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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Hochschulbildung und Auslandsintoressen

Vor allem anderen ist es das Hineinwachsen Deutschlands in die Welt¬
politik und Weltwirtschaft, das fortschreitend neue Anforderungen an das
Bildungswesen stellt. Der wissenschaftlichen Forschung erschließen sich neue
Gebiete, und für die praktische Ausbildung wichtiger Berufe ergeben sich neue
Aufgaben.

Nur Unkenntnis oder Ungerechtigkeit könnte behaupten, daß bisher über¬
haupt nichts geschehen sei, um den neuen Anforderungen zu genügen. Univer¬
sitäten und Handelshochschulen haben denjenigen Materien, welche für unsere
weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Beziehungen bedeutsam sind, in
wachsendem Maße ihre Pflege gewidmet. Vor allem sei hier hingewiesen
auf die Ausgestaltung des dem Verbände der Berliner Universität angehörenden
Seminars für Orientalische Sprachen zu einem den größten Teil unseres
Kolonialwesens und wichtige Gebiete unserer Überseeinteressen zusammenfassenden
Lehrinstitut, ferner auf die Begründung des Instituts für Seeverkehr und Welt¬
wirtschaft an der Universität Kiel, sowie auf die Errichtung des Kolonialinstituts
in Hamburg. Außerdem hat das Auswärtige Amt vor einigen Jahren sür die
Anwärter des diplomatischen und konsularischen Dienstes Vorlesungskurse ein¬
gerichtet, in denen Männer der Wissenschaft und Praxis die wichtigsten Materien
wirtschaftlicher Natur, vor allem die verschiedenen Gebiete unserer auswärtigen
Wirtschaftsbeziehungen behandeln.

Trotz dieser erfreulichen Fortschritte und Neubildungen ist es heute in
Deutschland geradezu Gemeinüberzeugung, daß die sich aus unserer Weltstellung
ergebenden neuen Aufgaben zum großen Teil noch ihrer Lösung harren. Ein
rühriger Kreis von Kolonialpolitikern und "Weltwirtschaftlern" hat eine eifrige
Propaganda für die zeitgemäße Ausgestaltung unseres Bildungswesens ent¬
faltet. Presse und Parlamente haben sich der Frage angenommen und sind
für eine Ergänzung unserer Schulorganisation durch Einrichtungen eingetreten,
die eine bessere Ausbildung für die Tätigkeit im Auslande gewährleisten
sollen.

Die Berechtigung dieser Bestrebungen ist für jedermann, der die Welt und
ihre Entwicklung mit offenen Augen sieht, unverkennbar. Die heute schon vor¬
handenen Ansätze zu einem Erfassen der neuen Ziele heben sich gerade deshalb
besonders auffallend aus der Gesamtorganisation unseres Bildungswesens heraus,
weil unser Bildungswesen in wichtigen Zweigen der Ausweisung unserer wirt¬
schaftlichen und kulturellen Weltstellung noch nicht gefolgt ist, sondern in der
Hauptsache noch einen binnenländischen Charakter bewahrt hat. Dies ist an
sich begreiflich genug und entspricht gleichartigen Erscheinungen, die wir auf den
wichtigsten anderen Lebensgebieten der Nation beobachten. Die innere Festigung
und der innere Ausbau hat die Kräfte des deutschen Volkes fast restlos in
Anspruch genommen, während andere Nationen, die früher als wir zur inneren
Einheit und Reife gelangt waren, sich nach außen hin frei und weit entfalten
konnten.


Hochschulbildung und Auslandsintoressen

Vor allem anderen ist es das Hineinwachsen Deutschlands in die Welt¬
politik und Weltwirtschaft, das fortschreitend neue Anforderungen an das
Bildungswesen stellt. Der wissenschaftlichen Forschung erschließen sich neue
Gebiete, und für die praktische Ausbildung wichtiger Berufe ergeben sich neue
Aufgaben.

Nur Unkenntnis oder Ungerechtigkeit könnte behaupten, daß bisher über¬
haupt nichts geschehen sei, um den neuen Anforderungen zu genügen. Univer¬
sitäten und Handelshochschulen haben denjenigen Materien, welche für unsere
weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Beziehungen bedeutsam sind, in
wachsendem Maße ihre Pflege gewidmet. Vor allem sei hier hingewiesen
auf die Ausgestaltung des dem Verbände der Berliner Universität angehörenden
Seminars für Orientalische Sprachen zu einem den größten Teil unseres
Kolonialwesens und wichtige Gebiete unserer Überseeinteressen zusammenfassenden
Lehrinstitut, ferner auf die Begründung des Instituts für Seeverkehr und Welt¬
wirtschaft an der Universität Kiel, sowie auf die Errichtung des Kolonialinstituts
in Hamburg. Außerdem hat das Auswärtige Amt vor einigen Jahren sür die
Anwärter des diplomatischen und konsularischen Dienstes Vorlesungskurse ein¬
gerichtet, in denen Männer der Wissenschaft und Praxis die wichtigsten Materien
wirtschaftlicher Natur, vor allem die verschiedenen Gebiete unserer auswärtigen
Wirtschaftsbeziehungen behandeln.

