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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaft und Kunst

Dem Gedanken der Wiederbelebung des Handwerkes und nicht der Fabrik-
industrie zuliebe hat man Museen, Fachschulen und Lehrwerkstätten errichtet,
Ausstellungen und Preisausschreiben veranstaltet. Die Erfahrung hat indessen
überall gelehrt, daß für den Kleinbetrieb von diesen Bestrebungen sehr wenig
abgefallen ist. Abgesehen etwa von der Schlosserei, die durch die Wieder¬
verwendung schmiedeeiserner Gitter, Türen, Laternen und dergleichen einiges
gewonnen hat, hat kaum ein Handwerk größeren Nutzen aus der modernen
Kunstgewerbebewegung gezogen. Tatsache dagegen ist es, daß alle geschäftlich
erfolgreichen Träger der kunstgewerblichen Bewegung Fabrikbetriebe großen und
größten Stils sind. Damit aber ist der praktische Beweis erbracht worden,
daß die Maschinenindustrie nicht nur präzis gearbeitete, billige Massenprodukte,
sondern auch künstlerisch durchgebildete und höheren ästhetischen Anforderungen
genügende Fabrikate zu liefern vermag.

Freilich dasjenige, was Männern wie Ruskin, Morris und anderen
Künstlern an der Handwerkerarbeit überhaupt und besonders beim Kunsthand¬
werk so vortrefflich erschien -- die Vereinigung von Künstler und Handwerker
in einer Person --, ist in der modernen Jndustrieentwicllung völlig verloren
gegangen. Verfolgen wir die Jndustrieentwicklung vom mittelalterlichen Hand¬
werk bis zur modernen Maschinenindustrie, so sehen wir mit steigender Kom¬
pliziertheit des Arbeitsprozesses eine wachsende Differenzierung eintreten, die
allmählich die völlige Trennung des entwerfenden Künstlers vom ausführenden
Arbeiter bewirkte. Eine neue, durch die Spezialisierung und Verfeinerung der
Technik gebotene, feingegliederte Arbeitsorganisation bildete sich in der Industrie
heraus, die mit dem Siege der Maschine auch in das Kunstgewerbe ihren
Einzug gehalten hat. Der organisierte Unternehmer bildet heute auch in der
Kunstindustrie den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Er ist der Vermittler
zwischen Künstlern und ausführenden Arbeitern, er kauft vom freischaffenden
oder festangestellten Künstler die Entwürfe und Vorlagen für seine Produkte
und läßt sie dann -- den Wunsch nach Massenabsatz im Herzen -- von einer
Schar verschieden qualifizierter Arbeiter auf mechanischem Wege herstellen.
Fast will es scheinen, als wenn bei dieser Organisation der kunstgewerblichen
Produktion die ausführenden Arbeiter jeder tiefergehenden Ausbildung entraten
könnten. Das ist indes ein schwerer Irrtum, von dem uns schon ein flüchtiger
Überblick über die moderne Kunstgewerbebewegung leicht zu befreien vermag.
Eine künstlerische Durchsättigung aller Formen des Maschinenzeitalters erfordert
eine künstlerische Durcharbeitung auch der industriellen Herstellungsweise. Und
diese wieder läßt sich nur erzielen, wenn alle industriellen Hilfskräfte eine Aus¬
bildung erhalten haben, die nicht nur auf die Beherrschung der Technik ab¬
zielt, sondern auch ästhetisches Erkennen und Empfinden im Arbeiter wach¬
rufen will.

Und noch ein anderes hat sich zugleich mit dem siegreichen Vordringen des
industriellen Massenfabrikates, des Maschinenerzeugnifses und der damit ver-


Wirtschaft und Kunst

Dem Gedanken der Wiederbelebung des Handwerkes und nicht der Fabrik-
industrie zuliebe hat man Museen, Fachschulen und Lehrwerkstätten errichtet,
Ausstellungen und Preisausschreiben veranstaltet. Die Erfahrung hat indessen
überall gelehrt, daß für den Kleinbetrieb von diesen Bestrebungen sehr wenig
abgefallen ist. Abgesehen etwa von der Schlosserei, die durch die Wieder¬
verwendung schmiedeeiserner Gitter, Türen, Laternen und dergleichen einiges
gewonnen hat, hat kaum ein Handwerk größeren Nutzen aus der modernen
Kunstgewerbebewegung gezogen. Tatsache dagegen ist es, daß alle geschäftlich
erfolgreichen Träger der kunstgewerblichen Bewegung Fabrikbetriebe großen und
größten Stils sind. Damit aber ist der praktische Beweis erbracht worden,
daß die Maschinenindustrie nicht nur präzis gearbeitete, billige Massenprodukte,
sondern auch künstlerisch durchgebildete und höheren ästhetischen Anforderungen
genügende Fabrikate zu liefern vermag.

