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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Raym

"Die heilige Genoveva?" Heilwig hielt ihr Pferd an. "Ist das die
Genoveva von Manen?"

"Es ist die heilige Genoveva von Paris!" erklärte der Fürst. "Sie ist
schon seit vielen Jahrhunderten eine Heilige gewesen, und diese Kirche ist ihr
geweiht. Zwar soll es hier in der Nähe noch eine geben, von ihr habe ich
gehört, und ich meine auch, daß in Laach eine Geschichte von ihr in der
Klosterbibliothek zu finden ist. Aber die Rechte ist sie denn doch wohl nicht
gewesen!"

Er begann, nach seiner lebhaften und belesenen Art, von den Heiligen der
römischen Kirche zu berichten, und Josias, der vorritt, gähnte einige Male ver-
stohlen. Denn zu den Heiligen rechnete er nur die Apostel, und auch von
ihnen war seine Kenntnis nicht groß. Heilwig aber hörte dem Herrn auf¬
merksam zu und fragte manches. Wie sie nun durch den sprießenden Wald
ritt, die reine Luft eiuatmete und die ziehenden Wolken sah, da war es ihr,
als würde sie wieder jung, und Gedanken, die lange in ihr geschlummert
hatten, wurden wach und bewegten ihr Herz. Dann hielt die kleine Schar auf
der Höhe und sah hinab auf den See, auf das Kloster. Der See war da,
ihm hatte der Feind nichts anhaben können, aber das Kloster lag zum Teil
noch in Trümmern. Viele fleißige Gestalten, in der Kutte und ohne sie,
schafften emsig, aber jeder konnte sehen, daß hier Schätze zerstört waren, die
niemals wiederkehrten.

Ein Mönch kam den Reitern entgegen, begrüßte sie, sobald er merkte, daß
sie friedliche Absichten hatten und führte sie zum Prior, der gerade den weißen
Kalkbrei rührte und sich nicht von einem Maurer unterschied. Aber als er
die an einem Baum hängende Kutte überwarf und sich die Hände und Gesicht
gewaschen hatte, war es ein vornehmer Mann, der sich seiner Arbeit nicht
schämte. AIs der Herzog sich zu erkennen gab, entstand unter den anderen
Mönchen eine Bewegung, und einer von ihnen, ein alter Mann, trat hervor
und brach in Tränen aus.

"Ach. Euer Gnaden, wie anders ist es hier gewesen als Ihr das letztemal
hier wäret! Damals hatten wir noch unser Kloster, an das kein Feind Hand
legte, unsere Bibliothek, unsere heiligen Reliquien! Wo ist alles geblieben?
Der Feind nahm uns alles; und als wir in der Höhle unter dem Hochstein
saßen, weil wir doch nicht alle sterben wollten, da waren es Teufel, die hier
hausten I"

Unter Weinen berichtete er vom Abt Plautus. den der Schlag gerührt
hatte und der nun ein hilfloser Greis war, der kein Gedächtnis mehr hatte,
und mit dem man sprechen mußte, als wäre er ein kleines Kind. Der Schlag¬
anfall war gekommen, als er zum dritten Male aus dem Kloster fliehen mußte.

"Wir hatten niemanden, der uns half, gnädiger Herr, wie Ihr uns damals
hälfet!" setzte der alte Bruder hinzu und richtete dann seine Augen auf Heilwig.
die voni Pferde gesprungen war und ihm atemlos zuhörte.*


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Die Hexe von Raym

„Die heilige Genoveva?" Heilwig hielt ihr Pferd an. „Ist das die
Genoveva von Manen?"

„Es ist die heilige Genoveva von Paris!" erklärte der Fürst. „Sie ist
schon seit vielen Jahrhunderten eine Heilige gewesen, und diese Kirche ist ihr
geweiht. Zwar soll es hier in der Nähe noch eine geben, von ihr habe ich
gehört, und ich meine auch, daß in Laach eine Geschichte von ihr in der
Klosterbibliothek zu finden ist. Aber die Rechte ist sie denn doch wohl nicht
gewesen!"

Er begann, nach seiner lebhaften und belesenen Art, von den Heiligen der
römischen Kirche zu berichten, und Josias, der vorritt, gähnte einige Male ver-
stohlen. Denn zu den Heiligen rechnete er nur die Apostel, und auch von
ihnen war seine Kenntnis nicht groß. Heilwig aber hörte dem Herrn auf¬
merksam zu und fragte manches. Wie sie nun durch den sprießenden Wald
ritt, die reine Luft eiuatmete und die ziehenden Wolken sah, da war es ihr,
als würde sie wieder jung, und Gedanken, die lange in ihr geschlummert
hatten, wurden wach und bewegten ihr Herz. Dann hielt die kleine Schar auf
der Höhe und sah hinab auf den See, auf das Kloster. Der See war da,
ihm hatte der Feind nichts anhaben können, aber das Kloster lag zum Teil
noch in Trümmern. Viele fleißige Gestalten, in der Kutte und ohne sie,
schafften emsig, aber jeder konnte sehen, daß hier Schätze zerstört waren, die
niemals wiederkehrten.