Trotz dieser erfreulichen Fortschritte und Neubildungen ist es heute in
Deutschland geradezu Gemeinüberzeugung, daß die sich aus unserer Weltstellung
ergebenden neuen Aufgaben zum großen Teil noch ihrer Lösung harren. Ein
rühriger Kreis von Kolonialpolitikern und „Weltwirtschaftlern" hat eine eifrige
Propaganda für die zeitgemäße Ausgestaltung unseres Bildungswesens ent¬
faltet. Presse und Parlamente haben sich der Frage angenommen und sind
für eine Ergänzung unserer Schulorganisation durch Einrichtungen eingetreten,
die eine bessere Ausbildung für die Tätigkeit im Auslande gewährleisten
sollen.

Die Berechtigung dieser Bestrebungen ist für jedermann, der die Welt und
ihre Entwicklung mit offenen Augen sieht, unverkennbar. Die heute schon vor¬
handenen Ansätze zu einem Erfassen der neuen Ziele heben sich gerade deshalb
besonders auffallend aus der Gesamtorganisation unseres Bildungswesens heraus,
weil unser Bildungswesen in wichtigen Zweigen der Ausweisung unserer wirt¬
schaftlichen und kulturellen Weltstellung noch nicht gefolgt ist, sondern in der
Hauptsache noch einen binnenländischen Charakter bewahrt hat. Dies ist an
sich begreiflich genug und entspricht gleichartigen Erscheinungen, die wir auf den
wichtigsten anderen Lebensgebieten der Nation beobachten. Die innere Festigung
und der innere Ausbau hat die Kräfte des deutschen Volkes fast restlos in
Anspruch genommen, während andere Nationen, die früher als wir zur inneren
Einheit und Reife gelangt waren, sich nach außen hin frei und weit entfalten
konnten.


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[0206] Hochschulbildung und Auslandsintoressen Vor allem anderen ist es das Hineinwachsen Deutschlands in die Welt¬ politik und Weltwirtschaft, das fortschreitend neue Anforderungen an das Bildungswesen stellt. Der wissenschaftlichen Forschung erschließen sich neue Gebiete, und für die praktische Ausbildung wichtiger Berufe ergeben sich neue Aufgaben. Nur Unkenntnis oder Ungerechtigkeit könnte behaupten, daß bisher über¬ haupt nichts geschehen sei, um den neuen Anforderungen zu genügen. Univer¬ sitäten und Handelshochschulen haben denjenigen Materien, welche für unsere weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Beziehungen bedeutsam sind, in wachsendem Maße ihre Pflege gewidmet. Vor allem sei hier hingewiesen auf die Ausgestaltung des dem Verbände der Berliner Universität angehörenden Seminars für Orientalische Sprachen zu einem den größten Teil unseres Kolonialwesens und wichtige Gebiete unserer Überseeinteressen zusammenfassenden Lehrinstitut, ferner auf die Begründung des Instituts für Seeverkehr und Welt¬ wirtschaft an der Universität Kiel, sowie auf die Errichtung des Kolonialinstituts in Hamburg. Außerdem hat das Auswärtige Amt vor einigen Jahren sür die Anwärter des diplomatischen und konsularischen Dienstes Vorlesungskurse ein¬ gerichtet, in denen Männer der Wissenschaft und Praxis die wichtigsten Materien wirtschaftlicher Natur, vor allem die verschiedenen Gebiete unserer auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen behandeln. Trotz dieser erfreulichen Fortschritte und Neubildungen ist es heute in Deutschland geradezu Gemeinüberzeugung, daß die sich aus unserer Weltstellung ergebenden neuen Aufgaben zum großen Teil noch ihrer Lösung harren. Ein rühriger Kreis von Kolonialpolitikern und „Weltwirtschaftlern" hat eine eifrige Propaganda für die zeitgemäße Ausgestaltung unseres Bildungswesens ent¬ faltet. Presse und Parlamente haben sich der Frage angenommen und sind für eine Ergänzung unserer Schulorganisation durch Einrichtungen eingetreten, die eine bessere Ausbildung für die Tätigkeit im Auslande gewährleisten sollen. Die Berechtigung dieser Bestrebungen ist für jedermann, der die Welt und ihre Entwicklung mit offenen Augen sieht, unverkennbar. Die heute schon vor¬ handenen Ansätze zu einem Erfassen der neuen Ziele heben sich gerade deshalb besonders auffallend aus der Gesamtorganisation unseres Bildungswesens heraus, weil unser Bildungswesen in wichtigen Zweigen der Ausweisung unserer wirt¬ schaftlichen und kulturellen Weltstellung noch nicht gefolgt ist, sondern in der Hauptsache noch einen binnenländischen Charakter bewahrt hat. Dies ist an sich begreiflich genug und entspricht gleichartigen Erscheinungen, die wir auf den wichtigsten anderen Lebensgebieten der Nation beobachten. Die innere Festigung und der innere Ausbau hat die Kräfte des deutschen Volkes fast restlos in Anspruch genommen, während andere Nationen, die früher als wir zur inneren Einheit und Reife gelangt waren, sich nach außen hin frei und weit entfalten konnten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/206>, abgerufen am 24.07.2024.