen Steinen spielten, zeigte er auf einen Mann, der gerade um die Ecke kam und einen Napf mit Essen trug. „Der kommt manchmal und gibt den Bälgern was zu essen. Nämlich, wenn er was hat. Ist ein armer Schlucker, wie wir alle, und hat auch nie was gehabt. Verkehrt ist er im Kopf, denn, was er hat, sollte er für sich behalten. Seine Schwester sitzt bei ihm und zwei Kinder. Der ihr kranker Mann ist von den Franzleuten totgeschlagen worden und ihr Hab und Gut ist nit mehr da!" Frau Heilwig ging über den Marktplatz, dorthin, wo der Mann seinen vollen Napf hingestellt hatte und die schmutzigen Kinder mit einem Holzlöffel speiste. Sie wußte, daß es Sebastian von Wiltberg war, und es wurde ihr klar, daß sie niemals fest an seinen Tod geglaubt hatte und sich kaum wunderte, ihn hier zu sehen. Er hatte sich wenig verändert. Seine schwarzen Haare hatten wohl einige Silberstreifen und sein Gesicht war schärfer und müder ge¬ worden, aber, wie er stand und sich niederbeugte zu den Geringsten, so hatte sie ihn sich immer gedacht. Sie ging auf ihn zu, nannte seinen Namen, und er schien sich kaum zu verwundern. Es stieg wohl eine feine Röte ihm ins Gesicht und einen Augenblick atmete er schwer, dann aber setzte er seinen leeren Napf hin und reichte Heilwig die Hand. „Es ist viel zu tun hier!" sagte er, „und meine Arbeit über die heilige Frau liegt verstaubt. Aber die Franzen haben sie mir gelassen, was von dem Allmächtigen eine große Gnade ist. Denn es ist mehr an ihr zu tun, als ich jemals dachte, und die Arbeit vom Bruder Onofrius in Laach ist in Rauch aufgegangen!" Herr Josias sah die zwei zusammenstehen und ruhig miteinander sprechen. Gerade, als lägen nicht sechzehn Jahre zwischen dem Tag, da Sebastian von Wiltberg die Hexe aus dem Turm rettete, sondern als wäre es gestern geschehen. Und doch waren es andere Menschen, die hier standen. Frau Heilwig groß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/241>, abgerufen am 25.07.2024.