Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Wirtschaft und Kunst liebes Schulwesen, die mit der parlamentarischen Eingabe von 1835 einsetzten. Es läßt sich gerade an England recht anschaulich beweisen, welchen Einfluß Wirtschaft und Kunst liebes Schulwesen, die mit der parlamentarischen Eingabe von 1835 einsetzten. Es läßt sich gerade an England recht anschaulich beweisen, welchen Einfluß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328317"/> <fw type="header" place="top"> Wirtschaft und Kunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_950" prev="#ID_949"> liebes Schulwesen, die mit der parlamentarischen Eingabe von 1835 einsetzten.<lb/> Schon damals wurde die Gründung von Zeichenschulen sowie von Kunst- und<lb/> .Kunstgewerbemuseen und die Einführung kunstwissenschaftlicher Unterrichts an<lb/> den Hochschulen gefordert und teilweise durchgeführt. Aber die Bewegung<lb/> endete mit einem Mißerfolg. Nach der Enquete von 1849 wurden Reform-<lb/> versuche gemacht, und ein rastloses organisatorisches Schaffen setzte ein. Unter<lb/> der Führung Gottfried Sempers begann ein System von Unterrichtsanstalten<lb/> in Verbindungen mit Sammlungen und Bibliotheken für die systematische Zeichen-<lb/> und Kunstgewerbeausbildung des Volkes zu sorgen. Die günstigen Ergebnisse<lb/> der Verwirklichung des Werkstattunterrichts zeigten sich ganz unverkennbar bereits<lb/> auf der Londoner Weltausstellung von 1862. Wenn auch die Nachahmung<lb/> des Alten und die Tendenz zum Historismus noch überwog und es an einen<lb/> einheitlichen Stile fehlte, die Wege waren geebnet für die kunstgewerbliche Re¬<lb/> naissance der Ruskin und Morris, die sich in den siebziger und achtziger Jahren<lb/> entfaltete und sich aus gotischen Reminiszenzen. der Kunst der Chippendale und<lb/> Sheraton, dem Farbensinn der Japaner, dem Formgefühl der Präraffaeliten<lb/> und der modernen Technik einen neuen Stil schuf.</p><lb/> <p xml:id="ID_951" next="#ID_952"> Es läßt sich gerade an England recht anschaulich beweisen, welchen Einfluß<lb/> ein gutes gewerbliches Bildungswesen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<lb/> eines Landes hat. Der englischen Industrie gelang es nur deshalb, die frühere<lb/> Vorherrschaft Frankreichs auf kunstgewerblichen Gebiete zu brechen, weil sie sich<lb/> besser durchgebildete und höher qualifizierte Arbeiter erzog. Das ästhetische<lb/> Niveau der englischen Industrie hob sich mit dem Augenblick, in dem die erste<lb/> gründlich durchgebildete Arbeitergeneration eingestellt wurde. Denn während<lb/> auf den Weltausstellungen von 1851 und 1855 Frankreich durchaus noch die<lb/> künstlerische Führung hatte, obgleich seine Industrie im Historismus, in der<lb/> Nachahmung der Renaissance, der Stile Ludwigs des Vierzehnten, Ludwigs des<lb/> Fünfzehnten und Ludwigs des Sechzehnten, zu «-rsticken drohte und es ihr an<lb/> Formen fehlte, die aus dem Gebrauch abgeleitet waren, hatte auf der Welt¬<lb/> ausstellung von 1862 England den französischen Nebenbuhler bereits geschlagen.<lb/> Von da ab übernahm die englische Industrie die Führung, die ihr die fran¬<lb/> zösische trotz aller Reformen auf dem Gebiete des Zeichenunterrichts, trotz der<lb/> Begründung von Anstalten zur Heranbildung geeigneter Lehrkräfte, der Errichtung<lb/> kunstgewerblicher Fachschulen, der Gründung von Museen und Bibliotheken,<lb/> des AbHaltens von Fachkursen und Vorträgen sowie der Veranstaltung zahl¬<lb/> reicher kunstgewerblicher Ausstellungen, besonders in den achtziger Jahren nicht<lb/> wieder abzunehmen vermochte. Das. was die französische Kunstindustrie seit<lb/> dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts immer mehr verloren hatte. Originalität<lb/> und Reinheit der Empfindung, gewann die englische mit Hilfe ihrer durch¬<lb/> gebildeten, hoch qualifizierten Arbeiterschaft. Hier gelang es zuerst, eine völlige<lb/> Harmonie der Formen und Verzierungen mit dem Zweck oder der Idee des<lb/> Produktes in Übereinstimmung mit dem Material herbeizuführen. Ordnung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
Wirtschaft und Kunst
liebes Schulwesen, die mit der parlamentarischen Eingabe von 1835 einsetzten.
