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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wir haben auf dem ungemessenen Arbeitsfeld der Außenwelt unendlich
viel nachzuholen. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns an prunkenden
Ziffern über die schon erreichten Erfolge, die gewiß nicht zu unterschätzen sind,
berauschen wollten; der größere Teil des Weges liegt noch vor uns, und auch
die anderen stehen nicht still. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns in dem
großen Ringen um unsere Weltgeltung lediglich auf unsere politischen Macht¬
mittel und unsere wirtschaftliche Arbeit verlassen wollten; nachhaltige Erfolge
sind nur zu erzielen, wenn eine universelle Kulturarbeit hinzukommt. Gerade
in dem letzten Punkte haben andere Nationen, namentlich England und Frank¬
reich, einen großen Vorsprung vor uns voraus und tun, in vollem Verständnis
sür die Wichtigkeit der kulturellen Erpanston, ihr möglichstes, um diesen Vor¬
sprung noch zu vergrößern.

Es ist also in hohem Maße erfreulich, wenn jetzt auch bei uns in Deutsch¬
land das Verständnis für diesen Teil unserer Weltaufgabe in weitere Kreise
dringt und wenn die Ergänzung unseres Rüstzeuges durch eine den neuen Auf¬
gaben angepaßte Ausgestaltung unseres Bildungswesens zur Tagesforderung
geworden ist.

Freilich gehen die Meinungen und Wünsche im einzelnen nicht unerheblich
auseinander.

Vielfach wird Stimmung gemacht für die Errichtung einer selbständigen
und in sich geschlossenen Hochschule als Zentralstelle für diejenigen Zweige des
Wissens und Unterrichts, die sich auf das Ausland beziehen, für eine "Aus-
landshochschule" oder "Auslandsakademie"; für die Errichtung einer solchen
Auslandshochschule, und zwar im Wege der Verselbstündigung und des Aus¬
baues des Orientalischen Seminars, hat sich auch der Reichstag im April 1913
ausgesprochen, während er sich ein Jahr später weniger bestimmt auf dieses
Programm festlegte. Von anderen Seiten wird empfohlen, das Hamburgische
Kolonialinstitut zur deutschen Auslandshochschule fortzuentwickeln. Wieder andere
treten dafür ein, den Handelshochschulen Auslandsinstitute anzugliedern.

Wer sich über diese, in der Grundfrage einigen, in den Wegen ausein¬
andergehenden Vorschläge ein Urteil bilden will, muß sich vor allem Rechen¬
schaft über die Beschaffenheit des vorliegenden Bedürfnisses geben.

Das Bedürfnis ist ein doppeltes:

1. Vertiefung und Spezialisierung der die Verhältnisse des Auslandes und
unsere Beziehungen zum Ausland erfassender wissenschaftlichen Arbeit;

2. die Ausgestaltung der praktischen Vorbildung für die Angehörigen der-
jenigen Berufe, welche sich im Ausland oder im Verkehr mit den: Ausland betätigen.

Beide Aufgaben stehen insofern in Zusammenhang, als die wissenschaftliche
Arbeit, wie bei den bestehenden Hochschulen, die Grundlagen der praktischen
Ausbildung zu schaffen und auszugestalten hat.

Die wissenschaftlichen Aufgaben, die durch unsere wachsenden Auslands¬
beziehungen gestellt werden, bilden in sich nicht eine einzelne Disziplin; sie
*


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Wir haben auf dem ungemessenen Arbeitsfeld der Außenwelt unendlich
viel nachzuholen. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns an prunkenden
Ziffern über die schon erreichten Erfolge, die gewiß nicht zu unterschätzen sind,
berauschen wollten; der größere Teil des Weges liegt noch vor uns, und auch
die anderen stehen nicht still. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns in dem
großen Ringen um unsere Weltgeltung lediglich auf unsere politischen Macht¬
mittel und unsere wirtschaftliche Arbeit verlassen wollten; nachhaltige Erfolge
sind nur zu erzielen, wenn eine universelle Kulturarbeit hinzukommt. Gerade
in dem letzten Punkte haben andere Nationen, namentlich England und Frank¬
reich, einen großen Vorsprung vor uns voraus und tun, in vollem Verständnis
sür die Wichtigkeit der kulturellen Erpanston, ihr möglichstes, um diesen Vor¬
sprung noch zu vergrößern.

Es ist also in hohem Maße erfreulich, wenn jetzt auch bei uns in Deutsch¬
land das Verständnis für diesen Teil unserer Weltaufgabe in weitere Kreise
dringt und wenn die Ergänzung unseres Rüstzeuges durch eine den neuen Auf¬
gaben angepaßte Ausgestaltung unseres Bildungswesens zur Tagesforderung
geworden ist.

Freilich gehen die Meinungen und Wünsche im einzelnen nicht unerheblich
auseinander.

