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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Freude und Interesse abzugewinnen und in seelische Beziehung zum Erzeugnis
seiner Hände zu treten, ihm also das wieder zu verschaffen, was der mittel¬
alterliche Handwerker zweifellos besaß. Der Gedanke der Wiederbelebung der
Handwerkskunst, der später auch in Deutschland lange Zeit zur Losung weiter
gewerblicher und auch künstlerischer Kreise wurde, stammt von ihm, und die
praktischen Versuche, die er in Gemeinschaft mit einer Schar von Freunden
unternahm, verliefen durchaus in dieser Richtung. Die Entwicklung hat ihm
freilich nicht recht gegeben, der Gewerbebetrieb hat sich mehr und mehr von
seinem Ideal der mittelalterlichen Werkstatt entfernt und ist gerade dort, wo er
leistungsfähig ist. fast stets zum maschinellen Großbetrieb geworden. Trotzdem
haben Morris' Reformversuche einen tiefgehenden Einfluß auf die Gewerbe¬
entwicklung ausgeübt und sind sür die Qualitätsverbesserung, die Durchdringung
der Produktion mit künstlerischen Elementen, die Hebung des Geschmackes und
die Ausbildung zahlreicher kunstgewerblicher Techniken von grundlegender Be¬
deutung geworden.

Die Bewegung, die durch die Betätigung Morris' in England ausgelöst
worden ist, kann nur verstanden werden als Rückschlag gegen die beginnende
Überflutung des Landes mit industriellen Massenerzeuguissen. Es ist eine Erfah¬
rung, die man in allen Ländern machen kann, in denen die Maschinenindustrie
anfängt, groß und bedeutungsvoll zu werden: erst wird Plunder fabriziert,
Schund, "Fabrikware", Massenartikel von schlechtem Material und noch schlechterem
Geschmack, aus denen das persönliche Element völlig verschwunden ist, und
die jedes künstlerischen Einschlages entbehren; dann kommen Waren von durch¬
schnittlicher Güte aus etwas besserem Material, bei deren Herstellung die Menschen¬
hand zum Teil wieder zu Hilfe genommen ist, und in denen deshalb der
seelische Einschlag nicht ganz fehlt; schließlich entsteht die Kunstindustrie, bei
der Künstler die Vorlagen liefern, unechte Materialien durch echte verdrängt
werden, kurz, Qualitätsware im strengsten Sinne des Wortes hervorgebracht
wird; und für die Zukunft steigt das Ideal einer künstlerisch durchgebildeten
Maschinenindustrie herauf, deren Erzeugnisse allen Anforderungen in technischer
und ästhetischer Hinsicht genügen. Das sind die Entwicklungsstufen, die die
industrielle Produktion wenigstens in unserem abendländischen Kulturkreis überall
zu durchlaufen scheint. Parallel mit diesem Aufsteigen des Maschinenerzeugnisses
vom Plunder zur Qualitätsware geht eine Steigerung der Leistungsfähigkeit
und der Bewertung der industriellen Hilfskräfte, der Fabrikarbeiter. Beide
Entwicklungsreihen stehen in enger Wechselbeziehung miteinander; denn es ist
klar, daß die Herstellung von Qualitätsware an die Leistungsfähigkeit und
Tüchtigkeit der Arbeiter andere Anforderungen stellt als die von Schund und
billigen Massenartikeln.

Die englische Entwicklung hat diesen Satz zuerst praktisch bewiesen. Die
kunstgewerblichen Erfolge der letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts
sind nicht denkbar ohne die jahrzehntelangen Bemühungen um ein kunstgewerb-


Freude und Interesse abzugewinnen und in seelische Beziehung zum Erzeugnis
seiner Hände zu treten, ihm also das wieder zu verschaffen, was der mittel¬
alterliche Handwerker zweifellos besaß. Der Gedanke der Wiederbelebung der
Handwerkskunst, der später auch in Deutschland lange Zeit zur Losung weiter
gewerblicher und auch künstlerischer Kreise wurde, stammt von ihm, und die
praktischen Versuche, die er in Gemeinschaft mit einer Schar von Freunden
unternahm, verliefen durchaus in dieser Richtung. Die Entwicklung hat ihm
freilich nicht recht gegeben, der Gewerbebetrieb hat sich mehr und mehr von
seinem Ideal der mittelalterlichen Werkstatt entfernt und ist gerade dort, wo er
leistungsfähig ist. fast stets zum maschinellen Großbetrieb geworden. Trotzdem
haben Morris' Reformversuche einen tiefgehenden Einfluß auf die Gewerbe¬
entwicklung ausgeübt und sind sür die Qualitätsverbesserung, die Durchdringung
der Produktion mit künstlerischen Elementen, die Hebung des Geschmackes und
die Ausbildung zahlreicher kunstgewerblicher Techniken von grundlegender Be¬
deutung geworden.