Ein Mönch kam den Reitern entgegen, begrüßte sie, sobald er merkte, daß
sie friedliche Absichten hatten und führte sie zum Prior, der gerade den weißen
Kalkbrei rührte und sich nicht von einem Maurer unterschied. Aber als er
die an einem Baum hängende Kutte überwarf und sich die Hände und Gesicht
gewaschen hatte, war es ein vornehmer Mann, der sich seiner Arbeit nicht
schämte. AIs der Herzog sich zu erkennen gab, entstand unter den anderen
Mönchen eine Bewegung, und einer von ihnen, ein alter Mann, trat hervor
und brach in Tränen aus.

„Ach. Euer Gnaden, wie anders ist es hier gewesen als Ihr das letztemal
hier wäret! Damals hatten wir noch unser Kloster, an das kein Feind Hand
legte, unsere Bibliothek, unsere heiligen Reliquien! Wo ist alles geblieben?
Der Feind nahm uns alles; und als wir in der Höhle unter dem Hochstein
saßen, weil wir doch nicht alle sterben wollten, da waren es Teufel, die hier
hausten I"

Unter Weinen berichtete er vom Abt Plautus. den der Schlag gerührt
hatte und der nun ein hilfloser Greis war, der kein Gedächtnis mehr hatte,
und mit dem man sprechen mußte, als wäre er ein kleines Kind. Der Schlag¬
anfall war gekommen, als er zum dritten Male aus dem Kloster fliehen mußte.

„Wir hatten niemanden, der uns half, gnädiger Herr, wie Ihr uns damals
hälfet!" setzte der alte Bruder hinzu und richtete dann seine Augen auf Heilwig.
die voni Pferde gesprungen war und ihm atemlos zuhörte.*


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[0239] Die Hexe von Raym „Die heilige Genoveva?" Heilwig hielt ihr Pferd an. „Ist das die Genoveva von Manen?" „Es ist die heilige Genoveva von Paris!" erklärte der Fürst. „Sie ist schon seit vielen Jahrhunderten eine Heilige gewesen, und diese Kirche ist ihr geweiht. Zwar soll es hier in der Nähe noch eine geben, von ihr habe ich gehört, und ich meine auch, daß in Laach eine Geschichte von ihr in der Klosterbibliothek zu finden ist. Aber die Rechte ist sie denn doch wohl nicht gewesen!" Er begann, nach seiner lebhaften und belesenen Art, von den Heiligen der römischen Kirche zu berichten, und Josias, der vorritt, gähnte einige Male ver- stohlen. Denn zu den Heiligen rechnete er nur die Apostel, und auch von ihnen war seine Kenntnis nicht groß. Heilwig aber hörte dem Herrn auf¬ merksam zu und fragte manches. Wie sie nun durch den sprießenden Wald ritt, die reine Luft eiuatmete und die ziehenden Wolken sah, da war es ihr, als würde sie wieder jung, und Gedanken, die lange in ihr geschlummert hatten, wurden wach und bewegten ihr Herz. Dann hielt die kleine Schar auf der Höhe und sah hinab auf den See, auf das Kloster. Der See war da, ihm hatte der Feind nichts anhaben können, aber das Kloster lag zum Teil noch in Trümmern. Viele fleißige Gestalten, in der Kutte und ohne sie, schafften emsig, aber jeder konnte sehen, daß hier Schätze zerstört waren, die niemals wiederkehrten. Ein Mönch kam den Reitern entgegen, begrüßte sie, sobald er merkte, daß sie friedliche Absichten hatten und führte sie zum Prior, der gerade den weißen Kalkbrei rührte und sich nicht von einem Maurer unterschied. Aber als er die an einem Baum hängende Kutte überwarf und sich die Hände und Gesicht gewaschen hatte, war es ein vornehmer Mann, der sich seiner Arbeit nicht schämte. AIs der Herzog sich zu erkennen gab, entstand unter den anderen Mönchen eine Bewegung, und einer von ihnen, ein alter Mann, trat hervor und brach in Tränen aus. „Ach. Euer Gnaden, wie anders ist es hier gewesen als Ihr das letztemal hier wäret! Damals hatten wir noch unser Kloster, an das kein Feind Hand legte, unsere Bibliothek, unsere heiligen Reliquien! Wo ist alles geblieben? Der Feind nahm uns alles; und als wir in der Höhle unter dem Hochstein saßen, weil wir doch nicht alle sterben wollten, da waren es Teufel, die hier hausten I" Unter Weinen berichtete er vom Abt Plautus. den der Schlag gerührt hatte und der nun ein hilfloser Greis war, der kein Gedächtnis mehr hatte, und mit dem man sprechen mußte, als wäre er ein kleines Kind. Der Schlag¬ anfall war gekommen, als er zum dritten Male aus dem Kloster fliehen mußte. „Wir hatten niemanden, der uns half, gnädiger Herr, wie Ihr uns damals hälfet!" setzte der alte Bruder hinzu und richtete dann seine Augen auf Heilwig. die voni Pferde gesprungen war und ihm atemlos zuhörte.* 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/239>, abgerufen am 25.07.2024.