Freilich dasjenige, was Männern wie Ruskin, Morris und anderen
Künstlern an der Handwerkerarbeit überhaupt und besonders beim Kunsthand¬
werk so vortrefflich erschien — die Vereinigung von Künstler und Handwerker
in einer Person —, ist in der modernen Jndustrieentwicllung völlig verloren
gegangen. Verfolgen wir die Jndustrieentwicklung vom mittelalterlichen Hand¬
werk bis zur modernen Maschinenindustrie, so sehen wir mit steigender Kom¬
pliziertheit des Arbeitsprozesses eine wachsende Differenzierung eintreten, die
allmählich die völlige Trennung des entwerfenden Künstlers vom ausführenden
Arbeiter bewirkte. Eine neue, durch die Spezialisierung und Verfeinerung der
Technik gebotene, feingegliederte Arbeitsorganisation bildete sich in der Industrie
heraus, die mit dem Siege der Maschine auch in das Kunstgewerbe ihren
Einzug gehalten hat. Der organisierte Unternehmer bildet heute auch in der
Kunstindustrie den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Er ist der Vermittler
zwischen Künstlern und ausführenden Arbeitern, er kauft vom freischaffenden
oder festangestellten Künstler die Entwürfe und Vorlagen für seine Produkte
und läßt sie dann — den Wunsch nach Massenabsatz im Herzen — von einer
Schar verschieden qualifizierter Arbeiter auf mechanischem Wege herstellen.
Fast will es scheinen, als wenn bei dieser Organisation der kunstgewerblichen
Produktion die ausführenden Arbeiter jeder tiefergehenden Ausbildung entraten
könnten. Das ist indes ein schwerer Irrtum, von dem uns schon ein flüchtiger
Überblick über die moderne Kunstgewerbebewegung leicht zu befreien vermag.
Eine künstlerische Durchsättigung aller Formen des Maschinenzeitalters erfordert
eine künstlerische Durcharbeitung auch der industriellen Herstellungsweise. Und
diese wieder läßt sich nur erzielen, wenn alle industriellen Hilfskräfte eine Aus¬
bildung erhalten haben, die nicht nur auf die Beherrschung der Technik ab¬
zielt, sondern auch ästhetisches Erkennen und Empfinden im Arbeiter wach¬
rufen will.

Und noch ein anderes hat sich zugleich mit dem siegreichen Vordringen des
industriellen Massenfabrikates, des Maschinenerzeugnifses und der damit ver-


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[0222] Wirtschaft und Kunst Dem Gedanken der Wiederbelebung des Handwerkes und nicht der Fabrik- industrie zuliebe hat man Museen, Fachschulen und Lehrwerkstätten errichtet, Ausstellungen und Preisausschreiben veranstaltet. Die Erfahrung hat indessen überall gelehrt, daß für den Kleinbetrieb von diesen Bestrebungen sehr wenig abgefallen ist. Abgesehen etwa von der Schlosserei, die durch die Wieder¬ verwendung schmiedeeiserner Gitter, Türen, Laternen und dergleichen einiges gewonnen hat, hat kaum ein Handwerk größeren Nutzen aus der modernen Kunstgewerbebewegung gezogen. Tatsache dagegen ist es, daß alle geschäftlich erfolgreichen Träger der kunstgewerblichen Bewegung Fabrikbetriebe großen und größten Stils sind. Damit aber ist der praktische Beweis erbracht worden, daß die Maschinenindustrie nicht nur präzis gearbeitete, billige Massenprodukte, sondern auch künstlerisch durchgebildete und höheren ästhetischen Anforderungen genügende Fabrikate zu liefern vermag. Freilich dasjenige, was Männern wie Ruskin, Morris und anderen Künstlern an der Handwerkerarbeit überhaupt und besonders beim Kunsthand¬ werk so vortrefflich erschien — die Vereinigung von Künstler und Handwerker in einer Person —, ist in der modernen Jndustrieentwicllung völlig verloren gegangen. Verfolgen wir die Jndustrieentwicklung vom mittelalterlichen Hand¬ werk bis zur modernen Maschinenindustrie, so sehen wir mit steigender Kom¬ pliziertheit des Arbeitsprozesses eine wachsende Differenzierung eintreten, die allmählich die völlige Trennung des entwerfenden Künstlers vom ausführenden Arbeiter bewirkte. Eine neue, durch die Spezialisierung und Verfeinerung der Technik gebotene, feingegliederte Arbeitsorganisation bildete sich in der Industrie heraus, die mit dem Siege der Maschine auch in das Kunstgewerbe ihren Einzug gehalten hat. Der organisierte Unternehmer bildet heute auch in der Kunstindustrie den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Er ist der Vermittler zwischen Künstlern und ausführenden Arbeitern, er kauft vom freischaffenden oder festangestellten Künstler die Entwürfe und Vorlagen für seine Produkte und läßt sie dann — den Wunsch nach Massenabsatz im Herzen — von einer Schar verschieden qualifizierter Arbeiter auf mechanischem Wege herstellen. Fast will es scheinen, als wenn bei dieser Organisation der kunstgewerblichen Produktion die ausführenden Arbeiter jeder tiefergehenden Ausbildung entraten könnten. Das ist indes ein schwerer Irrtum, von dem uns schon ein flüchtiger Überblick über die moderne Kunstgewerbebewegung leicht zu befreien vermag. Eine künstlerische Durchsättigung aller Formen des Maschinenzeitalters erfordert eine künstlerische Durcharbeitung auch der industriellen Herstellungsweise. Und diese wieder läßt sich nur erzielen, wenn alle industriellen Hilfskräfte eine Aus¬ bildung erhalten haben, die nicht nur auf die Beherrschung der Technik ab¬ zielt, sondern auch ästhetisches Erkennen und Empfinden im Arbeiter wach¬ rufen will. Und noch ein anderes hat sich zugleich mit dem siegreichen Vordringen des industriellen Massenfabrikates, des Maschinenerzeugnifses und der damit ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/222>, abgerufen am 04.07.2024.