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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Also rüstete er sich zur Weiterfahrt, nachdem er noch eine ernste Konferenz
mit dem kurfürstlichen Rat gehabt hatte, der immer von neuem gelobte, den Armen
zu helfen, wie es nur in seiner Macht stände.

Als Josias mit der Nachricht zu Heilwig kam, daß es am morgenden Tage
weiterginge, fragte sie ihn, ob er denn so notwendig in den Generalstaaten zu
tun habe? Er war überrascht.

"Es ist doch abgemacht, daß wir mit seiner Gnaden reisen," entgegnete er.
"Zudem ist das Land noch sehr unsicher und es ist geraten, daß wir über Bonn nach
Köln fahren und von dort über die Grenze, wo keine Franzosen zu finden sind."

"Ich aber möchte einmal nach Manen fahrenI" sagte Frau Heilwig.
"Dorthin, wo sie mich einst als Hexe oder Ketzerin einsteckten. Auch das
Kloster Laach sähe ich gern wieder, wo der Abt so gütig war. und dann das
kleine Dorf, wo die edle Frau Brewer wohnte, die mir damals viele Gutheit
erwies. Können wir nicht ein wenig hinter den fürstlichen Herrschaften her¬
fahren, daß mir mein Wunsch gewährt wird? So nahe bin ich denen, die mir
einst Freundlichkeit erwiesen, und Ihr habt noch manchen Gulden in der Tasche.
Soll ich an denen, die vielleicht im Elend sitzen, vorübergehen, wie Priester und
Levit im Gleichnis vom Samariter?"

Sie sprach lebhaft, wie lange nicht, und ihre Augen waren blau geworden
wie in jungen Tagen. Herr Josias war überrascht. Im Grunde war er nicht
gewohnt, daß seine Frau anders wollte als er. Dann aber gefiel es ihm, daß
Heilwig mit ihm einen längeren Satz gesprochen hatte, wie seit Monden nicht,
und daß ihre Augen so blau waren.

Aber er gab nur eine ausweichende Antwort und ging alsbald zum Herzog,
um ihm dies sonderbare Gelüste seiner Eheliebsten zu melden.

Der aber war sehr zufrieden.

"Laßt sie gewähren, lieber Herr! Warum soll ein Weib nicht auch
einmal ihren Willen durchsetzen? Hätte ich Zeit, würde ich gleichfalls zum Abt
nach Laach gehen, wo es, wie ich höre, übel aussehen soll, und das Städtlein
mit den, schiefen Turm, das Ihr so wacker einnehmen hälfet, solltet Ihr Euch
doch ansehen. Meiner Treu!" er wurde lebhaft. "Mich deucht, ein paar Tage
könnten die Generalstaaten mit ihrer Schlacht noch verziehen, glaube auch gar
nicht, daß sie schon fertig sind. Ich reite mit Euch, denn zum Fahren gibt es
nichts auf diesen Wegen!"

Am nächsten Morgen schon ritten der Herzog, Josias und Frau Heilwig
nach Laach hinauf. Es war März geworden. Die Sonne lag auf den verödeten
Feldern, und die Bäume, die nicht abgeschlagen oder verbrannt waren,
begannen zu knospen. Dazu wehte ein scharfer Wind von Osten her und weiße
Wolken eilten über den klaren Himmel dahin.

Gerade, als die Reiter auf den steinigen Weg in die Berge gelangten,
begannen in Andernach die Glocken zu läuten. Der Herzog sah sich um.

"Die heilige Genooeva sendet uns einen Gruß!" sagte er lächelnd.


Die Hexe von Mayen

Also rüstete er sich zur Weiterfahrt, nachdem er noch eine ernste Konferenz
mit dem kurfürstlichen Rat gehabt hatte, der immer von neuem gelobte, den Armen
zu helfen, wie es nur in seiner Macht stände.

Als Josias mit der Nachricht zu Heilwig kam, daß es am morgenden Tage
weiterginge, fragte sie ihn, ob er denn so notwendig in den Generalstaaten zu
tun habe? Er war überrascht.

„Es ist doch abgemacht, daß wir mit seiner Gnaden reisen," entgegnete er.
„Zudem ist das Land noch sehr unsicher und es ist geraten, daß wir über Bonn nach
Köln fahren und von dort über die Grenze, wo keine Franzosen zu finden sind."

„Ich aber möchte einmal nach Manen fahrenI" sagte Frau Heilwig.
„Dorthin, wo sie mich einst als Hexe oder Ketzerin einsteckten. Auch das
Kloster Laach sähe ich gern wieder, wo der Abt so gütig war. und dann das
kleine Dorf, wo die edle Frau Brewer wohnte, die mir damals viele Gutheit
erwies. Können wir nicht ein wenig hinter den fürstlichen Herrschaften her¬
fahren, daß mir mein Wunsch gewährt wird? So nahe bin ich denen, die mir
einst Freundlichkeit erwiesen, und Ihr habt noch manchen Gulden in der Tasche.
Soll ich an denen, die vielleicht im Elend sitzen, vorübergehen, wie Priester und
Levit im Gleichnis vom Samariter?"