Die Bewegung, die durch die Betätigung Morris' in England ausgelöst
worden ist, kann nur verstanden werden als Rückschlag gegen die beginnende
Überflutung des Landes mit industriellen Massenerzeuguissen. Es ist eine Erfah¬
rung, die man in allen Ländern machen kann, in denen die Maschinenindustrie
anfängt, groß und bedeutungsvoll zu werden: erst wird Plunder fabriziert,
Schund, „Fabrikware", Massenartikel von schlechtem Material und noch schlechterem
Geschmack, aus denen das persönliche Element völlig verschwunden ist, und
die jedes künstlerischen Einschlages entbehren; dann kommen Waren von durch¬
schnittlicher Güte aus etwas besserem Material, bei deren Herstellung die Menschen¬
hand zum Teil wieder zu Hilfe genommen ist, und in denen deshalb der
seelische Einschlag nicht ganz fehlt; schließlich entsteht die Kunstindustrie, bei
der Künstler die Vorlagen liefern, unechte Materialien durch echte verdrängt
werden, kurz, Qualitätsware im strengsten Sinne des Wortes hervorgebracht
wird; und für die Zukunft steigt das Ideal einer künstlerisch durchgebildeten
Maschinenindustrie herauf, deren Erzeugnisse allen Anforderungen in technischer
und ästhetischer Hinsicht genügen. Das sind die Entwicklungsstufen, die die
industrielle Produktion wenigstens in unserem abendländischen Kulturkreis überall
zu durchlaufen scheint. Parallel mit diesem Aufsteigen des Maschinenerzeugnisses
vom Plunder zur Qualitätsware geht eine Steigerung der Leistungsfähigkeit
und der Bewertung der industriellen Hilfskräfte, der Fabrikarbeiter. Beide
Entwicklungsreihen stehen in enger Wechselbeziehung miteinander; denn es ist
klar, daß die Herstellung von Qualitätsware an die Leistungsfähigkeit und
Tüchtigkeit der Arbeiter andere Anforderungen stellt als die von Schund und
billigen Massenartikeln.

Die englische Entwicklung hat diesen Satz zuerst praktisch bewiesen. Die
kunstgewerblichen Erfolge der letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts
sind nicht denkbar ohne die jahrzehntelangen Bemühungen um ein kunstgewerb-


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[0216] Freude und Interesse abzugewinnen und in seelische Beziehung zum Erzeugnis seiner Hände zu treten, ihm also das wieder zu verschaffen, was der mittel¬ alterliche Handwerker zweifellos besaß. Der Gedanke der Wiederbelebung der Handwerkskunst, der später auch in Deutschland lange Zeit zur Losung weiter gewerblicher und auch künstlerischer Kreise wurde, stammt von ihm, und die praktischen Versuche, die er in Gemeinschaft mit einer Schar von Freunden unternahm, verliefen durchaus in dieser Richtung. Die Entwicklung hat ihm freilich nicht recht gegeben, der Gewerbebetrieb hat sich mehr und mehr von seinem Ideal der mittelalterlichen Werkstatt entfernt und ist gerade dort, wo er leistungsfähig ist. fast stets zum maschinellen Großbetrieb geworden. Trotzdem haben Morris' Reformversuche einen tiefgehenden Einfluß auf die Gewerbe¬ entwicklung ausgeübt und sind sür die Qualitätsverbesserung, die Durchdringung der Produktion mit künstlerischen Elementen, die Hebung des Geschmackes und die Ausbildung zahlreicher kunstgewerblicher Techniken von grundlegender Be¬ deutung geworden. Die Bewegung, die durch die Betätigung Morris' in England ausgelöst worden ist, kann nur verstanden werden als Rückschlag gegen die beginnende Überflutung des Landes mit industriellen Massenerzeuguissen. Es ist eine Erfah¬ rung, die man in allen Ländern machen kann, in denen die Maschinenindustrie anfängt, groß und bedeutungsvoll zu werden: erst wird Plunder fabriziert, Schund, „Fabrikware", Massenartikel von schlechtem Material und noch schlechterem Geschmack, aus denen das persönliche Element völlig verschwunden ist, und die jedes künstlerischen Einschlages entbehren; dann kommen Waren von durch¬ schnittlicher Güte aus etwas besserem Material, bei deren Herstellung die Menschen¬ hand zum Teil wieder zu Hilfe genommen ist, und in denen deshalb der seelische Einschlag nicht ganz fehlt; schließlich entsteht die Kunstindustrie, bei der Künstler die Vorlagen liefern, unechte Materialien durch echte verdrängt werden, kurz, Qualitätsware im strengsten Sinne des Wortes hervorgebracht wird; und für die Zukunft steigt das Ideal einer künstlerisch durchgebildeten Maschinenindustrie herauf, deren Erzeugnisse allen Anforderungen in technischer und ästhetischer Hinsicht genügen. Das sind die Entwicklungsstufen, die die industrielle Produktion wenigstens in unserem abendländischen Kulturkreis überall zu durchlaufen scheint. Parallel mit diesem Aufsteigen des Maschinenerzeugnisses vom Plunder zur Qualitätsware geht eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Bewertung der industriellen Hilfskräfte, der Fabrikarbeiter. Beide Entwicklungsreihen stehen in enger Wechselbeziehung miteinander; denn es ist klar, daß die Herstellung von Qualitätsware an die Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit der Arbeiter andere Anforderungen stellt als die von Schund und billigen Massenartikeln. Die englische Entwicklung hat diesen Satz zuerst praktisch bewiesen. Die kunstgewerblichen Erfolge der letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts sind nicht denkbar ohne die jahrzehntelangen Bemühungen um ein kunstgewerb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/216>, abgerufen am 25.07.2024.