Schon damals wurde die Gründung von Zeichenschulen sowie von Kunst- und
.Kunstgewerbemuseen und die Einführung kunstwissenschaftlicher Unterrichts an
den Hochschulen gefordert und teilweise durchgeführt. Aber die Bewegung
endete mit einem Mißerfolg. Nach der Enquete von 1849 wurden Reform-
versuche gemacht, und ein rastloses organisatorisches Schaffen setzte ein. Unter
der Führung Gottfried Sempers begann ein System von Unterrichtsanstalten
in Verbindungen mit Sammlungen und Bibliotheken für die systematische Zeichen-
und Kunstgewerbeausbildung des Volkes zu sorgen. Die günstigen Ergebnisse
der Verwirklichung des Werkstattunterrichts zeigten sich ganz unverkennbar bereits
auf der Londoner Weltausstellung von 1862. Wenn auch die Nachahmung
des Alten und die Tendenz zum Historismus noch überwog und es an einen
einheitlichen Stile fehlte, die Wege waren geebnet für die kunstgewerbliche Re¬
naissance der Ruskin und Morris, die sich in den siebziger und achtziger Jahren
entfaltete und sich aus gotischen Reminiszenzen. der Kunst der Chippendale und
Sheraton, dem Farbensinn der Japaner, dem Formgefühl der Präraffaeliten
und der modernen Technik einen neuen Stil schuf.
Es läßt sich gerade an England recht anschaulich beweisen, welchen Einfluß
ein gutes gewerbliches Bildungswesen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
eines Landes hat. Der englischen Industrie gelang es nur deshalb, die frühere
Vorherrschaft Frankreichs auf kunstgewerblichen Gebiete zu brechen, weil sie sich
besser durchgebildete und höher qualifizierte Arbeiter erzog. Das ästhetische
Niveau der englischen Industrie hob sich mit dem Augenblick, in dem die erste
gründlich durchgebildete Arbeitergeneration eingestellt wurde. Denn während
auf den Weltausstellungen von 1851 und 1855 Frankreich durchaus noch die
künstlerische Führung hatte, obgleich seine Industrie im Historismus, in der
Nachahmung der Renaissance, der Stile Ludwigs des Vierzehnten, Ludwigs des
Fünfzehnten und Ludwigs des Sechzehnten, zu «-rsticken drohte und es ihr an
Formen fehlte, die aus dem Gebrauch abgeleitet waren, hatte auf der Welt¬
ausstellung von 1862 England den französischen Nebenbuhler bereits geschlagen.
Von da ab übernahm die englische Industrie die Führung, die ihr die fran¬
zösische trotz aller Reformen auf dem Gebiete des Zeichenunterrichts, trotz der
Begründung von Anstalten zur Heranbildung geeigneter Lehrkräfte, der Errichtung
kunstgewerblicher Fachschulen, der Gründung von Museen und Bibliotheken,
des AbHaltens von Fachkursen und Vorträgen sowie der Veranstaltung zahl¬
reicher kunstgewerblicher Ausstellungen, besonders in den achtziger Jahren nicht
wieder abzunehmen vermochte. Das. was die französische Kunstindustrie seit
dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts immer mehr verloren hatte. Originalität
und Reinheit der Empfindung, gewann die englische mit Hilfe ihrer durch¬
gebildeten, hoch qualifizierten Arbeiterschaft. Hier gelang es zuerst, eine völlige
Harmonie der Formen und Verzierungen mit dem Zweck oder der Idee des
Produktes in Übereinstimmung mit dem Material herbeizuführen. Ordnung.
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