Vielfach wird Stimmung gemacht für die Errichtung einer selbständigen
und in sich geschlossenen Hochschule als Zentralstelle für diejenigen Zweige des
Wissens und Unterrichts, die sich auf das Ausland beziehen, für eine „Aus-
landshochschule" oder „Auslandsakademie"; für die Errichtung einer solchen
Auslandshochschule, und zwar im Wege der Verselbstündigung und des Aus¬
baues des Orientalischen Seminars, hat sich auch der Reichstag im April 1913
ausgesprochen, während er sich ein Jahr später weniger bestimmt auf dieses
Programm festlegte. Von anderen Seiten wird empfohlen, das Hamburgische
Kolonialinstitut zur deutschen Auslandshochschule fortzuentwickeln. Wieder andere
treten dafür ein, den Handelshochschulen Auslandsinstitute anzugliedern.

Wer sich über diese, in der Grundfrage einigen, in den Wegen ausein¬
andergehenden Vorschläge ein Urteil bilden will, muß sich vor allem Rechen¬
schaft über die Beschaffenheit des vorliegenden Bedürfnisses geben.

Das Bedürfnis ist ein doppeltes:

1. Vertiefung und Spezialisierung der die Verhältnisse des Auslandes und
unsere Beziehungen zum Ausland erfassender wissenschaftlichen Arbeit;

2. die Ausgestaltung der praktischen Vorbildung für die Angehörigen der-
jenigen Berufe, welche sich im Ausland oder im Verkehr mit den: Ausland betätigen.

Beide Aufgaben stehen insofern in Zusammenhang, als die wissenschaftliche
Arbeit, wie bei den bestehenden Hochschulen, die Grundlagen der praktischen
Ausbildung zu schaffen und auszugestalten hat.

Die wissenschaftlichen Aufgaben, die durch unsere wachsenden Auslands¬
beziehungen gestellt werden, bilden in sich nicht eine einzelne Disziplin; sie
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[0207] Wir haben auf dem ungemessenen Arbeitsfeld der Außenwelt unendlich viel nachzuholen. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns an prunkenden Ziffern über die schon erreichten Erfolge, die gewiß nicht zu unterschätzen sind, berauschen wollten; der größere Teil des Weges liegt noch vor uns, und auch die anderen stehen nicht still. Es wäre Selbsttäuschung, wenn wir uns in dem großen Ringen um unsere Weltgeltung lediglich auf unsere politischen Macht¬ mittel und unsere wirtschaftliche Arbeit verlassen wollten; nachhaltige Erfolge sind nur zu erzielen, wenn eine universelle Kulturarbeit hinzukommt. Gerade in dem letzten Punkte haben andere Nationen, namentlich England und Frank¬ reich, einen großen Vorsprung vor uns voraus und tun, in vollem Verständnis sür die Wichtigkeit der kulturellen Erpanston, ihr möglichstes, um diesen Vor¬ sprung noch zu vergrößern. Es ist also in hohem Maße erfreulich, wenn jetzt auch bei uns in Deutsch¬ land das Verständnis für diesen Teil unserer Weltaufgabe in weitere Kreise dringt und wenn die Ergänzung unseres Rüstzeuges durch eine den neuen Auf¬ gaben angepaßte Ausgestaltung unseres Bildungswesens zur Tagesforderung geworden ist. Freilich gehen die Meinungen und Wünsche im einzelnen nicht unerheblich auseinander. Vielfach wird Stimmung gemacht für die Errichtung einer selbständigen und in sich geschlossenen Hochschule als Zentralstelle für diejenigen Zweige des Wissens und Unterrichts, die sich auf das Ausland beziehen, für eine „Aus- landshochschule" oder „Auslandsakademie"; für die Errichtung einer solchen Auslandshochschule, und zwar im Wege der Verselbstündigung und des Aus¬ baues des Orientalischen Seminars, hat sich auch der Reichstag im April 1913 ausgesprochen, während er sich ein Jahr später weniger bestimmt auf dieses Programm festlegte. Von anderen Seiten wird empfohlen, das Hamburgische Kolonialinstitut zur deutschen Auslandshochschule fortzuentwickeln. Wieder andere treten dafür ein, den Handelshochschulen Auslandsinstitute anzugliedern. Wer sich über diese, in der Grundfrage einigen, in den Wegen ausein¬ andergehenden Vorschläge ein Urteil bilden will, muß sich vor allem Rechen¬ schaft über die Beschaffenheit des vorliegenden Bedürfnisses geben. Das Bedürfnis ist ein doppeltes: 1. Vertiefung und Spezialisierung der die Verhältnisse des Auslandes und unsere Beziehungen zum Ausland erfassender wissenschaftlichen Arbeit; 2. die Ausgestaltung der praktischen Vorbildung für die Angehörigen der- jenigen Berufe, welche sich im Ausland oder im Verkehr mit den: Ausland betätigen. Beide Aufgaben stehen insofern in Zusammenhang, als die wissenschaftliche Arbeit, wie bei den bestehenden Hochschulen, die Grundlagen der praktischen Ausbildung zu schaffen und auszugestalten hat. Die wissenschaftlichen Aufgaben, die durch unsere wachsenden Auslands¬ beziehungen gestellt werden, bilden in sich nicht eine einzelne Disziplin; sie * 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/207>, abgerufen am 24.07.2024.