Sie sprach lebhaft, wie lange nicht, und ihre Augen waren blau geworden
wie in jungen Tagen. Herr Josias war überrascht. Im Grunde war er nicht
gewohnt, daß seine Frau anders wollte als er. Dann aber gefiel es ihm, daß
Heilwig mit ihm einen längeren Satz gesprochen hatte, wie seit Monden nicht,
und daß ihre Augen so blau waren.

Aber er gab nur eine ausweichende Antwort und ging alsbald zum Herzog,
um ihm dies sonderbare Gelüste seiner Eheliebsten zu melden.

Der aber war sehr zufrieden.

„Laßt sie gewähren, lieber Herr! Warum soll ein Weib nicht auch
einmal ihren Willen durchsetzen? Hätte ich Zeit, würde ich gleichfalls zum Abt
nach Laach gehen, wo es, wie ich höre, übel aussehen soll, und das Städtlein
mit den, schiefen Turm, das Ihr so wacker einnehmen hälfet, solltet Ihr Euch
doch ansehen. Meiner Treu!" er wurde lebhaft. „Mich deucht, ein paar Tage
könnten die Generalstaaten mit ihrer Schlacht noch verziehen, glaube auch gar
nicht, daß sie schon fertig sind. Ich reite mit Euch, denn zum Fahren gibt es
nichts auf diesen Wegen!"

Am nächsten Morgen schon ritten der Herzog, Josias und Frau Heilwig
nach Laach hinauf. Es war März geworden. Die Sonne lag auf den verödeten
Feldern, und die Bäume, die nicht abgeschlagen oder verbrannt waren,
begannen zu knospen. Dazu wehte ein scharfer Wind von Osten her und weiße
Wolken eilten über den klaren Himmel dahin.

Gerade, als die Reiter auf den steinigen Weg in die Berge gelangten,
begannen in Andernach die Glocken zu läuten. Der Herzog sah sich um.

„Die heilige Genooeva sendet uns einen Gruß!" sagte er lächelnd.


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[0238] Die Hexe von Mayen Also rüstete er sich zur Weiterfahrt, nachdem er noch eine ernste Konferenz mit dem kurfürstlichen Rat gehabt hatte, der immer von neuem gelobte, den Armen zu helfen, wie es nur in seiner Macht stände. Als Josias mit der Nachricht zu Heilwig kam, daß es am morgenden Tage weiterginge, fragte sie ihn, ob er denn so notwendig in den Generalstaaten zu tun habe? Er war überrascht. „Es ist doch abgemacht, daß wir mit seiner Gnaden reisen," entgegnete er. „Zudem ist das Land noch sehr unsicher und es ist geraten, daß wir über Bonn nach Köln fahren und von dort über die Grenze, wo keine Franzosen zu finden sind." „Ich aber möchte einmal nach Manen fahrenI" sagte Frau Heilwig. „Dorthin, wo sie mich einst als Hexe oder Ketzerin einsteckten. Auch das Kloster Laach sähe ich gern wieder, wo der Abt so gütig war. und dann das kleine Dorf, wo die edle Frau Brewer wohnte, die mir damals viele Gutheit erwies. Können wir nicht ein wenig hinter den fürstlichen Herrschaften her¬ fahren, daß mir mein Wunsch gewährt wird? So nahe bin ich denen, die mir einst Freundlichkeit erwiesen, und Ihr habt noch manchen Gulden in der Tasche. Soll ich an denen, die vielleicht im Elend sitzen, vorübergehen, wie Priester und Levit im Gleichnis vom Samariter?" Sie sprach lebhaft, wie lange nicht, und ihre Augen waren blau geworden wie in jungen Tagen. Herr Josias war überrascht. Im Grunde war er nicht gewohnt, daß seine Frau anders wollte als er. Dann aber gefiel es ihm, daß Heilwig mit ihm einen längeren Satz gesprochen hatte, wie seit Monden nicht, und daß ihre Augen so blau waren. Aber er gab nur eine ausweichende Antwort und ging alsbald zum Herzog, um ihm dies sonderbare Gelüste seiner Eheliebsten zu melden. Der aber war sehr zufrieden. „Laßt sie gewähren, lieber Herr! Warum soll ein Weib nicht auch einmal ihren Willen durchsetzen? Hätte ich Zeit, würde ich gleichfalls zum Abt nach Laach gehen, wo es, wie ich höre, übel aussehen soll, und das Städtlein mit den, schiefen Turm, das Ihr so wacker einnehmen hälfet, solltet Ihr Euch doch ansehen. Meiner Treu!" er wurde lebhaft. „Mich deucht, ein paar Tage könnten die Generalstaaten mit ihrer Schlacht noch verziehen, glaube auch gar nicht, daß sie schon fertig sind. Ich reite mit Euch, denn zum Fahren gibt es nichts auf diesen Wegen!" Am nächsten Morgen schon ritten der Herzog, Josias und Frau Heilwig nach Laach hinauf. Es war März geworden. Die Sonne lag auf den verödeten Feldern, und die Bäume, die nicht abgeschlagen oder verbrannt waren, begannen zu knospen. Dazu wehte ein scharfer Wind von Osten her und weiße Wolken eilten über den klaren Himmel dahin. Gerade, als die Reiter auf den steinigen Weg in die Berge gelangten, begannen in Andernach die Glocken zu läuten. Der Herzog sah sich um. „Die heilige Genooeva sendet uns einen Gruß!" sagte er lächelnd.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/238>, abgerufen am 24.07.2024.